Wissenschaftliche Weltanschauung
Die Verschärfung des
ideologischen Klassenkampfes
Seit Mitte der 60er-Jahre hat der damalige „Deutschlandsender“ (später umbenannt in „Stimme der DDR“) eine auch in Westdeutschland gehörte und beachtete Sendereihe mit Vorträgen zu Fragen unserer wissenschaftlichen Weltanschauung ausgestrahlt, deren Manuskripte sich erhalten haben und die wir den Lesern des „RotFuchs“ in einer Auswahl zur Verfügung stellen – inhaltlich wurde nichts verändert, von unumgänglichen Kürzungen abgesehen. Man kann diese Vorträge lesen als Kapitel eines Geschichtsbuchs (dazu auch immer die Angabe des seinerzeitigen Sendetermins) und zugleich als Einführung in die Grundlagen marxistisch-leninistischen Denkens. Viele auch in den Vorträgen zum Ausdruck kommende Hoffnungen haben sich mit und nach der Konterrevolution von 1989/90 zerschlagen, manche Prognosen haben den Praxistest nicht bestanden. Wesentliche Erkenntnisse von Marx, Engels, Lenin und anderen unserer Theoretiker aber haben nach wie vor Bestand, an ihnen halten wir (gelegentlich deswegen als Ewiggestrige beschimpft) fest, sie wollen wir – auch mit dieser Serie – vermitteln.
Sendetermin: 15. März 1972
„In das letzte Drittel unseres Jahrhunderts ist die Menschheit in einer Situation eingetreten, in der sich die geschichtliche Auseinandersetzung zwischen den Kräften des Fortschritts und der Reaktion, zwischen Sozialismus und Imperialismus zuspitzt. Schauplatz dieser Auseinandersetzung ist die ganze Welt, sind die wichtigsten Bereiche des gesellschaftlichen Lebens: die Wirtschaft, die Politik, die Ideologie und die Kultur.“1
Mit diesen Worten charakterisierten die kommunistischen und Arbeiterparteien auf ihrer Beratung in Moskau 1969 die Klassenkampfsituation in der Welt. In dieser Einschätzung wird deutlich, daß sich der Klassenkampf zwischen Arbeiterklasse und Monopolbourgeoisie, zwischen Sozialismus und Imperialismus in einem vielschichtigen Prozeß vollzieht, der alle Seiten des Lebens umfaßt.
Als wir uns in den vorigen Folgen mit den verschiedenen Formen des Klassenkampfes beschäftigten, haben wir ja bereits erkannt: So wichtig es ist, die Hauptformen des Kampfes der Arbeiterklasse – den ökonomischen, politischen und ideologischen Klassenkampf – in ihren spezifischen Besonderheiten zu sehen, ebenso wichtig ist es zu begreifen, daß diese verschiedenen Formen des Klassenkampfes heute immer enger und untrennbarer miteinander verbunden sind. Deshalb wäre es auch falsch, wenn man das Hauptaugenmerk auf die eine oder andere Form des Kampfes richten und andere dabei vernachlässigen würde. Wenn wir uns heute trotzdem etwas näher mit einer dieser Hauptformen, nämlich dem ideologischen Klassenkampf, befassen wollen, so gibt es dafür einige gewichtige Gründe. Die Bedeutung des subjektiven Faktors, d. h. der Bewußtheit der Menschen im Kampf gegen den Imperialismus, wächst. Für einen Erfolg der weltweiten Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus sind die Entwicklung des Klassenbewußtseins der Arbeiterklasse, die Aneignung und Anwendung des Marxismus-Leninismus als Weltanschauung, die theoretische, politische und organisatorische Führung dieses Kampfes durch eine marxistisch-leninistische Partei entscheidende Bedingungen. Zugleich verstärkt die Monopolbourgeoisie ihre Angriffe gerade auf ideologischem Gebiet. Natürlich verzichtet sie nicht auf ökonomische Repressalien, auf politische Drohungen und militärische Abenteuer. Doch der Mißerfolg der verschiedenen imperialistischen Strategien der Stärke und der gewaltsamen Veränderung des Kräfteverhältnisses zwingt sie, sich den neuen Bedingungen anzupassen. Aber dieses Anpassen darf man nicht mit einem widerstandslosen Aufgeben der reaktionären, aggressiven Ziele verwechseln. Die herrschenden Kreise in den westlichen Ländern suchen vielmehr nach neuen, flexibleren Formen, um den Einfluß des Sozialismus zurückzudrängen, die antiimperialistische Bewegung zu schwächen und die organisierte Arbeiterbewegung in den kapitalistischen Ländern zu unterdrücken.
