RotFuchs 210 – Juli 2015

Die USA, ihr Führungsanspruch
und was dahintersteckt

Dr. Wolfgang Bittner

Offensichtlich können wir über die Spionagetätigkeit der NSA (National Security Agency), die Ukraine-Krise, Aggressionen der westlichen Allianz gegen Rußland, über Lügen von Politikern oder falsche Medienberichterstattung schreiben, was wir wollen – es hat kaum Auswirkungen. Edward Snowden, Julian Assange und Chelsea (Bradley) Manning können aussagen und beweisen, was sie möchten – alles bleibt, wie es war.

Natürlich konnte man Snowden, Assange und Manning nicht völlig verschweigen. Aber das Interesse der Medien hielt sich in engen Grenzen, nachdem sich die erste Empörung gelegt hatte. Und die meisten Politiker waren und sind den Whistleblowern nicht gerade wohlgesonnen, weil sie – abgesehen von Geheimnisverrat – gegen die US-Staatsräson verstoßen haben und weil die Regierung der Vereinigten Staaten wie deren Geheimdienste erpresserischen Druck auf jeden ausüben, der ihnen nicht folgt.

Überdies paktieren nicht wenige führende Politiker und Journalisten ohnehin mit Organen der USA. Das ist unglaublich, wurde jedoch mehr als einmal öffentlich, zum Beispiel, als das Flugzeug des bolivianischen Staatspräsidenten Evo Morales in Wien zur Landung gezwungen und durchsucht wurde, weil die US-Regierung Edward Snowden an Bord vermutete – ein eklatanter Verstoß gegen das Völkerrecht.

Man kann gar nicht so viel Verschwörungsphantasie haben, wie die westlichen Geheimdienste und deren Agenturen an Verschwörungen realisieren. Die Wissenschaftler Uwe Krüger („Meinungsmacht“) und Daniele Ganser („NATO-Geheimarmeen in Europa“) haben recherchiert, daß viele maßgebliche Politiker und Journalisten den vom US-Außenministerium, der CIA und anderen interessierten Stellen initiierten Think Tanks (Denktanks) nahestehen oder angehören, was gravierende Folgen für die europäische Politik und die Medienberichterstattung hat.

Inzwischen kann auch als erwiesen gelten, daß die Ukraine-Krise durch die USA und die EU inszeniert wurde, um gegen Rußland vorgehen zu können. Zu Recht warf der sowjetische Ex-Präsident Michail Gorbatschow den USA und der NATO vor, die europäische Sicherheitsstruktur durch Erweiterung des westlichen Verteidigungsbündnisses zerstört zu haben. In einem Gespräch mit dem „Spiegel“ warnte er vor einem „großen Krieg“ in Europa, der „heute wohl unweigerlich in einen Atomkrieg münden“ würde. Dem US-Präsidenten, der Rußland als Gefahr bezeichnet hatte, entgegnete er: „Es gibt eine große Seuche – und das sind die USA und ihr Führungsanspruch.“

In der Tat zeichnet sich mehr und mehr die Strategie der westlichen Allianz unter Führung der USA ab, Rußland als Machtfaktor der internationalen Politik auszuschalten und durch Wirtschaftssanktionen, Beeinflussung der Kapital- und Energiemärkte sowie die aufgebürdeten Kosten für Nachrüstung zu ruinieren. Ganz offensichtlich ist es das Ziel, Osteuropa einschließlich Rußlands den westlichen Kapitalinteressen aufzuschließen und den imperialen Zielen der USA zu unterwerfen.

Antiamerikanismus? Es gibt keine kollektive Identität! Wir wenden uns mit dem Recht der an Washingtons Politik Verzweifelnden gegen die Zerstörung von Ländern durch die USA, gegen Kriegshetze, Militarisierung und Aufrüstung, gegen Totalüberwachung durch die NSA, Drohnenmorde und Folter sowie die Indoktrinierung ganzer Völker durch bestimmte Mediennetzwerke. Antiamerikanismus? Offensichtlich handelt es sich dabei um einen von der CIA geprägten Kampfbegriff wie „Putinversteher“ oder „moskauhörig“.

