RotFuchs 201 – Oktober 2014

Hommage der Willi-Bredel-Gesellschaft
zum 50. Todestag ihres Namensgebers

Die Hand am Puls der Klasse

Hans-Kai Möller

Am 27. Oktober 1964 starb Willi Bredel nach einem Herzinfarkt in Berlin. Drei Tage zuvor war er, seit 1962 Präsident der Akademie der Künste der DDR, von einer Reise zum Internationalen PEN-Kongreß in Budapest und einem anschließenden Serbien-Abstecher nach Berlin zurückgekehrt. Reisen spielten in seinem 64. und letzten Lebensjahr eine besondere Rolle. Er verstand sie weder als Pflichtübungen noch als Vergnügungsfahrten, sondern sah in ihnen ein wichtiges Mittel, die kulturellen Leistungen der DDR im Ausland bekanntzumachen. Überdies beseelte ihn der Gedanke, den Austausch mit fortschrittlichen Künstlern in aller Welt zu fördern. So war es kein Zufall, daß mit Bredel erstmals ein Präsident der Akademie deren korrespondierende Mitglieder an ihren Wirkungsorten in der BRD aufsuchte.

Am 7. April begann er seine große Tour. Zuerst begab sich Bredel zu Intendant Heinz Hilpert in Göttingen, wo er sich abends Shakespeares „Was ihr wollt“ anschaute.

Schon am nächsten Tag brach er in Richtung Bodensee auf, um dort dem durch die Nazis als „entartet“ unterdrückten Maler Otto Dix zu begegnen. Tags darauf startete Willi Bredel nach Bayern, wo er eine Vorstellung der „Münchner Lach- und Schießgesellschaft“ erlebte. In der bayerischen Hauptstadt traf er Charlott, die Frau des antifaschistischen Schriftstellers Leonhard Frank, der nach langem Exil erst 1950 in seine Heimat zurückgekehrt war. Der Titel seines 1952 erschienenen autobiographischen Romans „Links, wo das Herz ist“ wurde zu einem geflügelten Wort.

Am Rhein übernachtete Bredel in St. Goar, direkt gegenüber dem legendären Loreley-Felsen. Von dort aus ging es in den Ruhrpott. Der Arbeiterschriftsteller wollte dem schreibenden Bergmann Max von der Grün begegnen, dessen 1962 und 1963 erschienene Romane „Männer in zweifacher Nacht“ und „Irrlicht und Feuer“ ihn stark beeindruckt hatten. Deren Autor schrieb über das erste Zusammentreffen der beiden proletarischen Literaten: „Am 14. April saß ich im Büro eines Fernsehredakteurs in Mainz, als meine Frau anrief und sagte, Willi Bredel sei bei uns. Ich setzte mich sofort in den Wagen und preschte los, was das Gaspedal hergab. … Unsere Begrüßung war herzlich, aber nicht überschwenglich. Wir umkreisten einander distanziert mit halbleeren und lauernden Worten, die nur verständlich sind, weiß man um die Stellung eines Schriftstellers in Ost und West. Aber es gab zu viele Berührungspunkte, als daß wir hätten steif nebeneinander sitzen und leeres Stroh dreschen können. … An diesem Abend lernten wir von einander, und wir lernten uns verstehen.“

Auch Bredel muß diese Begegnung sehr beeindruckt haben, berichtete er doch einige Tage später auf der 2. Bitterfelder Konferenz sehr warmherzig darüber.

Das nächste Reiseziel war seine Heimatstadt Hamburg. Hier traf er mit dem Vorsitzenden der Barlach-Gesellschaft, Prof. Dr. Harmsen, zusammen. Zugegen war auch Nikolaus Barlach, der Sohn des Bildhauers.

