Zur Lage nach den jüngsten Sejm- und Senatswahlen in Polen
Die rechte Flut steigt an
Mit den Wahlen zum Sejm und zum Senat, die am 25. Oktober 2015 stattfanden, endete in Polen ein Wahlmarathon ohnegleichen. Fünfmal nacheinander waren die Bürger zu den Urnen gerufen worden – Ergebnis: Die politische Bühne des Landes und seine Parteienszenerie haben sich drastisch verändert.
Unser Autor Zbigniew Wiktor am Rednerpult
Im Mai 2014 war das Europaparlament gewählt worden. Unter den polnischen Abgeordneten erhielten zwei das System tragende Parteien – die neoliberale Bürgerplattform (PO) unter Führung ihres damaligen Vorsitzenden und Ministerpräsidenten Donald Tusk (er leitet derzeit den Europarat) und die konservativ-katholische Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) von Jaroslaw Kaczynski – eine deutliche Mehrheit. Je vier Mandate gingen an die sozialdemokratische SLD und die faschistoide Partei der Neuen Rechten unter Korwin. Auf die negativ gewandelte polnische Bauernpartei entfielen drei Sitze.
Im November 2014 standen dann Kommunalwahlen an. Diese erbrachten annähernd ähnliche Resultate wie die Europawahlen. Gewinner waren PO und PiS. Beide Parteien waren ursprünglich aus der gegen Volkspolen in Stellung gebrachten reaktionären Gewerkschaft „Solidarnosc“ hervorgegangen. Seit dem Sieg der Konterrevolution ringen sie hart miteinander um die Macht. Die Arbeiter und die Werktätigen, denen sie einst zu dienen vorgaben, haben sie längst vergessen. Sie erfreuen sich der Unterstützung des inneren wie des ausländischen Kapitals sowie der Hilfe seitens der Europäischen Union, der USA, der NATO und des katholischen Klerus.
Jaroslaw Kaczynski und seine Ministerpräsidentin
Im Mai 2015 fanden dann Präsidentschaftswahlen statt. Mit einem Vorsprung von einer halben Million Stimmen gewann der PiS-Kandidat Dr. Andrzej Duda. Sein Sieg war ein Vorbote kommender Ereignisse, erlitt doch die PO wenig später eine schwere Niederlage. Damit hat die PiS die politische Initiative im Land übernommen.
Im September 2015 erfolgte in Polen eine Volksbefragung (Referendum). Der damalige Staatspräsident Bronisław Komorowski sah darin ein politisches Mittel zur Stärkung seiner Position im bevorstehenden Wahlkampf. Die drei Fragen des Referendums waren politisch unwichtig. Die Folge: Nur 7,6 % der Wahlberechtigten nahmen an der Abstimmung teil. In Polen spielt enorme Wählerabstinenz seit längerem eine große Rolle. Nur eine Minderheit der Wähler – weniger als 50 % – beteiligt sich an Abstimmungen. Die Präsidentenwahl bildete insofern eine Ausnahme: Hier gingen 60 % der Aufgerufenen zu den Urnen, während bei Kommunalwahlen nur 30 bis 40 % der Polen von ihrem Stimmrecht Gebrauch machen. Bei der Europawahl 2014 lag deren Anteil sogar noch darunter und betrug lediglich 23 bis 24 %.
Ganz EU: Kazcynskis Gegenspieler Donald Tusk
Nach meiner Meinung verbirgt sich hinter dem Verzicht auf Ausübung des Wahlrechts die große Enttäuschung der werktätigen Mehrheit, insbesondere der Arbeiterklasse des Landes. Der Nebel scheinheiliger Versicherungen von „Solidarnosc“ und der Volksverräter aus den Reihen der PVAP-Revisionisten/-Reformisten ist inzwischen der Erkenntnis gewichen, daß es sich bei dem derzeitigen System in Polen keineswegs um „demokratischen und menschlichen Kapitalismus“ handelt. Der Lebensstandard des Proletariats, von Millionen Arbeitslosen, Emigranten und besonders jungen Leuten ist radikal abgesunken. Die Folge besteht in Wahlverweigerung.
Die letzte Etappe des Abstimmungsmarathons bildeten dann die Parlamentswahlen im Oktober 2015. Die politische Bühne wurde einmal mehr von den beiden großen Parteien PO und PiS beherrscht. Auch die unter polnischen Verhältnissen als links geltende SDL, die Bauernpartei PSL und neue politische Subjekte spielten eine Rolle.
In Polen hat ein überwiegend reaktionärer Klerus das Sagen.
