RotFuchs 196 – Mai 2014

Die Europäer gibt es nicht!

Klaus Steiniger

Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: Ich kandidiere auf der Liste der Deutschen Kommunistischen Partei für das Europäische Parlament. Warum?

Mir kommt es darauf an, im folgenden dargestellte Positionen unterstützen zu können, die von anderen – besonders nach dem Hamburger Parteitag der „Linken“ – durch deren dort mehrheitlich nominierte Kandidaten wohl eher nicht vertreten werden dürften.

Dabei solidarisiere ich mich ausdrücklich mit jenen leider in der Minderzahl befindlichen Bewerbern der Linkspartei, die eindeutig antiimperialistische Positionen beziehen.

Zum Standardangebot der bürgerlichen Medien gehört die These von einem an-geblich in der Brüsseler Retorte erzeugten vereinigten Europa, das an die Stelle traditionsreicher Nationalstaaten getreten sein soll. Hierzu ist festzustellen, daß die tonangebenden Banken und Konzerne sowie die deren Vorgaben umsetzenden Politiker mit der Formierung von EWG, EG und EU ihre „portugiesische Lektion“ gelernt und Maßnahmen aller Art ergriffen haben, um künftig Aprilrevolutionen in ihren Domänen oder Hinterhöfen den Weg verlegen zu können. Mit ihren militärischen, polizeilichen, geheimdienstlichen und finanziell-ökonomischen Drosselungs- und Erdrosselungsinstrumenten verfügt die EU über repressive Mittel zur Zügelung jeglicher Widerständigkeit. Das bekommen die südeuropäischen Völker – allen voran die an den Marterpfahl der „Troika“ gefesselten Griechen – nun schon seit Jahren hautnah zu spüren. Die EU, in der die deutschen, aber auch die französischen und britischen Imperialisten immer unverfrorener den Ton angeben, ist ein Mechanismus zur systematischen Zerschlagung der nationalen Unabhängigkeit, Souveränität und Eigenstaatlichkeit aller schwächeren „Partner“ auf dem Kontinent. Eigentlich hat sich dem bislang nur Putins Rußland als europäisch-asiatische Großmacht in deutlicher Verfolgung eines an nationalen Interessen orientierten Kurses widersetzt.

Ohne Zweifel besteht die Strategie der Kreise um Merkel darin, mit Hilfe der EU die wichtigsten der auf militärischem Wege nicht erreichten Kriegsziele Nazideutschlands mit politisch-ökonomischen Operationen und möglichst „zivilen“ Methoden, sieht man von der Ukraine ab, nachträglich durchzusetzen. Das Vorherrschaftsstreben des deutschen Imperialismus – zu-nächst auf Europa beschränkt – könnte schon bald darauf abzielen, selbst mit den USA auf Augenhöhe „Tacheles“ reden zu können. Oder anders ausgedrückt: Der alte Traum, die Welt solle am deutschen Wesen genesen, droht einmal mehr erschreckende Realität zu werden.

Man sollte sich an Lenins im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts getroffene Voraussage erinnern, daß die schon damals gedanklich ins Spiel gebrachten „Vereinigten Staaten von Europa“ entweder nicht zustande kämen oder reaktionär seien. Heute liegt eine den Völkern tatsächlich dienende gesamteuropäische Zusammenarbeit auf gleichberechtigter Basis – also das Gegenteil der EU – noch in weiter Ferne, während die Vorherrschaft der einen und die degradierte Rolle der anderen Staaten des Kontinents zu den politischen Realitäten gehört. Es handelt sich um Irreführung größten Stils, wenn das als „fast vollendete Einheit Europas“ ausgegeben wird. Obwohl ein gnadenloser Machtkampf tobt, entwirft man die Architektur des gemeinsamen Daches eines Wolkenkuckucksheimes. Gorbatschows „gemeinsames europäisches Haus“ läßt grüßen.

Die „Festung Europa“, durch deren Abriegelung das Mittelmeer zum Massengrab für Arme und Hungernde aus der Dritten Welt geworden ist, offenbart das wahre Gesicht der EU. Ein „Europa“ im Sinne der blumigen Phrasen bourgeoiser Politiker gibt es nicht. Leider aber werden solche Integrationsphantasien auch von nicht wenigen redlichen Menschen aufgenommen und verinnerlicht. Sogar mancher, der von sich behauptet, zu einer Analyse aus „linker Sicht“ fähig zu sein, stößt da ins falsche Horn.

Bekanntlich gehen Marxisten davon aus, daß sich hinter jeglichem Geschehen sehr konkrete Klassenkräfte verbergen, die einzig und allein ihre ökonomischen und sozialen Interessen verfolgen. Aus dieser Sicht gibt es für uns auch nicht die Europäer, die Asiaten, die Amerikaner, die Afrikaner oder die Australier, sondern überall nur Ausbeuter und Ausgebeutete, lohnabhängige Arbeiter und parasitäre Absahner, die sich als Arbeit-Geber verkleiden, obwohl sie doch eigentlich die Arbeit-Nehmer sind.

Der gierige Griff nach der angeblich alle ins selbe Boot holenden Zauberformel „Europa“ ist – vom korrekten geographischen Terminus abgesehen – nichts anderes als die Begeisterung für leere Tüten, die angeblich voller Mehl sein sollen.

Es handelt sich um ein Abrücken vom Sinn und Inhalt unserer Weltanschauung, wenn sich als Kommunisten oder Sozialisten Posierende vom A und O des Marxismus – einer konsequenten Klassenanalyse – verabschieden, statt gegen das von einer aufgeblähten Bürokratie verwaltete Europa der Monopole zu kämpfen.

All das ist ein guter Grund für eine eigenständige Kandidatur deutscher Kommunisten zum Europaparlament. Die DKP stellt sich damit an die Seite so bewährter marxistisch-leninistischer Parteien des Kontinents wie der portugiesischen PCP und der griechischen KKE, die – ohne der fiktiven und an Brüssel geketteten Europäischen Linkspartei anzugehören – seit Jahr und Tag in Strasbourg gegen Lüge und Ausbeuterei in den Kampf ziehen.

Für mich ist das ein Grund, meinen Hut in den Ring zu werfen.