Eine Brüsseler Ausstellung erinnert
an das große Gemetzel in Flandern
Die Schau, die schaudern läßt
Am 28. Juli jährt sich zum 100. Male der Tag, an dem das österreichisch-ungarische Kaiserreich Serbien den Krieg erklärte. Das war der Auftakt zum großen Gemetzel des 1. Weltkrieges. Die Großmächte gerieten durch das Attentat von Sarajevo nicht Hals über Kopf in einen politischen Strudel, wie manche behaupten, sondern hatten schon lange zuvor aufgerüstet, um gewaltsam die bestehenden Einflußsphären in der Welt zu verändern.
Vom damals besiegten Deutschland wurde aus gleichem Grund 25 Jahre später versucht, mit einem zweiten Weltkrieg die Ergebnisse des ersten zu revidieren. Auch das scheiterte. Heute, nach 100 Jahren, soll das bisher mit militärischen Mitteln nicht Gelungene unter dem Konstrukt der EU auf politischem Wege erreicht werden: die Hegemonie des deutschen Imperialismus in Europa, und zwar unter Einschluß der Ukraine, des Baltikums und des Balkans.
Einziger Mißklang ist die Tatsache, daß sich Rußland weigert, seine Großmachtstellung preiszugeben, wobei es seine wichtigsten strategischen Positionen zu sichern bestrebt ist. Moskaus Reaktion kam für den Westen so überraschend wie energisch, daß aus den imperialen Herrschaftsansprüchen erneut ein Spiel mit dem Feuer geworden ist.
Mit dieser Gefahr konfrontiert, ist es wichtig und aufschlußreich zu erfahren, wie die Nachbarländer der BRD das Weltkriegs-„Jubiläum“ begehen. Seit Februar zeigt man im königlichen Armeemuseum von Brüssel eine bemerkenswerte Ausstellung.
Die belgische Metropole wurde nach der deutschen Besetzung zur Hauptstadt der Provinz Flandern und zum Sitz der Generalgouvernementsverwaltung. Allerdings hielt sich der Verwaltungsaufwand in Grenzen, denn Flandern wurde zu einem der blutigsten Kriegsschauplätze. Dort kam erstmals eine Massenvernichtungswaffe, das Giftgas „Yperit“, zum Einsatz, mit dem sich die vom belgischen Heer aufgehaltene deutsche Armee vergeblich den Weg nach Ypern bahnen wollte. Die Stadt gab der todbringenden Chemikalie den Namen. Erfolgreicher verlief das erste Bombardement der Kriegsgeschichte. Am Morgen des 6. August wurde von einem Zeppelin aus das befestigte Lüttich (Liège) attackiert, in das am nächsten Tag deutsche Truppen eindrangen. Flämische Orte wie Langemark symbolisieren noch heute die Schrecken des Krieges. Belgien erinnert daran mit der ersten bedeutenden Ausstellung zum Thema des 1. Weltkrieges. Sie trägt den Namen „Expo 14–18, es ist unsere Geschichte“.
Die Schau befindet sich an jenem Ort, wo auch die Darstellung des Weltkriegsgeschehens einsetzt: auf dem Gelände der Weltausstellung von 1910. Im „schönen Sommer von 1914“ wird Belgien zentraler Kriegsschauplatz, was auch in räumlicher Hinsicht plastisch gemacht wird, indem die 16 Kapitel der Ausstellung um diesen Mittelpunkt gruppiert sind. Das Kriegsende erlebt der Besucher auf einem Bild der Trümmerlandschaft stehend, während an der Leinwand die Opfer des Krieges gezählt werden.
Bindeglied zwischen den einzelnen Kapiteln ist die stete Gegenüberstellung von König Albert I. und Kaiser Wilhelm II. – als der „großen Gegenspieler“. Das Ganze erinnert an die Dramaturgie von Hollywoodfilmen. Die Konfrontation gipfelt im „Showdown“ der beiden Monarchen, das Albert I. in prächtiger Uniform glorreich gewinnt, während Wilhelm II. verbittert und einsam auf dem Bahnhof von Eijsden mit nichts weiter als einer Truhe, die er von sächsischen Ulanen und Grenadieren bekommen hatte, in das niederländische Exil reist. Eine gewisse historische Berechtigung besitzt diese Darstellung immerhin, denn schon 1904 hatte der deutsche Kaiser barsch vom belgischen König Unterwerfung unter die gegen Frankreich gerichteten deutschen politischen Ziele verlangt.
Interessanter als solche Hofgeschichten dürfte für die Besucher indes sein, etwas darüber zu erfahren, wie ihre Vorfahren unter den Bedingungen des Krieges gelebt haben. Die Kuratoren scheuten keine Mühe, dies anschaulich zu machen. In der bedrückenden Enge eines Schützengrabens kann man erleben, wie der Soldat seine Umgebung nur durch Sehschlitze wahrzunehmen vermochte. Kälte, Nässe, Ratten und Läuse müssen noch hinzugedacht werden. Wenn sich der Betrachter mit Grauen dem nächsten Ausstellungsgegenstand zuwenden will, wird ihn der Einschlag einer Granate erschrecken. Auch das Verweilen auf der Kommandobrücke eines Kriegsschiffes läßt keine Kreuzfahrtträume aufkommen. Man verspürt das Vibrieren und Tuckern des Diesels. Das Meer ist ein Höllenschlund, von dem man bei einem Treffer des schemenhaft am Horizont erkennbaren Feindes jederzeit verschluckt werden kann. Zahlreiche Dokumente, nachgebaute Amtsstuben, selbst Schenken zeigen, daß auch das Leben im Hinterland für keine der Seiten ein Zuckerschlecken war. Neben Hunger, Elend und barbarischer Willkür gab es Reglementierung bis ins Kleinste. Um das zu dokumentieren, wurden Originalunterlagen – von den Arbeitsbüchern der Belgier bis zur Badeordnung für deutsche Soldaten – zusammengetragen.
Auch die Profiteure werden vorgestellt. Dazu gehört das Unternehmen Mauser, das neben anderem Kriegsgerät das modernste Infanteriegewehr produzierte. Wahrend der Chauvinismus kochte, durften sich die Soldaten der Feindstaaten aus Waffen gleicher Produktion wie der Belgian Mauser M1889, mit der über die Fronten hinweg ihre Armeen ausgerüstet wurden, unter Feuer nehmen. Die Firma ist übrigens einer der Vorläufer des bundesdeutschen Rüstungskonzerns Rheinmetall.
Weihnachten 1914 fiel auf dem Frontabschnitt zwischen Mesen und Nieuwkapelle den deutschen und britischen Soldaten in den Schützengräben auf, daß sie am 24. Dezember die Geburt des gleichen Gottes feierten. Sie verweigerten den Gehorsam und stellten das Feuer ein. Doch schon bald machten ihnen die kirchlichen Oberhirten klar, daß sie „für Gott und Vaterland“ aus allen Rohren gleich welcher Herkunft aufeinander zu schießen hätten.
Zu den Vorzügen der Ausstellung gehört auch, daß andere in Vergessenheit geratene Episoden ins rechte Licht gerückt werden. Dazu gehört, daß auf der Brüsseler Weltausstellung von 1910 wie übrigens auch im Berliner Zoo „Eingeborene“ aus afrikanischen Kolonien als lebende Exponate gezeigt wurden. Damals stellten sie in ihrer Heimat eigene militärische Kontingente unter Aufsicht der belgischen Kolonialmacht. Heute werden sie gleichberechtigt unter den Opfern mit aufgeführt.
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