Große Bedeutung hatte für Willi, der wie seine schwedische Frau Maj sehr gastfreundlich war, die Pflege von Kontakten mit alten Weggefährten und Genossen. An erster Stelle ist hier Ernst Busch zu nennen, der die Bredels am 15. März gemeinsam mit dem Komponisten und Musikwissenschaftler Grigori M. Schneerson besuchte. Der sowjetische Künstler begleitete Busch häufig bei dessen Gesangsauftritten am Klavier. Bei einem späteren Treffen im Juli spielte Busch seinen Gästen neue Aufnahmen vor, die den Bredels gut gefielen. Die beiden einstigen Metallarbeiter von der Küste schätzten einander sehr. Als Busch in den 50er Jahren in der DDR zeitweilig ausgegrenzt wurde, setzte sich sein Freund öffentlich für ihn ein, auch mit einem Artikel in der Wochenzeitung „Sonntag“.

Nicht weniger eng befreundet war Bredel mit Alexander Abusch, während der Weimarer Republik Chefredakteur verschiedener KPD-Tageszeitungen. Bredel hatte seit Juli 1928 selbst bei der „Hamburger Volkszeitung“ gearbeitet. Inzwischen Stellvertretender Vorsitzender des Ministerrats der DDR, trug Alexander Abusch Verantwortung für die Bereiche Kultur und Erziehung. Er unterstützte Bredel durch ein Co-Lektorat bei der Fertigstellung des zweiten und dritten Bandes seiner Trilogie „Ein neues Kapitel“.

Am 22. Juli traf Bredel einen alten Weggefährten, den schreibenden Arbeiter Carl Wüsthoff aus Pinneberg, der später als „Roter Großvater“ durch Publikationen des Werkkreises Literatur der Arbeitswelt bekannt wurde. Auch Jan Petersen – er schrieb den legendären Antifa-Roman „Unsere Straße“ – besuchte Bredel. Beide Männer hatte dieser durch seine Tätigkeit als Kulturbundvorsitzender in Mecklenburg-Vorpommern während der Nachkriegszeit schätzengelernt.

Als die Bredels dann am 14. September wieder in Berlin eintrafen, fand Willi eine Einladung des Jugendmagazins „elan“ zu einer gemeinsamen Lesung mit Max von der Grün in Dortmund vor. Auch sie nahm er wahr.

Am 9. Oktober reiste Bredel zur Eröffnung einer Ausstellung mit Fotomontagen John Heartfields nach Prag. Dieser Künstler hatte Bredel schon 1930 während seiner Festungshaft besucht und dann den Schutzumschlag der Erstausgabe seines Werkes „Die Prüfung“ gestaltet. Wenige Tage später flogen Maj und Willi zu einer Tagung des Internationalen PEN-Klubs nach Budapest.

Die Anstrengungen des Jahres 1964 hatten bei dem schwer Herzkranken Spuren hinterlassen. Die letzte Eintragung in seinem hier zu Rate gezogenen Kalender stammt vom 27. Oktober: „Akademie, Besprechung, Petermänken-Verlag“, erfährt man dort.

Über Willi Bredels Lebensende berichtete sein Freund Pastor Karl Kleinschmidt: „… und dann geschah es. Er versuchte keine Notiz davon zu nehmen, legte sich aber doch. Noch einige Minuten, und er wußte Bescheid, machte sich nichts vor. Im Wissen, daß es jeden Augenblick zu Ende sein könnte, sagte er: ‚Fahr sofort zur Maj. Ich möchte nicht, daß sie es durch einen anderen erfährt.‘ Mit ihr zusammen bin ich eine Stunde später an sein Lager getreten. ‚Es war unser letztes Gespräch‘, sagte er und gab mir die Hand. Die darauf folgenden Minuten gehörten den beiden allein.“

Im nachhinein scheint es fast so, als ob Willi Bredel seinen baldigen Tod schon ahnte. 1964 wollte er vieles, was ihm besonders am Herzen lag, noch erledigen. Es wirkt über seinen frühen Tod hinaus.

Der aus Platzgründen gekürzte Beitrag erschien im Rundbrief 2014 der Willi-Bredel-Gesellschaft (Im Grünen Grunde 1b, 22337 Hamburg).