Ein Jahr Haft auf Bewährung für den Mord
an Unteroffizier Reinhold Huhn
Die Bluttat vor dem Springer-Hochhaus
In der Nähe jenes Ortes, an welchem Unteroffizier Egon Schultz am 5. Oktober 1964 starb, haben professionelle Geschichtsfälscher eine Tafel der „Stiftung Berliner Mauer“ mit folgendem Text angebracht: „Im Hof dieses Hauses endete ein von Westberlin aus gegrabener 154 Meter langer Tunnel, durch den 57 Männern, Frauen und Kindern in den Nächten des 3. und 4. Oktober 1964 die Flucht in den Westen gelang. Nach Verrat der Flucht an das Ministerium für Staatssicherheit der DDR kam es auf dem Hof zu einem Schußwechsel zwischen Grenzsoldaten und Fluchthelfern. Dabei kam der Unteroffizier der Grenztruppen der Nationalen Volksarmee Egon Schultz … am 5. Oktober 1964 ums Leben. Egon Schultz wurde in der DDR als Held idealisiert. Die Fluchthelfer galten als Agenten und Mörder. Erst nach dem Fall der Mauer stellte sich heraus, daß die tödlichen Schüsse aus der Waffe eines Kameraden abgegeben wurden. Dieser Sachverhalt war den DDR-Verantwortlichen von Anfang an bekannt“, liest man dort.
Wie hat es sich tatsächlich verhalten?
Der Tunnel wurde mit Wissen der französischen Besatzungsmacht, der Westberliner Geheimdienste, der Polizei und weiterer Behörden gebaut. Sie überprüften die „Fluchthelfer“, stellten Ausrüstungen wie Schutzmasken zur Verfügung, wußten, daß Waffen benutzt wurden, forderten bestimmte Schleusungen und gaben Geld. Es handelte sich um eine organisierte Provokation. Zuerst drangen Bewaffnete in die DDR ein, die – wie sich zeigte – bereit waren, ohne Zögern zu schießen.
Der Schußwechsel fand zwischen Westberliner „Fluchthelfern“ und Grenzsoldaten statt. Die „Fluchthelfer“ schossen erwiesenermaßen zuerst. Sie trafen Egon Schultz. Danach wurde das Feuer erwidert, wobei er von einem Schuß seiner Kameraden versehentlich tödlich getroffen wurde.
Ursächlich waren es die Schüsse der „Fluchthelfer“, die das Feuergefecht auslösten. Der „Fluchthelfer“, der ihn zuerst getroffen hatte, ließ sich auf der Titelseite der Illustrierten „Quick“ mit den Worten ablichten: „Ich habe den Vopo erschossen.“
Es gab keinen vernünftigen Grund für die „DDR-Verantwortlichen“, Tatsachen zu verschleiern.
Eine Bemerkung zum Mord an dem Grenzsoldaten Reinhold Huhn am 18. Juni 1962.
In der Nähe jenes Ortes, an dem Reinhold Huhn ermordet wurde, findet man einen Aufsteller „Geschichtsmeile Berliner Mauer“. Dort heißt es in vier Sprachen: „In der Zimmerstraße 1, 2, 4 wurde im Sommer 1962 von einem unbebauten Grundstück unter der Mauer hindurch ein Tunnel zum Ostberliner Haus Nr. 56 gegraben. Ein aus der DDR geflüchteter Mann wollte seine Familie in den Westen holen.“ Auf dem Weg zum Tunneleingang hielt der 20jährige Unteroffizier Reinhold Huhn die Flüchtlinge an. Von Schüssen tödlich getroffen, brach er unmittelbar darauf zusammen. Die Flüchtlinge gelangten durch den Tunnel nach Westberlin.
Im folgenden Ermittlungsverfahren, das 1962 in Westberlin eingeleitet wurde, behauptete der Fluchthelfer, die Grenzposten hätten das Feuer eröffnet und ihren Kameraden getroffen. In einem zweiten Verfahren gab der Täter 1998 zu, geschossen zu haben, um sich und seine Familie zu schützen. Der Bundesgerichtshof verurteilte den „Fluchthelfer“ im Sommer 2000 in letzter Instanz wegen Mordes zu einem Jahr auf Bewährung. (!)
Zum Sachverhalt: Es handelte sich nicht um ein unbebautes Grundstück, sondern um eine Baustelle auf dem Gelände des Springer-Konzerns. Dessen Chef wußte von dem Tunnelbau. Der aus der DDR „geflüchtete Mann“ kroch mit zwei gleichfalls Bewaffneten durch die Röhre in die DDR.