Unter diesen befand sich die Bewegung „Kukiz-15“, die den Namen ihres Führers Pawel Kukiz trägt. Hinzu kamen Die Moderne (M) und die neue Linksgruppierung Razem (Zusammen), die sich als linke Sozialdemokratie versteht. Übrigens ist Kukiz kein Neuling in der Politik und überdies ein alter Rocker. Er kam bei der Präsidentenwahl auf drei Millionen Stimmen und eroberte damit den dritten Platz. Kukiz fordert einen „radikalen Wechsel“. Seinen Anhang trifft er auf Rock-Bühnen. Er gibt sich als scharfer Kritiker des Systems aus und fordert Veränderungen sowie eine neue Verfassung. Sein Motto lautet: „Mein Herz schlägt für die Linke, aber gegen die Kommunisten. Ehren wir alle, die bis 1989 in Polen gegen sie gekämpft haben.“
Kukiz schätzt T-Shirts mit dem Symbol der polnischen Nazis (NSZ – Nationale Wehrmacht). Seine Hauptlosung war die Forderung nach einem „Wahlmehrheitssystem“, das eine „echte nationale Führungskraft“ schaffen sollte. Er erhielt starke Unterstützung von Jugendlichen und Arbeitslosen, die politisch unwissend sind und durch Nationalisten gesteuert werden. Dabei besitzt er gar kein echtes Partei- und Wahlprogramm. Sein Lieblingsslogan lautet: „Ich bin gegen Systeme. Das System muß verändert werden.“ In Wirklichkeit sind er und sein Führungskern aber scharf nationalistisch, autoritär und faschistoid. Bei der Sejmwahl kam Kukiz auf 43 Mandate. Seine Abgeordneten unterstützen die regierende Rechtspartei PiS.
Das Symbol der polnischen Faschisierer
Die unter dem Firmenzeichen „Die Moderne“ agierende Partei von Ryszard Petru folgt den Orientierungen der liberalen Großbourgeoisie und des Monopolkapitals. Ihr geistiges Hinterland schuf Leszek Balcerowicz, ehemaliger Stellvertreter des Ministerpräsidenten und Finanzminister. Dabei handelte es sich um die erste nichtkommunistische Regierung unter Mazowiecki (1989–1993).
„M“ wird durch Großbanken, Unternehmen des Auslandskapitals und wesentliche Teile der gehobenen Bourgeoisie Polens unterstützt. Ihre Gründung war deren Antwort auf die bereits erkennbare Schwächung der durch sie favorisierten PO. Sie wird durch die einflußreiche Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ gefördert.
„M“ verkündet: „Wir sind ganz neu und haben nichts mit den Fehlern und politischen Krisen der Vorgänger zu tun.“ Ihre Führer sind politisch-ideologisch gut vorbereitet und verfügen über reichliche Mittel. Während zunächst nur eine Zentrale bestand, hat der Aufbau territorialer Strukturen begonnen. Das Feld der polnischen Parteien wird – wie bereits erwähnt – durch die Gruppierung von Janusz Korwin ergänzt. Diese gibt sich „super-liberal“, tritt aber zugleich auch mit faschistoiden Losungen auf. Einer ihrer Slogans lautet: „Wir gehen nach Brüssel, um diesen Puff zu zerschlagen.“ Das hat ihr immerhin vier Mandate im Europaparlament eingebracht. Zuspruch erhält sie von ausländischen Euro-Gegnern und Euro-Skeptikern, die in Brüssel inzwischen 30 % ausmachen. Bei den Parlamentswahlen konnte diese Partei die Fünfprozenthürde allerdings nicht überspringen.
Die KP Polens stellte keine eigene Liste auf. Ihre Mitglieder und Sympathisanten boykottierten die Wahlen oder unterstützten andere linke Kräfte. Die politisch-organisatorische Situation der Partei ist als kritisch zu beurteilen. Seit zwei Jahren läuft gegen sie ein Strafverfahren mit der Bezichtigung, sie propagiere den „Totalitarismus“, was nach Artikel 256 des polnischen Strafgesetzbuches als Verbrechen gilt.
Die kleinbürgerliche Linke hat sich in Polen seit 27 Jahren durch Bündnisse mit linksdemokratischen Kräften, in letzter Zeit mit der neuen Partei Razem, herausgebildet.
All diese Parteien scheiterten an den Fünf- und Acht-Prozent-Hürden. Zum ersten Mal seit 27 Jahren verfügen sie über keine Sitze mehr im Parlament. Der Revisionismus, Opportunismus und der Verrat an den Interessen der Arbeiterklasse, die mit dem Entstehen und der Entwicklung der PVAP-Nachfolgepartei SDL verbunden waren, haben zu diesen bitteren Ergebnissen geführt. Die nacheinander von Ex-Präsident Alexander Kwasniewski, Ex- Ministerpräsident Leszek Miller und Ex-Parlamentspräsident Marek Borowski geführte SDL ging vom sozialdemokratischen Flügel der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei aus. Die beiden Erstgenannten waren Mitglieder des Politbüros der PVAP. Beim Untergang Volkspolens bezeichneten sie die Grundlagen der „Nachfolgepartei“ als „demokratischen und menschlichen Kapitalismus“. Die Mehrheit der einstigen Mitglieder und Sympathisanten dieser Partei erklärte dazu: „Nicht in unserem Namen! In Polen muß sich eine neue Linke formieren.“
Die Parlamentswahl war Grundlage für eine genauere Bilanz: Seit Jahren ist in Polen eine Verringerung der Bevölkerungszahl festzustellen. Seit 1989 sank sie von 40 auf 37,5 Millionen. Diese Situation wurde vor allem durch eine starke Emigrationswelle verursacht. Millionen chronisch Arbeitslose, von Armut und Obdachlosigkeit Betroffene (im Winter erfroren Hunderte), haben Arbeit in England, Irland, Skandinavien, der BRD und anderswo gesucht. Weitere Nägel zum Sarg sind derzeit die Krise in den Beziehungen zu Rußland und der faschistische Putsch in der Ukraine sowie die von der EU über Moskau verhängten Sanktionen. Dadurch erlitt der polnische Außenhandel, besonders mit Agrarprodukten, Verluste in Milliardenhöhe. Die meisten Kleinproduzenten haben ihre alten Märkte verloren.
