DDR wie BRD gehörten zeitweilig dem UN-Sicherheitsrat an
Die Uneinigen bei den Vereinten Nationen
Hinter den beiden deutschen Staaten lag bereits eine 24jährige Geschichte, als sie am 18. September 1973 in ein und demselben Verfahren UNO-Mitglieder wurden. Die Beziehungen zwischen ihnen waren in den 50er und 60er Jahren keineswegs brüderlich oder schwesterlich gewesen. Die BRD wollte die DDR permanent schlucken, bis diese durch die Schutzmaßnahmen vom 13. August 1961 der Ostexpansion einen Riegel vorschob. Galt bis dahin für die BRD-Außenpolitik im Hinblick auf die DDR Bonns berüchtigte Hallsteindoktrin der Alleinvertretungsanmaßung, so orientierte sich die Brandt-Regierung in dieser Frage neu. Ergebnis: In einem widerspruchsvollen Prozeß gingen Brandt (und Bahr) zur ebenfalls imperialistischen Strategie eines „Wandels durch Annäherung“ über. Das geschah in Abstimmung mit Kennedys Politik des „Peaceful Change“ (friedlicher Wechsel). Erst mit dem 1972 abgeschlossenen Grundlagenvertrag zwischen DDR und BRD entstanden Bedingungen, welche die Aufnahme beider deutscher Staaten in die UNO ermöglichten.
DDR-Staatsratsvorsitzender Walter Ulbricht hatte zwar schon am 28. Februar 1966 einen entsprechenden Antrag gestellt, doch das Aufnahmeverfahren für UNO-Mitglieder verlangte, daß keine der fünf Vetomächte Einspruch erhob. Mit anderen Worten: Entweder wurden beide deutsche Staaten oder keiner von ihnen akzeptiert.
Die DDR stand für Friedenspflicht, das Streben nach Abrüstung und Völkerfreundschaft. Bonn verfolgte bekanntlich einen konträren Kurs. Viele UNO-Mitgliedsstaaten stellten sich nach der Einbeziehung von DDR und BRD die bange Frage: Werden die deutsch-deutschen „Querelen“ nun auch auf die Vereinten Nationen übertragen?
BRD-Kanzler Brandt erklärte bei der Aufnahmezeremonie in New York: „ Wir sind nicht hierhergekommen, die Vereinten Nationen als Klagemauer für die deutschen Probleme zu betrachten oder um Forderungen zu stellen, die hier ohnehin nicht erfüllt werden können.“ DDR-Außenminister Otto Winzer unterstrich, daß im Grundlagenvertrag die Regeln für friedliche Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten endgültig und unbefristet festgelegt worden seien.
Die Vertreter von DDR und BRD bei der UNO sind diesen Grundsätzen bis zum September 1990 treu geblieben. Die UNO und deren Institutionen wurden kein Ort für wechselseitige Beschuldigungen. Auch BRD-Außenminister Genscher wußte in seinen New Yorker Reden noch nicht, daß die DDR – wie er später meinte – ein „Unrechtsstaat“ sei. Natürlich bedeutete das keineswegs, daß es zwischen den UNO-Diplomaten beider deutscher Staaten „brüderliche“ oder freundschaftliche Beziehungen gegeben hätte. Otto Winzer hatte schon 1973 auf die Gegensätzlichkeit der jeweiligen Entwicklung und ihrer Außenpolitik hingewiesen.
Der Mitarbeiter der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung Wilhelm Bruns hat in seinem Buch „Die Uneinigen bei den Vereinten Nationen“ und in einer Reihe von Studien das Abstimmungsverhalten von DDR und BRD in der UNO gründlich analysiert und dokumentiert. Aus seinen Recherchen ergibt sich: Für die DDR galt die Regel, generell mit der UdSSR und den anderen sozialistischen Staaten zu votieren. Andererseits berücksichtigte die BRD ihre „Westorientierung“, was sie oft in Konfliktsituationen brachte und häufig gegen eigene Interessen handeln ließ.
Bei den Abstimmungen zu Apartheid, Neokolonialismus, dem Nahostkonflikt und ähnlichen Themen fielen die entgegengesetzten Positionen beider deutscher Staaten besonders ins Gewicht. So stimmte die DDR mit der überwältigenden Mehrheit der anderen UNO-Mitglieder stets gegen die Apartheid, während sich die BRD in dieser Frage meist vornehm der Stimme enthielt.
