Die BRD muß die Verantwortung für den Völkermord an Sinti und Roma übernehmen!
Am 17. Februar 2016 entschuldigte sich die Präsidentin des Bundesgerichtshofes Bettina Limperg in Karlsruhe im Rahmen eines Symposiums des Zentralrates der Sinti und Roma für ein im Jahre 1956 gefälltes Grundsatzurteil ihres Gerichtes. „Angesichts der völligen Verkennung der Werte des Grundgesetzes und des Zwecks der Entschädigung für unendliches Leid kann ich mich dafür nur schämen“, sagte sie. In Vertretung von Bundesjustizminister Heiko Maas äußerte die Staatssekretärin Stefanie Hubig, die Veranstaltung sei nicht weniger als die symbolische Bitte der deutschen Justiz um Entschuldigung für eine Rechtsprechung, die Menschen wegen ihrer Abstammung pauschal diskriminiert hat. Angesichts des im höchsten Maße von Rassismus geprägten Urteils von 1956 war das entschieden zu wenig. Das Skandalurteil des Bundesgerichtshofes von 1956 legte den Beginn der Verfolgung von Sinti und Roma „aus Gründen der Rasse“ willkürlich auf den 1. März 1943 fest, als die endgültige Massendeportation von Sinti und Roma nach Auschwitz begann, die Himmler im „Auschwitz-Erlaß“ am 16. Dezember 1942 verfügt hatte.
Liquidiert / Graphik: Otto Pankok, 1937
Alle vorangegangenen Verfolgungen und Mordtaten rechtfertigten die Richter des Bundesgerichtshofs. Diese seien von den „Zigeunern“ selbst verschuldet worden – durch ihre „Asozialität“ und „Kriminalität“, ihren „Wandertrieb“, durch fehlende „sittliche Antriebe der Achtung von fremdem Eigentum“ und durch ihre, wie die Erfahrung zeige, „ungehemmte Okkupationspolitik“. Bei diesem Urteil muß man sehen, daß etwa 80 Prozent der damals in der Bundesrepublik Deutschland amtierenden Richter bereits in der Nazizeit im Dienst waren.
Genauso wie gegen Juden gibt es schon seit Jahrhunderten Vorurteile gegen Sinti und Roma. Sie galten als verantwortlich für Pest, Cholera und Rattenplage, als „Türkenspione“, als „jüdisch versippt“ und der Hexerei fähig.
Sinti und Roma sind ein Volk mit eigener Sprache, Geschichte und Kultur. Im deutschsprachigen Raum ist Roma meist als Sammelbegriff üblich, der auch die Sinti einbezieht. Häufig werden sie auch heute noch wie früher in diskriminierender Absicht als „Zigeuner“ bezeichnet.
Mit der Errichtung der faschistischen Diktatur erreichte ihre Verfolgung ein bis dahin nicht gekanntes ungeheures Ausmaß. Gegenüber den Sinti und Roma konnten die deutschen Faschisten zum Teil an die Gesetzgebung und die Verwaltungspraxis des Kaiserreichs und der Weimarer Republik anknüpfen. Bereits in den ersten Jahren der faschistischen Herrschaft wurden die Gesetze gegen Sinti und Roma weiter verschärft. In den Nürnberger Gesetzen von 1935 wurden sie als „Artfremde“ bezeichnet. „Artfremden Blutes sind in Europa regelmäßig nur Juden und Zigeuner“, hieß es im offiziellen Kommentar zu den Rassegesetzen.
1936 erhielt die Polizei vom Reichsinnenminister die Empfehlung, in allen Landesteilen gezielt Razzien auf „Zigeuner“ zu veranstalten. Seit 1936 begannen einige deutsche Städte Internierungslager für Sinti und Roma einzurichten, so Berlin, Düsseldorf oder Frankfurt am Main. Im gleichen Jahr trafen die ersten „Zigeunerhäftlinge“ in Dachau ein. Ab 1938 wurde ein kriminalpolizeilicher Apparat aufgebaut, der eigens der „Zigeunerbekämpfung“ diente. Er reichte von der „Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens“ in Berlin bis hinunter zu den Ortspolizeibehörden.
Organisierte Vertreibungen von Sinti und Roma hatte es zuerst im Sommer 1938 gegeben, als einige hundert Sinti und Roma aus dem deutschen Südwesten – ohne Ziel – „nach Osten“ gebracht wurden.