Zugleich erfolgte eine zahlenmäßige Dezimierung der Arbeiterklasse, vor allem im Maschinenbau sowie in der chemischen, der Bau- und der Textil-Industrie. Diese Zweige wurden faktisch liquidiert, die Mehrheit der Arbeiter wurde entlassen. Früher dort Beschäftigte vegetieren an der Grenze des biologischen und sozialen Existenzminimums. Mehr als 50 % der polnischen Bevölkerung beziehen derzeit Niedriggehälter.
Ideologisch und teilweise auch politisch befinden sich große soziale Gruppen unter dem Einfluß des katholischen Klerus. Andere stehen unter dem Zepter der reaktionären Gewerkschaft „Solidarność“ und der rechtssozialdemokratischen Gewerkschaftszentrale OPZZ. Der öffentlichen Meinung zufolge sind jedoch die bürgerlichen Parteien schuld an der Misere.
Derzeit ist Polen ein riesiger Markt mit billigen Arbeitskräften. Manche Betriebe wurden zu reinen Montagefirmen für große Konzerne wie Volkswagen, Bosch und Whirlpool umgestaltet. Der polnische Wirtschaftsraum ist unter Konzernen und Banken der BRD, der USA, Frankreichs, Italiens und anderer Länder aufgeteilt. Wirtschaftlich-politischer Nachfolger dieser neuen polnischen Teilung ist nur dem Namen nach die nationale Bourgeoisie. Die führende Rolle spielen neue Kompradoren, Diener und Lakaien fremder Mächte. Wie in einstigen Kolonien werden sie gut finanziert und bezahlt.
International wurde Polen, das seit 1999 der NATO angehört, bisher von der Bürgerplattform (PO) repräsentiert. Sie unterhält enge Bindungen an die Europäische Union, den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank.
Im Ergebnis der PO-Wahlniederlage ist Kaczynskis PiS ans Staatsruder gekommen. Sie will den Spuren Viktor Orbans in Ungarn folgen, dessen Regime autoritär, faschistoid und teilweise sogar offen faschistisch ist. Die PiS verfügt im Sejm über eine absolute Mehrheit der Mandate (50 % plus 5), was aber nicht für eine Verfassungsänderung ausreicht. Dazu bedarf es einer Zweidrittelmehrheit (67 %). In beiden Kammern des Parlaments sind das 307 Sitze.
Die PiS verstärkt derzeit ihre Positionen in den örtlichen Organen, besonders den Wojewodschaften, wo noch die alten Koalitionen unter Einschluß der PO am Ruder sind. Es ist möglich, daß die PiS das Ergebnis der letzten Regionalwahlen vor zwei Jahren für ungültig erklärt und eine Verkürzung des Vierjahreszyklus durch Neuwahlen erzwingt.
Die politische Situation in Polen bleibt also weiterhin äußerst instabil. In den nächsten vier Jahren ist ein enormer Druck von rechts zu erwarten, der von Nationalisten, Kryptofaschisten und dem katholischen Klerus ausgeht. Natürlich ist auch Demagogie mit im Spiel. Die PiS-Regierung verspricht, sich für die Behebung der Nöte armer Leute und Kinderreicher einzusetzen. Jungen Familien stellt sie billigen Wohnraum in Aussicht. Das Rentenalter soll herabgesetzt, die Preise für Medikamente sollen subventioniert werden. Dazu brauchte man allerdings Hunderte Milliarden Złotys, fast ein doppeltes Staatsbudget. Doch Polens Kassen sind leer.
Über unserem Land schwebt die Drohung einer massiven Einschränkung der Bürgerrechte und eine Serie von Strafprozessen wie im Nachbarland Ukraine. Doch die Gefahr geht weit darüber hinaus. In der BRD werden Faschisten immer dreister. In Frankreich sammeln sie sich keineswegs nur in dem weiter erstarkenden Front National. Rechte Kräfte marschieren massiv in Österreich auf. In der Ukraine haben Faschisten, Bandera-Leute und Kryptofaschisten vor zwei Jahren im Putsch gesiegt und das Land mit dem Feuer des Bürgerkrieges überzogen. Die KP ist verboten. Die rechten Herren in Kiew werden von angeblich demokratischen Instanzen der USA und der EU unterstützt, natürlich auch durch alle polnischen Rechtskräfte.
Der Klassenkampf verschärft sich enorm. Die KP Polens muß unter den geschilderten Bedingungen ihren Widerstand gegen den Kapitalismus organisieren. Standzuhalten ist derzeit ihre wichtigste Aufgabe.
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