RotFuchs 219 – April 2016

Dillinger und Killinger

Lutz Jahoda

Dillinger und Killinger: Namen, die Fernsehklamauk vermuten lassen könnten, gäbe es die Enzyklopädie des Internets nicht. Daher wissen wir, wer die zwei waren.

Beide trugen einen Oberlippenbart: John Herbert Dillinger einen schmalen, sympathisch eleganten nach Art der Hollywoodlegende Clark Gable. Manfred Freiherr von Killinger hatte sich für den Zweifingerfleck unter der Nase entschieden, wie ihn sein Herr und Meister Adolf bevorzugte.

Dillinger war Bankräuber in den USA, Killinger Schreibtischmörder in Deutschland. Das heißt, aus Sicht deutschnationaler Richter in der Weimarer Republik war Killinger nicht einmal das.

Was Dillinger und Killinger einte: Sie brachten selbst niemanden um. Dillinger hatte die Zuneigung vieler Amerikaner, weil es ihm mehrfach gelungen war, der Polizei zu entwischen. Killinger hatte die Sympathie aller völkisch-national Rechtsorientierten, vor allem der Judenhasser in Deutschland. Er gehörte zu jenen finsteren Gesellen, die man Wegbereiter des deutschen Unheils nennen darf. Als militärischer Chef der Geheimorganisation Consul (O. C.), hatte er dafür zu sorgen, die Weimarer Regierung zu destabilisieren. Für ihn eine willkommene Gelegenheit, sich vorerst jener Regierungsmitglieder anzunehmen, die mosaischer Herkunft waren.

Als Bayerische Holzverwertungsgesellschaft getarnt, residierte die Zentrale der Organisation Consul in München-Schwabing, Trautenwolfstraße 8, und finanzierte sich vornehmlich durch Waffenhandel und Waffenschmuggel. Mitglieder der O. C. waren Offiziere der aufgelösten Freikorpsverbände, die schon in Berlin und München eine Spur der Gewalt hinterlassen hatten. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg waren ihre ersten prominenten Opfer in Berlin. In München folgten dann Kurt Eisner, Ministerpräsident des von ihm ausgerufenen bayrischen Freistaates, und der Philosoph Gustav Landauer.

Am 9. Juni 1921 geschah der erste Mord einer neuen Serie, die auf das Konto der kooperierenden O. C. und der Münchner Einwohnerwehr ging. Karl Gareis wußte zuviel über die Waffenlager der Organisation Consul, über deren Waffenschiebungen und Gewalttaten, an denen auch Männer der Einwohnerwehr beteiligt waren. Das nächste Opfer war Matthias Erzberger. Zwei Anschläge waren bereits schiefgelaufen, also übernahm der ehemalige Torpedobootkommandant Killinger die Regie, wobei ihn nur eines interessierte, „daß der Jude Erzberger bei diesem dritten Versuch endlich ohne Wiederkehr über den Jordan zu gehen hat, selbst wenn er ein Kettenhemd tragen sollte“.

Am 26. August 1921 erledigten die Herren Marineoffiziere außer Dienst Heinrich Tillenssen und Heinrich Schulz diese Killinger-Order mit gezielten Kopfschüssen. Dabei hatte Erzberger als Reichstagsabgeordneter der Zentrumspartei und Leiter der deutschen Waffenstillstandsdelegation lediglich im Auftrag Hindenburgs den Versailler Vertrag mitunterschrieben.

Der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann, der als erster Ministerpräsident der Weimarer Republik am 20. Juni 1919 nach nur vier Monaten Regierungszeit zurückgetreten war, weil er sich geweigert hatte, den Versailler Vertrag unter diesen Bedingungen zu unterzeichnen, war dennoch auf der Todesliste der O. C. Am 4. Juni 1922 sollte der Auftrag mittels Blausäure erledigt werden. Scheidemann war zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Jahre Oberbürgermeister von Kassel. Man hatte ihn gewarnt, und er trug eine Pistole bei sich. Das Attentat mißlang. Der Mordanschlag auf Außenminister Walther Rathenau, nur zwanzig Tage später, glückte. Am 13. Juni, genau elf Tage vor dem Attentat, war Killinger trotz belastender Beweise seiner Mitschuld am Erzberger-Mord freigesprochen worden.

Nachdem Hitler an die Macht gelangt war, wurden die Mitglieder der Organisation Consul als Helden des „nationalen Widerstands“ gefeiert. Der freigesprochene Mordauftraggeber wurde 1935 Mitglied des Volksgerichtshofs. Wie passend! Doch schon ein Jahr später schickte ihn das Auswärtige Amt als Generalkonsul nach San Francisco. Spaßeshalber, um die Amerikaner mit der Namensähnlichkeit zu Dillinger und der Bedeutung des Wortes „kill“ zu schocken? Denn der im Vergleich zu Killinger harmlose John Herbert war am 22. Juli 1934 als Nordamerikas Staatsfeind Nummer 1 in Chicago von FBI-Agenten gestellt und erschossen worden, demnach den US-Bürgern noch in lebendiger Erinnerung, als Killinger einreiste.

Göring und Goebbels dürften gelacht haben – die Herren des Auswärtigen Amtes nur unter vorgehaltener Hand.

1939, als der Zweite Weltkrieg begann, war für Killinger Schluß mit Amerika. Der Freiherr wurde durch Ribbentrop zum deutschen Gesandten in der Slowakei und in Rumänien ernannt, durfte dort legitim der Gestapo jüdische Bürger zutreiben; doch auch das tat er nobel nur über einen angeforderten Judenreferenten.

Wer an den langen Arm göttlicher Gerechtigkeit glauben möchte, vielleicht auch an den letztlich gerechten Verlauf von Geschichte, wird zufrieden zur Kenntnis nehmen, daß Killinger, in Bukarest von Truppen der Roten Armee eingekreist, sein Entkommen im letzten und sichersten aller Schlupflöcher fand: im Suizid.

Legendenstricker sprechen von einer Doppelbedrohung seiner Person, hätten den Freiherrn nur allzugern auf der Seite der Mitverschwörer gegen Hitler gehabt. Was dagegen spricht, ist die Dotation in Höhe von 250 000 Reichsmark, die Hitler der Witwe gewährte.

Der Beitrag erschien im April 2011 in der „Deutschen Rundschau“, Kanada.