Am 8. Dezember 1938 begründete Heinrich Himmler in einem Runderlaß die weiteren Verfolgungsmaßnahmen gegen die in Deutschland lebenden Sinti und Roma. Himmler verlangte eine „Regelung der Zigeunerfrage aus dem Wesen dieser Rasse heraus“.
Mit dem „Festsetzungserlaß“ vom 17. Oktober 1939 wurde den Sinti und Roma jede Bewegungsfreiheit genommen. Die Betroffenen wurden an den Orten, an denen sie sich an den Stichtagen aufhielten, festgesetzt. Familien wurden so auseinandergerissen. Ein Verwandtenbesuch außerhalb des Wohnsitzes mußte behördlich beantragt und genehmigt werden. Jede Übertretung der „Festsetzung“ konnte sofort mit der Einweisung in ein Konzentrationslager bestraft werden.
Im Mai 1940 wurden etwa 2800 Sinti und Roma aus Norddeutschland, dem Rheinland und dem deutschen Südwesten nach Polen deportiert. Das war der Beginn der Deportation aller Sinti und Roma aus Deutschland und Österreich. Die Mehrheit der Betroffenen wurde im „Generalgouvernement“ im besetzten Polen unter SS-Bewachung in Zwangsarbeiterkolonnen zusammengefaßt und zum Bau von Militäreinrichtungen oder Konzentrationslagern gezwungen. Die Deportationen wurden zunächst nach wenigen Wochen eingestellt. Aber die deutschen Behörden hatten bewiesen, daß sie in der Lage waren, innerhalb kürzester Zeit viele Menschen „geordnet“ zu deportieren. Gemäß dem Befehl Heinrich Himmlers vom 16. Dezember 1942 sollten schließlich die Sinti und Roma aus Deutschland und angrenzenden Staaten in das Vernichtungslager Auschwitz verschleppt werden. Mit einem „Schnellbrief“ vom 29. Januar 1943 verfügte das Reichssicherheitshauptamt die Ausweisung. Seit Ende Februar, Anfang März 1943 wurden Sinti und Roma verhaftet, an Sammelstellen zusammengeführt und dann in Zügen der Reichsbahn nach Auschwitz gebracht. Doch nicht alle deutschen Sinti und Roma wurden nach Auschwitz deportiert. Für diejenigen, die mit sogenannten Deutschblütigen verheiratet waren, galten Ausnahmen. Sie wurden in der Regel – wie auch die meisten ihrer Kinder – zwischen 1943 und 1945 sterilisiert.
Im „Zigeunerfamilienlager“ in Auschwitz-Birkenau wurden etwa 23 000 Menschen zusammengepfercht, 20 078 der dort registrierten Sinti und Roma ermordet. Allein in der Nacht vom 2. zum 3. August 1944 fielen den Mordorgien der SS rund 2900 Häftlinge zum Opfer. Von April bis Juli 1944 waren die noch arbeitsfähigen Sinti und Roma in die Konzentrationslager Buchenwald, Ravensbrück und Flossenbürg gebracht worden und mußten dort Sklavenarbeit verrichten. „Vernichtung durch Arbeit“ hieß der zynische Nazi-Slogan.
Viele Sinti und Roma wurden in Südost- und Osteuropa, vor allem aber auch in den besetzten Gebieten der Sowjetunion, von Einsatztruppen der SS oder von Wehrmachtsangehörigen, zum Teil von Kollaborateuren in diesen Ländern, ermordet.
Insgesamt liegt die Opferzahl der Sinti und Roma bei etwa einer halben Million Menschen. Das waren rund 70 Prozent dieser Volksgruppe.
„Heute wird schon wieder gegen Minderheiten in diesem Land gehetzt, gegen unsere und gegen andere“, sagte Petra Rosenberg, die Vorsitzende des Berliner Landesverbandes der Sinti und Roma, auf einer Gedenkveranstaltung im Dezember 2015. Petra Rosenberg ist die Tochter von Otto Rosenberg, der als einer von wenigen Auschwitz überlebt hatte, und später Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma wurde. Entschlossenes Handeln gegen menschenverachtendes Denken sei eine Aufgabe, die alle betrifft.
Deutschland muß die volle Verantwortung für den Völkermord an 500 000 Sinti und Roma übernehmen.
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