Dabei setzt man in zunehmendem Maße auf das ideologische Eindringen in den Sozialismus. Dem antikommunistischen amerikanischen Politologen Zbigniew Brzezinski bedeutet die ideologische Aushöhlung der sozialistischen Länder „die entscheidende Ursache politischen Wandels in den kommunistischen Gesellschaften“.2
Wir sehen also, daß die Verschärfung des ideologischen Klassenkampfes keine „ Erfindung“ der Kommunisten ist, daß sie nicht auf irgendwelchen Mißverständnissen beruht. Der ideologische Klassenkampf ist vielmehr zu einem Hauptfeld der Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus geworden; in ihm widerspiegelt sich der Grundwiderspruch unserer Epoche.
Nun wird manchmal die Frage gestellt, ob wir nicht angesichts der Friedensoffensive der Sowjetunion und der anderen sozialistischen Länder etwas weniger von Klassenkampf und etwas mehr vom Miteinander reden sollten. Ausgehend von der aktiven sozialistischen Politik der friedlichen Koexistenz wird gefragt, ob es denn nicht auch möglich wäre, auf ideologischem Gebiet eine solche Koexistenz zu verwirklichen, weil das die Menschen doch einander näherbrächte.
In einer solchen Fragestellung steckt jedoch eine Reihe illusionärer Vorstellungen. Zunächst einmal: „Die Menschen“, sozusagen jenseits aller Klassenbindungen, gab es weder vor 100 Jahren, noch gibt es sie heute. Zum anderen wird die friedliche Koexistenz häufig als etwas betrachtet, was irgendwo außerhalb der Klassenauseinandersetzungen liegt, was vielleicht lediglich vom „guten Willen“ oder dem „beiderseitigen Nachgeben“ geprägt sei. Aber die Bestrebungen nach friedlicher Koexistenz sind Bestandteil des politischen Klassenkampfes, das muß man unbedingt vor Augen haben. Es geht im Grunde darum, durch das Bündnis aller friedliebenden Kräfte den Imperialismus zu zwingen, auf Krieg und Gewalt als politische Mittel zu verzichten.
Zum anderen wird in einer solchen Fragestellung, wie wir sie vorhin nannten, die Illusion ausgedrückt, daß heutzutage die völlig entgegengesetzten Ideologien nebeneinander, ohne gegenseitige Beeinflussung, existieren könnten oder daß es vielleicht sogar möglich sei, eine neue, dritte Ideologie, die dazwischen liege, zu entwickeln.
Lenin hat sich in seiner Arbeit „Was tun?“ mit diesem Problem gründlich auseinandergesetzt und betont, daß die Frage auf ideologischem Gebiet nur stehen kann „bürgerliche oder sozialistische Ideologie. Ein Mittelding gibt es hier nicht … Darum bedeutet jede Herabminderung der sozialistischen Ideologie, jedes Abschwenken von ihr zugleich eine Stärkung der bürgerlichen Ideologie.“3
Jeder kann diese Erkenntnis Lenins in der Praxis überprüfen. Überall dort, wo nicht von den Positionen des Marxismus-Leninismus ausgegangen wird, wo die Einsicht in die gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten und die realen Bedingungen des Klassenkampfes fehlt, können sich bürgerliche und kleinbürgerliche Anschauungen behaupten und sogar stabilisieren. Gerade deshalb stehen die Aneignung, die Anwendung und die Verteidigung der wissenschaftlichen Weltanschauung der Arbeiterklasse im Mittelpunkt der ideologischen Arbeit jeder marxistisch-leninistischen Partei.
