Die letzten Wochen vor
der Oktoberrevolution (Teil 4)
Die Revolution sollte ausgehungert werden
Ende Juli 1917 hatte sich die Lage in Rußland zunächst zuungunsten der revolutionären Arbeiter und Bauern verändert. Die großen Demonstrationen in der Hauptstadt Petrograd hatten mit einer Niederlage geendet. Der Bourgeoisie war es gelungen, mit Hilfe regierungstreuer Truppen und der Unterstützung der kleinbürgerlichen Parteien der Menschewiki und Sozialrevolutionäre die gesamte Macht an sich zu reißen. Jetzt konzentrierte sie sich ganz darauf, die revolutionäre Bewegung völlig zu zerschlagen.
Ein Mittel dazu war, mit der „knöchernen Hand des Hungers die Revolution an der Kehle zu packen und zu erwürgen“, wie es der Millionär Rjabuschinski auf einem Kongreß des Gesamtrussischen Handels- und Industrieverbandes formulierte. Um dieses Ziel zu verwirklichen, trieb die Bourgeoisie die wirtschaftliche Zerrüttung des Landes noch weiter voran.
In diesem dritten Kriegsjahr lag der Eisenbahnverkehr des Landes bereits darnieder. Die Rohstofflieferungen für die Fabriken gingen zurück. Die Kohleförderung verringerte sich. Die Inflation grassierte. Die Preise für Lebensmittel stiegen im Vergleich zum Vorkriegsjahr um das Neun- bis Zwölffache, während die Löhne höchstens um das 3,5fache erhöht worden waren. Im August 1917 verdoppelte die Provisorische Regierung die Brotpreise, während sie gleichzeitig jegliche Lohnerhöhung verbot. Die Hungersnot wuchs. Hand in Hand mit dem Versuch, die Revolution „auszuhungern“ ging die brutale Verfolgung der Partei der Bolschewiki und ganz besonders ihres Führers. Um den Mordplänen der Reaktion zu entgehen, mußte Lenin den Kampf aus der Illegalität heraus fortführen. Als Schnitter verkleidet hielt er sich zunächst in Rasliw auf. Dort entwickelte er aufgrund einer exakten Einschätzung der neuen Bedingungen die Taktik für den weiteren Kampf der Bolschewiki.
Diese Frage stand auch im Mittelpunkt des Sechsten Parteitages der SDAPR(B); also der Bolschewiki. Er fand in der Zeit vom 8. bis 16. August 1917 in Petrograd statt und mußte infolge der Verfolgung durch die Reaktion halbillegal tagen. Mehrfach wurde der Versammlungsort gewechselt, Lenin wurde zum Ehrenvorsitzenden gewählt und leitete die Arbeit des Parteitages in Abwesenheit.
Die Delegierten konnten eine erfolgreiche Bilanz seit der ersten legalen Konferenz der Bolschewiki, der sogenannten Aprilkonferenz, ziehen. In den seitdem vergangenen drei Monaten hatte sich die Zahl der Parteigrundorganisationen von 76 auf 162 verdoppelt. 140 000 neue Mitglieder waren in die Partei aufgenommen worden, die jetzt 240 000 Mitglieder zählte. Besonders rasch war ihr Einfluß in den größten Industriezentren gewachsen.
Kurs auf den bewaffneten Aufstand
Der Parteitag folgte der Einschätzung Lenins, daß die Periode der friedlichen Entwicklung der Revolution beendet und der friedliche Übergang der Macht an die Sowjets unmöglich geworden war.
