Warum das Überangebot im Kapitalismus niemandem nützt
Die Katze beißt sich in den Schwanz
Darin, daß der Kapitalismus nicht das Ende der Geschichte sein kann, sind sich nicht nur die marxistisch geprägten Linken einig. Stets wird dabei auf die Grundübel der heutigen Gesellschaft wie hohe Arbeitslosigkeit und die sich ständig vertiefende Kluft zwischen Arm und Reich verwiesen. Seit etlichen Jahren ist von grassierenden Krisen die Rede, die nur noch temporär oder lokal unterbrochen werden. Hinzu kommen Aggressionen ohne Ende, welche die Gefahr eines 3. Weltkrieges verschärfen.
Auch bei engstens mit der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“, also der kapitalistischen Gesellschaft, verbundenen Ökonomen rufen diese Grundübel Furcht und Mißbehagen hervor. Ganze Heerscharen von Wirtschaftsgurus, darunter nicht wenige Nobelpreisträger, bemühen sich seit Jahrzehnten um Lösungen, ohne Alternativen in Aussicht stellen zu können. Werden entsprechende Angebote unterbreitet, so beschränken sie sich mehr oder weniger auf allgemeine Appelle, mehr Gerechtigkeit walten zu lassen, den Reichtum umzuverteilen und eine straffere staatliche Kontrolle auszuüben. Stets gehen sie von kapitalistischen Eigentumsverhältnissen aus.
Ich betrachte demgegenüber gerade diese gesellschaftlichen Strukturen als die tiefere Ursache für die erwähnten Grundübel, die unter solchen Verhältnissen unvermeidbar sind.
Die Marxsche Lehre von der Politischen Ökonomie des Kapitalismus beruht auf der Erkenntnis, daß Anarchie und Planlosigkeit der Produktion gesetzmäßige Erscheinungen kapitalistischen Wirtschaftens sind. Es muß schon sehr verwundern, daß selbst Ökonomen, die heute noch in der PDL wortführend sind und diese Lehre nicht nur studiert, sondern sogar auf Kathedern vertreten haben, das offenbar völlig aus dem Blickfeld verloren zu haben scheinen.
Der Sachverhalt besteht darin, daß die einzelnen Unternehmen jeweils isoliert produzieren und erst über den Markt in Beziehung zueinander treten. Diese Art der Kontaktaufnahme erweist sich als sehr stabil sowie produktivitäts- und kreativitätsfördernd, was ohne straffe, planvolle innerbetriebliche Organisation nicht denkbar wäre. Das ist die mikroökonomische Ebene – das wirtschaftliche Fundament des kapitalistischen Systems. Über diesem erhebt sich jedoch ein entsprechender Überbau – die makroökonomische Ebene. Sie besteht aus einem Geflecht von Folgewirkungen, die volkswirtschaftliche Dimension erreichen und die verschiedensten gesellschaftlichen Bereiche tangieren. Konkreter: Die Einzelunternehmen können für sich durchaus vernünftige Entscheidungen treffen, vermögen aber deren Resultate nicht bis in die letzte Konsequenz zu überblicken. Das führt zu ungewollten, unkontrollierbaren, also praktisch kaum beherrschbaren volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen „Fernwirkungen“, aus denen sich die oben genannten Grundübel herleiten.
Die Ursache für dieses Auseinanderklaffen von bewußten Entscheidungen und ungewollten Ergebnissen liegt darin, daß die einzelunternehmerischen Weichenstellungen in doppelter Hinsicht eng begrenzt sind. Erstens werden Beschlüsse ausschließlich nach rein ökonomischen Maßstäben und aus unternehmerischer Sicht, also profitorientiert, getroffen. Soziale, ökologische, humanitäre und andere Erfordernisse stehen in der Regel der Profitmaximierung entgegen und werden höchstens unter massivem äußerem Druck berücksichtigt. Zweitens sind die einzelnen Kapitalisten auch gar nicht dazu in der Lage, die ganze Komplexität volkswirtschaftlicher Verflechtungen zu überblicken, selbst wenn man ihnen hohe Sachkunde und entwickelte Organisationsfähigkeiten unterstellt. Ihnen fehlen dafür die notwendigen Informationen. Und selbst wenn sie diese hätten, würden sie wohl kaum ihren Profitinteressen entsprechen und sie zu weitsichtigerem Handeln veranlassen.
