RotFuchs 187 – August 2013

Zum Profil des ersten indigenen Präsidenten Boliviens

Die Moral des Evo Morales

RotFuchs-Redaktion

Evo Morales, der 54jährige Präsident der lateinamerikanischen Republik Bolivien, wurde auf dem Altiplano als Sohn einer indianischen oder – wie man heute sagt – indigenen Kleinbauernfamilie geboren. Schon früh trat der junge Mann ins politische Leben. 1988 nahm er als Delegierter am Gewerkschaftskongreß des Verbandes werktätiger Bauern teil. Neun Jahre später wurde er auf der Liste der Vereinigten Linken ins Parlament gewählt – und zwar zu Zeiten der scharf rechtsgerichteten und USA-hörigen Diktatoren Hugo Banzer und Jorge Quiroga. 2002 entzog eine „Ethikkommission“ der durch die Rechte beherrschten Kammer dem Abgeordneten Morales sein Mandat, weil er sich für das Recht der Bauern ausgesprochen hatte, den brutalen Attacken der Armee auch bewaffneten Widerstand entgegenzusetzen. Doch der Volkstribun gab nicht auf: Nur wenige Wochen später war er bereits der linke Alternativkandidat zu dem dann gewählten rechtsliberalen Präsidenten Sanchez de Losada. Auf Anhieb stimmten 20 % der Votierenden für Morales.

2003 entbrannten in Bolivien erbitterte Klassenschlachten, die etwa 100 Menschenleben forderten. Trotz des Terrors der Herrschenden eroberte die von Evo Morales gegründete Bewegung für den Sozialismus (MAS) Platz 1 unter den Parteien. Bei den Munizipalwahlen entfielen auf sie 18 % der abgegebenen Stimmen.

Am 19. Dezember 2005 wurde Evo Morales mit einem Anteil von 53,7 % erster indigener Präsident des Plurinationalen Staates Bolivien. Bei den nächsten Präsidentschaftswahlen im Dezember 2009 kam er sogar auf 64 %. Die MAS verfügt seit Jahren über die absolute Mehrheit in Boliviens Parlament.

Der Erfolg des Politikers, der für seine bescheidene, warmherzige und kontaktfreudige Art im Umgang mit der Landesbevölkerung bekannt ist, beruht nicht zuletzt auch auf seinem für lateinamerikanische Verhältnisse recht ungewöhnlichen Leitungsstil.

In einem Interview, das Morales im März während eines Paris-Aufenthalts der französischen Wochenzeitung „L’Humanité Dimanche“ gewährte, konnte der Bolivianer auf erstaunliche Leistungen verweisen. Ein paar Schlüsselbemerkungen seien im Folgenden zitiert: „Ich vertraue auf die sozialen Bewegungen. … Wir unterhielten immer gute Beziehungen zu Venezuela. … Wir gestatteten die Teilnahme der ärmsten Schichten und der indigenen Bevölkerung an der Machtausübung, was zur Konsolidierung unserer Revolution führte. … Wir sind nicht mehr von den Manövern der Botschaft der Vereinigten Staaten abhängig. Der letzte US-Missionschef konspirierte gegen uns. … Ich habe ihn rausgeworfen.“

Evo Morales hegt indes über Washingtons subversive Absichten keine Illusionen: „Wir müssen wachsam bleiben“, bemerkte er. Der Staatsstreich, mit dem 2009 im zentralamerikanischen Honduras ein linksbürgerlicher Präsident durch ein von der CIA koordiniertes Komplott der Oligarchien zu Fall gebracht worden sei, werde in Bolivien keineswegs als Bagatelle betrachtet. So etwas könne sich anderswo auf dem Subkontinent jederzeit wiederholen.

Evo Morales beugt sich nicht. „Mit Fidel (Castro) und dann mit Hugo (Chávez) haben wir die Furcht vor dem Imperium verloren“, sagte er. „Ich bin zu der Schlußfolgerung gelangt, daß es Ungleichheit, Ungerechtigkeit, Armut und Diskriminierung geben wird, wenn wir uns nicht des Kapitalismus entledigen.“ Das heutige Bolivien habe sich von der Kolonialisierung befreit.

Die bei den Wahlen erzielten Erfolge seien materiell untersetzt: Seine Regierung habe 1,3 Millionen Bolivier aus extremer Armut herausgeführt. Noch 2003 hätten 68,2 % der Landesbürger unterhalb der Armutsschwelle vegetieren müssen, jetzt liege die Quote deutlich niedriger. Die Arbeitslosigkeit betrage derzeit noch 5,5 %. Die Lage auch auf diesem Gebiet habe sich derart verbessert, daß etliche ins Ausland abgewanderte Landesbürger bereits wieder zurückgekehrt seien.

Die jüngste ökonomische Entwicklung Boliviens spricht für sich: Während der Staat 2005 erst 600 Millionen Dollar investierte, werden es 2013 nicht weniger als 6 Milliarden sein. Die Einnahmen der Republik aus der Erdölförderung stiegen von 300 Millionen auf über 4 Milliarden Dollar. „Wir haben die Verträge mit den „Multinationalen“ umgedreht: Heute lassen wir ihnen einen Profit von 18 %, während wir 82 % behalten, wobei die Förderung mit der gewährten Summe für sie immer noch sehr rentabel ist.“

Und auch diese Tatsache spricht Bände: Inzwischen besitzen sieben der elf Millionen Bolivier eigene Bankkonten. „Wir haben unsere Würde zurückgewonnen“, sagte Evo Morales der „Huma Dimanche“: „Wir entwickeln produktive Bereiche wie die Petrolchemie, den Eisenerzbergbau und die Gewinnung von Lithium. Heute gibt es im Plurinationalen Staat Bolivien ein allgemeines Altersrentensystem, das zuvor nicht existierte. 800 000 Personen beziehen eine Form von Sozialhilfe, die bei uns als ‚Rente der Würde‘ bezeichnet wird. Ein neues Gesetz über finanzielle Dienstleistungen verpflichtet die Banken, einen Teil ihrer Jahreseinnahmen für die ökonomische Entwicklung des Landes zur Verfügung zu stellen“, fügte Evo Morales hinzu.

„In den Familien unserer Führer bereichert sich niemand“, betonte der Präsident. „Ich selbst habe mein Gehalt von 40 000 Bolivianos auf 15 000 heruntergesetzt. Daher gibt es Gewerkschaftsführer, die mehr als der Staatschef verdienen, doch das ist mir egal.“

Evo Morales, von der Zeitung als „diskret und schlicht“ geschildert, beantwortete überdies Fragen des Brüsseler PTB-Organs „Solidaire“. „Unser Modell besitzt eine ökonomische Basis: Wir haben die natürlichen Ressourcen verstaatlicht und anschließend die bestehenden Verträge mit ausländischen Unternehmen modifiziert“, sagte er. Man müsse eine Harmonie zwischen dem Menschen und der Natur – der Mutter Erde – herbeiführen, Die beste Art, den Menschen zu verteidigen, sei zuerst, die Natur zu bewahren. „Wenn wir den Planeten zerstören, haben Menschenrechte keinen Sinn mehr!“ sagte Morales. „Wir wollen, daß Wasser, Elektrizität und Telekommunikation Gemeineigentum sind. Der Staat muß eine wichtige Rolle in der Volkswirtschaft spielen und den sozialen Fortschritt garantieren.“

RF, gestützt auf „L’Humanité dimanche“, Paris, und „Solidaire“, Brüssel