Angesichts der neuen Lage stellte der Parteitag die Weichen für den einzig möglichen Weg zum Sieg der Revolution: Er orientierte die Bolschewiki auf den bewaffneten Aufstand zur völligen Beseitigung der Diktatur der Bourgeoisie. Allerdings rief er nicht zur sofortigen bewaffneten Aktion auf. Der neue Aufschwung der Revolution, von Lenin als unerläßliche Bedingung für den bewaffneten Aufstand bezeichnet, war noch nicht eingetreten. Als Voraussetzung für den Erfolg sah Lenin, daß „dieser Aufstand mit einer machtvollen Erhebung der Massen gegen die Regierung und gegen die Bourgeoisie, zusammenfällt“. Den Zeitpunkt dafür sagte er bereits Anfang August für September oder Oktober voraus. „Das war verblüffend“, erinnerte sich später der Bolschewik Ordshonikidse. „Wir waren soeben geschlagen worden, er aber sagte den siegreichen Aufstand in ein bis zwei Monaten voraus.“ Lenin sollte recht behalten.
General Kornilow wird Oberbefehlshaber
Im August 1917 beschloß die Provisorische Regierung, mit den noch vorhandenen demokratischen Errungenschaften endgültig Schluß zu machen. In General I. G. Kornilow, der zum Obersten Befehlshaber ernannt wurde, fand sie den geeigneten Diktator, der auch den englischen, französischen und amerikanischen Imperialisten genehm war.
Kornilow bereitete den Feldzug gegen die Revolution vor. Am 14. August befahl er die Auflösung von 59 „kampfunfähigen Divisionen“. Als „kampfunfähig“ wurden vor allem revolutionär gesinnte Einheiten bezeichnet, die nicht gewillt waren, auf Befehl des Obersten Kommandos in sinnlosen Offensiven zu verbluten. Gleichzeitig gelang es dem Hauptquartier des Obersten Kommandos, bis Ende August 33 Stoßbataillone zum Kampf gegen die Revolution aufzustellen.
Der Umsturz wird vorbereitet
Am 16. August tagte in Moskau der II. Gesamtrussische Handels- und Industriekongreß, auf dem sich die „Beratung von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens“, die insgesamt 300 Vertreter reaktionärer Parteien umfaßte, konstituierte.
Hier wurden alle Einzelheiten des geplanten Umsturzes und der Errichtung der Militärdiktatur endgültig gebilligt. Am 22. August sandte der Kongreß ein Telegramm an General Kornilow, in dem es u. a. hieß: „Möge Ihnen Gott helfen bei Ihrer großen Tat … zur Rettung Rußlands!“
Die Staatsberatung
Am 25. August begann im Bolschoi-Theater in Moskau die von der Provisorischen Regierung einberufene Staatsberatung von Vertretern der Großbourgeoisie, der Gutsbesitzer, der Generalität, der Oberschicht der Kosaken, der Menschewiki und der Sozialrevolutionäre. Diese Beratung diente dem Ziel, alle konterrevolutionären Kräfte für die Niederschlagung der Revolution zu mobilisieren.
Das Zentralkomitee der Partei der Bolschewiki rief zu Massenkundgebungen der Arbeiter und Soldaten, zu Demonstrationen und Streiks gegen die Staatsberatung auf. Entsprechend diesem Appell traten die Arbeiter von Moskau und Umgebung am 25. August in einen allgemeinen Streik, an dem sich über 400 000 Menschen beteiligten.
Arbeiter und Soldaten hielten das nach Moskau beorderte Kosakenregiment auf und nahmen in Moskau kornilowtreue Truppenteile unter scharfe Kontrolle. „Der Streik vom 25. August in Moskau“, schrieb W. I. Lenin, „hat bewiesen, daß das aktive Proletariat für die Bolschewiki eintritt …“
Das Zentrum der Konterrevolution
Nach der Staatsberatung wurde das Hauptquartier zum Zentrum der Konterrevolution. Hier empfing General Kornilow Bankiers, Fabrikanten und Führer konterrevolutionärer Parteien. Im Hauptquartier versammelten sich die konterrevolutionären Generale zu ihren Beratungen.
In jenen Tagen schrieb der amerikanische Botschafter Francis an den Außenminister der USA: „Wir müssen alles in unseren Kräften stehende tun, um die hiesige Lage zu stützen und zu festigen.“ Um die Revolution mitten ins Herz zu treffen, wurde im Hauptquartier beschlossen, Petrograd den deutschen Truppen auszuliefern.
Gestützt auf UZ
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