Jeder Unternehmer versucht zum Zweck der eigenen Profitmaximierung, die Kosten – darunter auch die Lohnkosten – so niedrig wie möglich zu halten oder gar abzusenken. Zu deren Reduzierung werden verschiedene legale und illegale Möglichkeiten ausgenutzt. Zu ihnen gehört, daß sich mit jeder Maßnahme zur Steigerung der Arbeitsproduktivität zwar der Produktionsausstoß erhöht, dies aber nicht in gleichem Maße auf die gezahlten Löhne und Gehälter zutrifft. Was sinkt, sind in jedem Falle die Lohnstückkosten. Da Löhne aber nicht nur ein Kostenfaktor für den Produzenten, sondern zugleich auch ein Nachfragefaktor in der Sphäre der Konsumtion sind, entsteht ein unvermeidbarer Widerspruch: Eine steigende Angebotsmenge, die zur Verfügung gestellt werden könnte, erweist sich als nicht absetzbar, weil sich die Binnennachfrage im Ergebnis der „Lohndrückerei“ nicht in gleichem Maße entwickelt. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Aus dem Geschilderten ergibt sich mit einer gewissen Zwangsläufigkeit das „Phänomen“ ständiger Arbeitslosigkeit im Kapitalismus. Dieser bremst sich sozusagen selbst aus. Gleichzeitig erscheint (zumindest optisch) ein frappierendes Überangebot an Waren und Leistungen. Dieses nützt indes einem wachsenden Anteil der Bevölkerung überhaupt nichts, weil dessen finanzielle Lage die Möglichkeit eines entsprechenden Zugriffs ausschließt.
Im Kapitalismus befindet sich praktisch jeder einzelne Kapitalist in einer ständigen Konkurrenzsituation zu anderen Kapitalisten. Er versucht natürlich, seine Marktkontrahenten zu verdrängen und muß andererseits ständig befürchten, selbst aus dem Feld geschlagen zu werden. Bei dem dabei entstehenden Gerangel um die besten Marktpositionen – denken wir nur an den Immobiliensektor – versucht jeder Konkurrent, so schnell und so viel wie möglich Kapital in die als profitabel erkannte Anlagemöglichkeit zu stecken. Das Ergebnis besteht – wie bereits geschildert – in einer raschen Übersättigung. Und wenn von den einzelnen Kapitalisten irgendwann erkannt wird, daß sich die angestrebte Profitabilität nicht erreichen läßt, beginnt eine geradezu panische Flucht aus diesem Markt, um so viel wie möglich zu retten.
Dies ist – auf eine Kurzformel gebracht – der unvermeidliche Entstehungsmechanismus von Krisen im Kapitalismus. Aus diesem Grunde haben wir zu DDR-Zeiten in der Vermittlung der Lehre von der Politischen Ökonomie des Kapitalismus stets auf den Zusammenhang von Anarchie und Konkurrenz verwiesen. Erinnern sich da ältere Leser nicht an früher bereits Vernommenes?
Nachricht 808 von 2043
- « Anfang
- Zurück
- ...
- Eine stets präsente Vergangenheit
- Fritz Heckert und Chemnitz
gehören zusammen - DDR-Pflanzenschutz ohne
„chemische Keule“ - Die Katze beißt sich in den Schwanz
- Über echte und faule Kompromisse
- Medien als Erfüllungsgehilfen der Politik
- Von den Anfängen des
demokratischen Rundfunks - ...
- Vorwärts
- Ende »