Der einstige Chefsicherheitsberater des USA-Präsidenten Zbigniew Brzezinski, der 1997 in seinem Buch „Die einzige Weltmacht“ die geopolitische Strategie der USA nach dem Untergang der Sowjetunion entwickelte, schrieb seinerzeit: „Inwieweit die USA ihre globale Vormachtstellung geltend machen können, hängt aber davon ab, wie ein weltweit engagiertes Amerika mit den komplexen Machtverhältnissen auf dem eurasischen Kontinent fertig wird – und ob es dort das Aufkommen einer dominierenden, gegnerischen Macht verhindern kann.“

Für die einzige Supermacht USA sei – so Brzezinski – Eurasien „das Schachbrett, auf dem sich auch in Zukunft der Kampf um die globale Vorherrschaft abspielen wird“. In diesem Kontext ist auch die Äußerung Henry Kissingers vom 2. Februar 2014 in einem CNN-Interview zu werten, wonach der Regimewechsel in Kiew sozusagen die Generalprobe für das sei, „was wir in Moskau tun möchten“.

Die USA haben es geschafft, Europa wieder zu spalten, die sich über Jahre hinweg verbessernden Handelsbeziehungen zwischen Rußland und Deutschland wesentlich zu reduzieren und eine akute Kriegsgefahr in Europa heraufzubeschwören. Das alles hat Methode, wie der Rede George Friedmans, eines der Bellizisten der Republikanischen Partei, zu entnehmen ist. Der Direktor des US-Think Tanks STRATFOR (Strategic Forecasting Inc.) sagte am 4. Februar 2015 vor dem Chicago Council on Global Affairs: „Das Hauptinteresse der US-Außenpolitik während des letzten Jahrhunderts, im Ersten und Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg waren die Beziehungen zwischen Deutschland und Rußland. Weil sie vereint die einzige Macht sind, die uns bedrohen kann. Unser Hauptziel war sicherzustellen, daß dieser Fall nicht eintritt.“

Die Hauptsorge der USA sei – so Friedman –, daß „deutsches Kapital und deutsche Technologie sich mit russischen Rohstoff-Ressourcen und russischer Arbeitskraft zu einer einzigartigen Kombination verbinden“. Diese „deutsch-russische Kombination“ werde dadurch verhindert, „daß die USA einen ‚Cordon sanitaire‘ (Sicherheitsgürtel) um Rußland herum aufbauen“. Weiter stellt Friedman fest: „Die Vereinigten Staaten kontrollieren aus ihrem fundamentalen Interesse alle Ozeane der Welt. Keine andere Macht hat das jemals getan. Aus diesem Grund intervenieren wir weltweit bei den Völkern, aber sie können uns nicht angreifen. Das ist eine schöne Sache.“

Wenn wir diese Hybris, wie auch die Aussagen von Brzezinski und Kissinger zur Kenntnis nehmen, brauchen wir uns über nichts mehr zu wundern. Die meisten Politiker Europas in hohen Ämtern machen dieses Spiel mit. Der niederländische Politikwissenschaftler Karel van Wolferen spricht in diesem Zusammenhang von Atlantizismus als einem „europäischen Glauben“ und „Kind des Kalten Krieges“, der es Washington ermöglicht, „unerhörte Dinge“ zu tun, ohne deswegen gemaßregelt oder womöglich in Frage gestellt zu werden. Aber natürlich spielt bei allem der sogenannte militärisch-industrielle Komplex eine ausschlaggebende Rolle. Es geht letztlich um Kapitalinteressen.

Erfreulicherweise erkennen immer mehr Menschen, daß sie belogen und betrogen werden. Das läßt hoffen, daß eines Tages Millionen auf die Straße gehen, um gegen die aggressive Politik und die Kriegsvorbereitungen der von den USA dominierten NATO zu protestieren.