Das ist deshalb so wichtig, weil die Monopolbourgeoisie in ihren Mitteln zum ideologischen Eindringen in den Sozialismus nicht wählerisch ist. Nationale Verschiedenheiten, religiöse Überlieferungen, menschliche Schwächen wie Neugier, Eitelkeit, Vergnügungs- und Abenteuersucht sollen ausgenutzt werden, um die Werktätigen im Sozialismus zu bewußten oder unbewußten Trägern westlicher Ideen zu machen.
Diese Ziele streben die bürgerlichen Ideologen mit den verschiedensten Mitteln an. Aber immer richten sich die Angriffe auf die Geschlossenheit des Marxismus-Leninismus, auf die Führungsrolle der Arbeiterklasse und ihrer Partei, auf die politisch-moralische Einheit des Volkes im Sozialismus und den sozialistischen Internationalismus. Aus diesem Grunde propagieren sie auch mit viel Aufwand die „Entideologisierung“ der Beziehungen zwischen Sozialismus und Imperialismus.
Was verbirgt sich hinter diesem Begriff? Westliche Theoretiker und Publizisten versuchen, mit der Forderung nach „Entideologisierung“ die realen Widersprüche, die antagonistischen Klassengegensätze auf den ideologischen Bereich zu reduzieren. Die Ursachen der scharfen Auseinandersetzungen liegen dann „nicht in objektiven Problemen, überhaupt nicht in der Außenwelt, sondern im Menschen selber, in der subjektiven Einstellung der Verantwortlichen … zur Lösung der Probleme.“4
Wenn man also diese angeblich nur subjektiv bedingten unterschiedlichen Ideologien überwände, dann käme man zur „Harmonie“, zur „Einheit“ der Gesellschaft. Das soll in Form der „Entideologisierung“ erfolgen, die als eine Art „Entgiftung des persönlichen und gesellschaftlichen Lebens“, als ein „großartiger Vorgang der moralischen ,Sozialhygiene‘ “ betrachtet wird.5
Das aber ist nichts anderes als Idealismus und Subjektivismus. Die Ideologie erscheint hier völlig losgelöst von den gesellschaftlichen Bedingungen, von ihren ökonomischen und politischen Ursachen. Im ideologischen Klassenkampf treten sich eben nicht schlechthin Meinungen gegenüber, die man wegdiskutieren kann, sondern hier treffen unterschiedliche und unversöhnbare Klasseninteressen aufeinander. Diese Klasseninteressen prägen das Klassenbewußtsein der Arbeiterklasse – im ökonomischen, im politischen wie im ideologischen Kampf. Lenin schrieb dazu in „Was tun?“: „Das Bewußtsein der Arbeitermassen kann kein wahrhaftes Klassenbewußtsein sein, wenn die Arbeiter es nicht an konkreten und dazu unbedingt an brennenden (aktuellen) politischen Tatsachen und Ereignissen lernen, jede andere Klasse der Gesellschaft in allen Erscheinungsformen des geistigen, moralischen und politischen Lebens dieser Klassen zu beobachten; wenn sie es nicht lernen, die materialistische Analyse und materialistische Beurteilung aller Seiten der Tätigkeit und des Lebens aller Klassen, Schichten und Gruppen der Bevölkerung in der Praxis anzuwenden.“6
Das Gerede von der „Entideologisierung“ als einer Art „Sozialhygiene“ ist nichts anderes als der Versuch, die Arbeiterklasse ideologisch zu entwaffnen und sie der bürgerlichen Ideologie zu unterwerfen. Doch diese und ähnliche Versuche sind zum Scheitern verurteilt, weil die marxistisch-leninistische Weltanschauung durch die bewußte Führungstätigkeit der marxistisch-leninistischen Parteien immer tiefer in der Arbeiterklasse verwurzelt, weil sie zur Richtschnur für das Handeln und Verhalten von immer mehr Menschen wird.