In den 70er und 80er Jahren wurde die völkerrechtswidrige Aggressions- und Okkupationspolitik Israels immer aufs neue verurteilt. Die DDR war auch hier auf seiten der Mehrheit, während es für die BRD zunehmend schwieriger wurde, Balance zu halten. Die Entscheidung in Sachen Sicherheit, Frieden, Abrüstung und Entkolonialisierung ähnelte dem. Allein 1977 gehörte die DDR bei mehr als 20 hierzu eingebrachten Resolutionen zu den Unterzeichnern.
In der 1995 entstandenen Studie „Deutschland und die Vereinten Nationen“ wurde rückblickend festgestellt, daß die BRD bei etwa zwei Dritteln der UNO-Plenarabstimmungen von der Mehrheit abwich, während sich die DDR überwiegend in deren Kreis befand. Die häufige BRD-Abstinenz wurde am New Yorker East River spöttisch als „The German Vote“ belächelt. Beide deutsche Staaten waren, was heute etwas in Vergessenheit geraten sein dürfte, für jeweils zwei Jahre Nichtständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates. Wie ich aus persönlichem Erleben weiß, hat sich der stellvertretende DDR-Außenminister Peter Florin auch auf dem UNO-Parkett hohes Ansehen erworben.
In den Institutionen der Vereinten Nationen gab es übrigens keinerlei Vorgänge, welche das Ende der DDR befördert oder begünstigt hätten. Selbst in der Rede Genschers vom September 1989 fehlte ein solches Signal.
Seit dem 3. Oktober 1990 gibt es anstelle der beiden deutschen Staaten nur noch die BRD in den UNO-Gremien. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte der Abgang der DDR geradezu als Posse bezeichnet werden. Ihm waren die Zwei-plus-vier-Verhandlungen vorausgegangen. Gorbatschows UdSSR –Verbündeter der DDR und Veto-Macht im UN-Sicherheitsrat – bot bald darauf den sozialistischen deutschen Bruderstaat wie Sauerbier an. Markus Meckel, de Maizières grotesker Außenminister, vertrat in allen Verhandlungen Genschers Forderungen, nicht aber die Interessen von DDR-Bürgern.
Doch es gab bei der Geschichte noch eine Peinlichkeit: Selbst in der Endphase des Bestehens der DDR mußte die BRD den von ihr verhaßten Staat wie bisher formell als souveränen und gleichberechtigten Partner anerkennen, um deren Unterschrift unter den Zwei-plus-vier-Vertrag zu erlangen. Wenig später wurde die DDR in der UNO regelrecht stranguliert. Die Prozedur war absolut würdelos. Im September 1990 schrieb „DDR“-Ministerpräsident Lothar de Maizière an UN-Generalsekretär Perez de Cuellar, diesen Staat gebe es nicht mehr. Er möge alle UN-Mitglieder und Institutionen davon in Kenntnis setzen. Genscher wiederum ließ den Generalsekretär nach der Annexion der DDR wissen, daß sich „beide deutsche Staaten in einem Staat vereinigt“ hätten.
Im September 2013 waren es 23 Jahre her, daß dieses auf die bekannte Weise „wiedervereinigte“ BRD-Deutschland der UNO angehört. Ist die Welt mit dessen Unterstützung sicherer und friedlicher geworden? Oder zählt der imperialistische deutsche Staat nicht zu jenen, welche das Völkerrecht permanent brechen und unterlaufen?
In penetranter Manier setzt die BRD ohne Unterlaß ihre Forderung nach einem Ständigen Sitz im Sicherheitsrat auf die Tagesordnung, während zugleich die Furcht vor diesem Deutschland in immer mehr Ländern zunimmt. Berlin verwendet Begriffe wie „Normalität“ und „Verantwortungsübernahme“ immer dann, wenn „Auslandseinsätze“ der Bundeswehr-Interventen zu begründen sind. Wo bleiben da die Erfüllung des Vermächtnisses der Millionen Opfer des deutschen Faschismus, die Forderungen des Grundgesetzes und des Völkerrechts? Und: Wie wird die BRD den hehren Prinzipien der UNO-Charta gerecht?
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