„Der Spiegel“ (Nr. 27/1962) hielt sich nicht an die festgelegte Sprachregelung und berichtete: „Der Westberliner Senat, gedeckt durch die für diesen Teil der Sektorengrenze zuständigen amerikanischen Behörden in Berlin, verbreitete amtlich die These vom Vopo-Mord am Vopo: Müller, von dem Grenzpolizei-Gefreiten gestellt und um seinen Ausweis gebeten, habe Reinhold Huhn ,einen solchen Uppercut versetzt, daß der Grenzpolizist zu Boden ging‘. (Senatspressechef Egon Bahr). Huhn habe aufstehen wollen, um den flüchtenden Müller zu verfolgen, sei aber von den eigenen Kameraden niedergestreckt worden, die Müller durch Schüsse an der Flucht zu hindern suchten.
Nachdem Müller mit seiner Familie der Röhre entwichen, im sicheren Port des Springerhauses und von „Bild“-Burnitz mit einigen Gläsern Whisky willkommen geheißen worden war, antwortete er auf die Fangfrage einiger Westberliner Journalisten, wie oft er habe abdrücken müssen, bis Huhn am Boden lag: ,Einmal, der Mann fiel sofort um.’ In der … Feuilleton-Redaktion wurde Müller später polizeilich vernommen. Dennoch meldete ,Bild‘ anderentags … auf der ersten Seite: ,Vopo von Vopo erschossen‘“. Soweit der „Spiegel“.
A. C. Springer war über den Tunnelbau genauso informiert wie die US-Besatzungstruppen, die Polizei und der Verfassungsschutz. Sie alle wußten, daß die Tunnelbauer bewaffnet waren und so in die DDR eindringen würden Es war also keine Privatangelegenheit. Neben Müller befanden sich zwei weitere bewaffnete Eindringlinge auf DDR-Territorium. Sie standen im Hauseingang Nr. 56 bereit.
Zwischen M. und dem Grenzposten befand sich Stacheldraht. Er konnte den Posten also gar nicht niederschlagen, sondern schoß zweimal. Etwa ein Dutzend Polizisten und Zöllner in Westberlin waren ebenso Augenzeugen des Mordes wie Journalisten, Fotoreporter und Fernsehteams. Auch der Innensenator und Egon Bahr befanden sich unmittelbar nach der Tat vor Ort. Der Regierende Bürgermeister war durch sie eingeweiht.
Am 28. Dezember 1962 ordnete der Westberliner Generalstaatsanwalt an: „Kein Verfahren gegen Fluchthelfer. Huhn wurde von Kameraden erschossen.“
Das offizielle Westberlin ermöglichte, ja, es forderte sogar die Falschaussage des Mörders!
Übrigens ist dieser Träger des Bundesverdienstkreuzes der BRD!
Am 19. Juni 1961 war in der „Bildzeitung“ zu lesen: „Westberliner Polizisten griffen in die Schießerei nicht ein, da keine Möglichkeit bestand, weiteren Personen zur Flucht zu verhelfen.“
In den Richtlinien und taktischen Hinweisen des Leiters der Schutzpolizei (Westberlin) für den Dienst an der Sektoren- und Zonengrenze vom 12. Oktober 1961 heißt es u. a.: „Der Gebrauch der Schußwaffe bleibt letztes Mittel. Er ist nur da gerechtfertigt, aber auch erforderlich, wo unmittelbar an der Grenze östliche Sicherheitskräfte unter den Augen der Westberliner Polizei Verbrechen – meist gegen Flüchtlinge – mit der Waffe begehen.“ (Gemeint ist die Festnahme von Grenzverletzern.) Der Befehl wurde durch die Besatzungstruppen in Westberlin Ende 1962 außer Kraft gesetzt, blieb aber in der Praxis bis 1966 gültig. Es gab also in Westberlin – im Gegensatz zur vielgeschmähten DDR – tatsächlich einen Befehl, auch über die Grenze zu schießen.
Westberliner Medien berichteten: Der Regierende Bürgermeister erklärte am 17. Juni 1962 auf der Kundgebung zum Volksaufstand: „Jeder unserer Polizeibeamten und jeder Berliner soll wissen, daß er den Regierenden Bürgermeister hinter sich hat, wenn er seine Pflicht tut, indem er von seinem Recht auf Notwehr Gebrauch macht und verfolgten Landsleuten den ihnen möglichen Schutz gewährt.“ Auf diese Äußerung berief sich Müller, um seine Schüsse zu rechtfertigen.
Meine Schilderung ist insofern ein Augenzeugenbericht, als ich mich unmittelbar nach dem Mord am Tatort befand.
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