Eine Landgenossenschaft mit tiefen Wurzeln
in der LPG-Geschichte
Die Klingers aus Oppurg
Am 10.12.2013 führte die 3163 Hektar große Landgenossenschaft Oppurg eG im thüringischen Kreis Schleiz eine Generalversammlung durch. Sie zählt 122 Mitglieder und Beschäftigte sowie sechs Lehrlinge. In der Versammlung wurde der Diskussionsbeitrag des Ehepaares Klinger, den der 89jährige Ortschronist Herbert auch im Namen seiner Frau Annelies vortrug, gehalten. Beide sind aktive Mitglieder der Partei Die Linke und engagierte „RotFuchs“-Leser. Herbert hatte schon vor über 40 Jahren als Parteisekretär der seinerzeitigen LPG im gleichen Saal am Rednerpult gestanden.
Hören wir den Klingers zu:
Wir gingen 1990 in Altersrente, blieben aber ideell immer eng mit unserer LPG Oppurg verbunden. Die Felder sind eingebracht, zu Hause halten wir nur noch Kaninchen und Hühner. Ich habe die Geschichte der landwirtschaftlichen Genossenschaftsbewegung bei uns und im Kreisgebiet seit 1952 in zwei inzwischen vorliegenden Bänden aufgezeichnet. Viele Gespräche mit den Oppurger LPG-Schrittmachern sind vor 60 Jahren durch mich protokolliert worden. Außerdem besitze ich Hunderte Fotos, die unser Genossenschaftsleben widerspiegeln. Diese Dokumente berichten über menschliche Leistungen in der Pflanzen- und Tierproduktion, im Gartenbau, durch die Baubrigade und in der Kulturarbeit – auch in unserem Ferienzentrum Neumannshof an der Saale. Hier in diesem Saal trat unsere LPG-Frauentanzgruppe Oberoppurg auf. Die Gesichter der Tänzerinnen waren originell als Larven nach hinten gerichtet.
Vermerkt habe ich auch die Spitzenleistungen der Oppurger Kühe, die in 16 Jahren 100 Millionen Liter Milch an den Milchhof Scheßlitz bei Bamberg zur Herstellung allerbester Frischmilch und von Extrakäse – auch zum Export nach Italien – lieferten. Die Auszeichnung für Spitzen-Braugerste ist von mir ebenso festgehalten worden wie der uns in DDR-Tagen verliehene Karl-Marx-Orden, den wir bis heute in Ehren halten.
Die bisherigen Vorstände der LPG und die Leitung der Kooperationsgemeinschaft „Orlatal“ Oppurg sowie zahlreiche fleißige Genossenschaftsbäuerinnen und Bauern werden in meinen Büchern erwähnt.
Ein großer Teil unserer LPG wurde schon vor Jahren von ihr abgeteilt, um eine Extra-Agrargenossenschaft Ludwigshof entstehen zu lassen, die sich mit spezieller Arzneidrogenproduktion befaßt. Heute wirtschaftet sie auf 755 Hektar mit Trocknungsanlage – eine der größten Einrichtungen dieser Art in der BRD. Unsere ehemalige Oppurger LPG-Hauptbuchhalterin Louise Hauke wurde deren Vorsitzende.
Durch meine Niederschriften kann jeder erfahren, wie sich damals die Entwicklung in den Dörfern unserer Region vollzog. In einigen Orten gab es zwei landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften – eine vom Typ I, wo nur das Land gemeinsam bewirtschaftet wurde, und eine andere vom höheren Typ III, in welche auch die Viehwirtschaft einbezogen war.
Jahrelang unterhielten wir enge Partnerschaftsbeziehungen zur LPG Korten in Bulgarien. Es handelte sich dabei um einen fachlich-kulturellen Austausch, bei dem auch Urlauber hin und her reisten. Unvergessen sind mir sowjetische Soldaten und vietnamesische Helfer bei der Lagergetreideernte sowie im Gartenbau, aber auch die intensive Mithilfe von Einwohnern aus dem Ort. Wir haben Berufskollegen aus Pskow bei Leningrad, aus Norwegen, Zypern, Polen, Frankreich und der ČSSR empfangen.
In der Chronik sind örtliche Höhepunkte beschrieben und im Bild festgehalten worden. Dazu gehörte zweifellos das Wiedereinsetzen von Wildpferden nach 12 000 Jahren in der Döbritzer Schweiz. Ganz wichtig war mir auch die Erinnerung an das 50jährige Bestehen der Oppurger Arztpraxis Dr. Büttners. Ihr neues Gebäude wurde 1969 fertiggestellt, wobei den Löwenanteil der Arbeit unsere LPG-Baubrigade bewältigte, die auch alle anderen Häuser im Umfeld der Praxis errichtet hat.
Selbst im hohen Alter drängt es Annelies und mich, noch ein bißchen mitzumachen. Von den Fenstern unserer einstigen Bodenreform-Wirtschaft, die mein Großvater, mein Vater und ich gebaut haben und die 1951 von Menschen mit Tieren bezogen wurde, können wir zuschauen, was auf den großen Feldern zwischen Rehmen und der Döbritzer Schweiz heute in der Feldwirtschaft geschieht.
Ich halte es für sehr unklug, daß die Brüsseler EU-Zentrale landwirtschaftliche Großbetriebe weniger als bisher unterstützen und besonders die Genossenschaften in Ostdeutschland, die ganz überwiegend aus großen LPGs hervorgegangen sind, bei der finanziellen Förderung zurückschrauben will. Diese Aktion betrifft auch unsere Landgenossenschaft Oppurg eG. Sie richtet sich gegen größere Schläge und Ställe, propagiert unter Öko-Vorwänden die Rückkehr zum Kleinbetrieb. Würde sich diese Linie durchsetzen, gäbe es auf unserer Erde nicht nur 842 Millionen Hungernde, sondern einige hundert Millionen mehr. Dagegen gilt es gemeinsam aufzutreten.
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