Angesichts der Ausstrahlungskraft der sozialistischen Ideologie können die bürgerlichen Ideologen mit einem offenen, haßerfüllten Antikommunismus kaum noch auf Erfolg vor allem bei jungen Menschen rechnen. Sie bedienen sich deshalb in zunehmendem Maße solcher ideologischer Strömungen, die mit dem Anspruch auftreten, „bessere Marxismen“ zu sein als der gegenwärtig existierende. „Mit Marx gegen den Marxismus-Leninismus!“, das ist eine der Hauptparolen dieser Vertreter des sogenannten Neomarxismus. Sie entlehnen bestimmte Begriffe von Marx und Engels, um ihre Ziele besser tarnen zu können.
Wie wenig vom Marxismus in diesen Auffassungen wirklich enthalten ist, zeigt sich darin, daß alle diese Theorien die entscheidenden Bestandteile des Marxismus-Leninismus ablehnen, nämlich jene, die auf eine revolutionäre Veränderung der kapitalistischen Gesellschaft und den Aufbau des Sozialismus hinzielen. Ihr besonderer Angriff – und da sind sie sich mit den übelsten Antikommunisten einig – gilt der Diktatur des Proletariats, der führenden Rolle der Partei der Arbeiterklasse und der Stärkung des sozialistischen Staates. Bereits 1913 schrieb Lenin in dem Artikel „Die historischen Schicksale der Lehre von Karl Marx“ über diese Erscheinung im ideologischen Kampf folgendes: „Die Dialektik der Geschichte ist derart, daß der theoretische Sieg des Marxismus seine Feinde zwingt, sich als Marxisten zu verkleiden.“7
Sich im ideologischen Klassenkampf zurechtzufinden und die richtige, die Klassenposition der Arbeiterklasse zu beziehen, ist sicher nicht immer ganz einfach. Besonders jungen Menschen, die noch kaum Erfahrungen im Klassenkampf besitzen und sich noch nicht in genügendem Maße das ideologische Rüstzeug des Marxismus-Leninismus angeeignet haben, fällt es oft schwer, hinter den Phrasen und Heucheleien, hinter geschickten Fälschungen und Halbwahrheiten, hinter pseudowissenschaftlichen Argumenten den Klassengegner zu erkennen.
Gerade deshalb ist die ständige Beschäftigung mit der marxistisch-leninistischen Theorie von immer neuer Aktualität. Nur so kann man die vielfältigen Erscheinungen des Klassenkampfes richtig deuten, nur so gewinnt man eine feste Klassenposition, die selbstverständlich auch die eigene, ganz persönliche Aktivität einschließt.
Anmerkungen
- Die Aufgaben des Kampfes gegen den Imperialismus in der gegenwärtigen Etappe und die Aktionseinheit der kommunistischen und Arbeiterparteien, aller antiimperialistischen Kräfte. In: Internationale Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien, Moskau 1969. Berlin 1969, S. 13
- Z. Brzezinski in: „Die Zeit“ vom 3. 10. 1969, S. 21
- Lenin: Was tun? LW, Bd. 5, S. 396
- Erich Kellner: Wissenschaft und Ideologie. In: Christliche und marxistische Zukunft. München, o. J., S. 23
- Vgl. H.-D. Wendland: Grundzüge der evangelischen Sozialethik. Köln 1968, S. 139
- Lenin: Was tun? a. a. O., S. 426
- Lenin: Die historischen Schicksale der Lehre von Karl Marx. LW, Bd. 18, S. 578
Nachricht 264 von 2043
- « Anfang
- Zurück
- ...
- Eisenhower-Doktrin gegen eine
„kommunistische Bedrohung“ - Proklamierte Menschenrechte und Realität
- Deklaration zur Verwirklichung
der Menschenrechte - Die Verschärfung des
ideologischen Klassenkampfes - 50 Jahre Enzyklika „Über den gerechten
Fortschritt der Völker“ - Wie vor 115 Jahren Lenins
„Was tun?“ entstand - „Aurora“ heißt Morgenröte
- ...
- Vorwärts
- Ende »