Vom hellenischen Mut können sich
andere eine Scheibe abschneiden
Die Würde der Griechen
Am 5. Juli ist in Hellas eine historische Schlacht von kontinentaler Tragweite geschlagen worden. Es handelt sich dabei um keine Revolution, die ehrenhafte Voluntaristen ohne Rücksicht auf fehlende objektive und subjektive Voraussetzungen als „ersten Schritt zur unverzüglich darauf folgenden Beseitigung des Kapitalismus“ empfehlen, wohl aber um die Willensbekundung der Bevölkerungsmehrheit eines Mitgliedsstaates der EU und der NATO gegen Brüssel. Dort haben beide Würgezentralen ihre Hauptquartiere aufgeschlagen. Die Griechen sagten zu ihrer seit Jahren betriebenen Entwürdigung einfach nein. Hellas werde „mit Würde in Europa bleiben“, hatte Ministerpräsident Tsipras in nüchterner Bewertung der realen Situation und des gegenwärtigen Kräfteverhältnisses auf dem Kontinent nach Bekanntwerden des Abstimmungsresultats gesagt.
Fünf Jahre lang wurden die Griechen von der imperialistischen Troika aus Weltbank, EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds durch alle Syriza vorausgegangenen Regierungen – von der rechtsbürgerlichen Neuen Demokratie bis zur inzwischen fast zerriebenen sozialdemokratischen PASOK – in Armut gestürzt. Im gleichen Zeitraum sank das Bruttosozialprodukt um 25 %.
Sowohl Europas Spitzen-Kapitalverwalter Junckers als auch der eher einer Karikatur gleichende Rechtssozialdemokrat Martin Schulz als Maitre des Europaparlaments empfahlen Athens linker Syriza-Regierung, ihren Wahlversprechen zu entsagen und sich in „pragmatische Lösungen“ zu flüchten, um einen Rauswurf aus der Eurozone zu vermeiden. Diese Drohung war Erpressung pur.
Nach Bekanntwerden des Abstimmungsresultats erklärte Finanzminister Yanis Varoufakis, den nicht wenige politische Beobachter als fähigsten und standfestesten griechischen Staatsmann bezeichneten, seinen Rücktritt. Die Gründe dafür mögen außer taktischen Erwägungen vielfältiger Natur gewesen sein. Nach seinen Charakter, Geist und Stehvermögen beweisenden Auftritten in der Höhle des Löwen zog er sich – offenbar auch Wünschen von Premier Tsipras entsprechend – aus der ersten Reihe zurück. Sicher verspürte er persönlich kein Verlangen nach einer Wiederbegegnung mit den Ächtern der griechischen Ehre, die in ihrem „letzten Angebot“ noch drastischere Forderungen als zuvor erhoben hatten.
„Die Troika hat nie vorgehabt, Griechenland wirtschaftlich wieder auf die Beine zu stellen. Ihr einziges Ziel bestand von Beginn an darin, den Zusammenbruch des globalen Finanzsystems zu verhindern“, schrieb der freiberufliche Journalist Ernst Wolf. Man möchte hinzufügen: Vor allem ging es Brüssel um den Sturz der ersten linken Regierung in einem südeuropäischen Staat seit Jahrzehnten.
Das Ausblenden der sozialen Katastrophe in Griechenland habe dazugehört, um von der Verwerflichkeit der Politik der Troika (sämtliche „Hilfen“ waren an härteste Bedingungen geknüpft) abzulenken, schrieb Wolf. Die Darstellung der griechischen Schieflage als „selbstverschuldet“ sei von der Absicht diktiert gewesen, die eigene kriminelle Rolle zu verschleiern. Mit der ständigen Erwähnung von Korruption und Vetternwirtschaft habe man die Mehrheit der ums nackte Überleben ringenden Griechen in den Augen der BRD-Öffentlichkeit als undankbare Verschwender und gierige Empfänger von Hilfsmaßnahmen darstellen wollen.
Zu jenen marxistischen Parteien Europas, die mit der neuen Athener Regierung (bei allen hier und dort nicht grundlos geltend gemachten Einschränkungen) von der ersten Stunde an fair umgingen, gehörte die Belgische Partei der Arbeit (PTB). In ihrer Monatszeitschrift „Solidaire“ brachte sie ein beeindruckendes Interview mit Varoufakis. „Wir haben die großen Philosophen David Hume und Karl Marx angenommen“, erklärte dieser. „Die EU funktioniert gegenüber Griechenland wie ein äußerst harter Despot, der anderen seine Regeln gnadenlos aufzwingt“, stellte Varoufakis fest. Die Troika bestehe aus einer Gruppe von Technokraten, die durch Griechenlands Gläubiger nach Athen geschickt würden, um dem hellenischen Staat ein völlig unakzeptables Programm zu oktroyieren, das die Krise nur verschärfen könne. „Troika ist in Griechenland ein anderes Wort für Kolonialregime“, betonte Varoufakis.
Mit der griechischen Volksabstimmung sei ein in Europa ungewöhnlicher neuer Weg beschritten worden, statt sich – wie bisher – den Erpressern zu beugen. „Reformen“ seien stets ein Synonym für Angriffe auf die Schwächsten zugunsten des Kartells der Oligarchen gewesen. „Wir aber verstehen unter Reformen, die Oligarchie anzugreifen – von der Rentenfrage bis zu Änderungen in der praktischen Politik.“
Während die Massen feierten, gab KKE-Generalsekretär Dimitris Koutsoumbas eine Erklärung ab, in der er „Tausenden“ dankte, die von seiner Partei gedruckte ungültige Stimmzettel mit einem doppelten Nein – gegen Brüssel wie gegen Tsipras – in die Urnen geworfen hatten. Nach der Devise „Alles oder nichts“ hatte die in der internationalen Arbeiterbewegung hohes Prestige genießende traditionsreiche Partei der griechischen Kommunisten den zur Neinstimme Aufrufenden ihre Unterstützung versagt, was in 5,8 % ungültigen Stimmen resultierte.
Druck von links ist ohne Zweifel immer wichtig und richtig. Ob es indes taktisch klug war, sich am 5. Juli in der dargestellten Weise zu verhalten, wollen nicht wir beurteilen. Wer zu dieser Thematik mehr erfahren will, sollte Lenins wegweisende Arbeit „Der ,linke Radikalismus‘ – die Kinderkrankheit im Kommunismus“ noch einmal zu Rate ziehen.
Unser Glückwunsch gebührt den 61,3 % der Hellenen, die sich mit Würde für das Nein entschieden haben.
In einer Botschaft Fidel Castros an den Athener Regierungschef Alexis Tsipras heißt es:
„Ich beglückwünsche Sie zu ihrem strahlenden politischen Sieg, dessen Details ich über den Kanal TeleSur verfolgt habe. … Ihr Land, insbesondere sein Mut in der gegenwärtigen Lage, weckt unter den Völkern Lateinamerikas und der Karibik Bewunderung, wenn sie sehen, wie Griechenland gegen äußere Aggressionen seine Identität und Kultur verteidigt. …
Wir wünschen Ihnen, lieber Compañero Alexis Tsipras, den größtmöglichen Erfolg.“
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