Dramatische Warnung Leonardo Boffs
Der brasilianische Befreiungstheologe und Philosoph Leonardo Boff sagte über den Staatsstreich gegen die Präsidentin Dilma Rousseff: „Wenn die Armen wüßten, was man gegen sie zusammenbraut, würden die Straßen Brasiliens nicht ausreichen, um die Zahl der Demonstranten aufzunehmen, die dagegen protestieren.“ Ohne Zweifel eine dramatische Beobachtung, die da aus dem Innern des riesigen Brasilien kommt und alle Küsten Amerikas erreicht, auch die der Vereinigten Staaten, weil die Länder in ihrer Gesamtheit davon betroffen sind.
„Was braut man gegen die Armen zusammen? Das muß man diejenigen fragen, die damit beschäftigt sind, z. B. die hohen Beamten der ,Sicherheitsbehörden‘ der Vereinigten Staaten, die vor einigen Tagen der ,Washington Post‘ und der ,Los Angeles Times‘ gegenüber enthüllten, daß ,Venezuela sich am Rande eines möglicherweise gewaltsamen Kollapses befindet‘.“
Worin liegt das Gefährliche dieser Enthüllung? Dieselben Beamten bekannten beiden Medien, daß „Washington wenig Einfluß oder Macht hat, um dort einzugreifen“, daß man „besorgt“ darüber sei, wie sich die Krise entwickle und daß es schon nicht mehr um das Ende der chavistischen Regierung, sondern um eine Explosion der politischen Gewalt gehe. Zufällig erklärte der Oppositionelle Henrique Capriles, daß das Land „eine Bombe“ sei, die explodieren könne, wenn die Regierung nicht zulasse, daß das Amtsenthebungsverfahren (Impeachment) in diesem Jahr durchgeführt werde. Er betonte, daß die Venezolaner Angst vor „einer sozialen Explosion“ hätten, die aus Unzufriedenheit mit der aktuellen Regierung entstehen könnte.
Und er rief sofort zur Gewalt auf: „Wir müssen verstehen, daß hier die Dinge nicht von allein laufen, daß sie davon abhängen, was jeder einzelne von uns macht“, sagte er an der Seite des Parlamentspräsidenten Henry Ramos Allup, eines der Urheber des Aufstands, der 1989, zur Zeit der Regierung von Carlos Andrés Pérez, über 3000 Tote forderte.
Offensichtlich sind Capriles und Ramos Allup die Anstifter und Drahtzieher der Krise, von der die Beamten der CIA sprechen, die Washington so „beunruhigt“.
Boff nimmt sein Land als Beispiel und würdigt, daß der Aufstieg der Arbeiterpartei in die Regierung die wahrhaft friedliche Revolution bedeutet habe, die sich ereignete, als Lula zum ersten Mal von denen ohne Macht zum Präsidenten gewählt worden sei: von Menschen aus der Peripherie, aus der Tiefe Brasiliens, der neuen Gewerkschaftsbewegung, den Intellektuellen, der Linken und der Volkskirche mit Tausenden von Basisgemeinden.
Ihnen allen gelang es in einem langen und schmerzhaften Prozeß, die soziale Macht, die sie angesammelt hatten, in eine politische Macht der Partei zu verwandeln, von der aus sie eine authentische Revolution durchführten.
„Warum sprechen wir jetzt von diesem ganzen Prozeß?“, fragt Boff. „Weil in Brasilien eine Konterrevolution im Gange ist mit den alten oligarchischen Eliten, die nie einen Arbeiter als Präsidenten akzeptiert hatten. Es gibt eine konservative und verbitterte Rechte, die mit den Banken und dem Finanzsystem, nationalen und internationalen Investoren und Sektoren der korrupten Judikative verbunden ist und unter dem Schatten Washingtons steht, dessen Außenpolitik niemals eine Macht im südlichen Atlantik, die mit BRICS liiert ist, akzeptiert.
Das Impeachment der Präsidentin Dilma ist ein Kapitel dieser Verweigerung, genauso wie das Revokatorium (Abberufung) in Venezuela und der Gerichtsprozeß, den sie gegen Cristina Fernandez anstrengen wollen, um die Verdienste des Kirchnerismus aus der historischen Erinnerung Argentiniens zu löschen, oder wie der Schlamm, unter dem sie versuchen, Evo Morales zu begraben, um die großen Leistungen seiner Regierung zu verbergen.
Das Kronjuwel ist aber weiterhin Venezuela, wo es eine ideologisch definierte bolivarische Revolution gibt, die man, nach dem, was sich in Argentinien und Brasilien ereignet hat, zerstören muß, um das geopolitische Panorama verändern zu können. Das schließt auch eine Wiederauferstehung der OAS mit einer Galionsfigur wie Luis Almagro ein, der eine militärische Aktion gegen Venezuela legitimieren würde, wie sie bereits angedeutet und öffentlich von Miami aus vom ehemaligen kolumbianischen Präsidenten Álvaro Uribe gefordert wurde.
Dann wäre der Weg frei, um Lateinamerika und die Karibik zum Weideplatz eines schrecklichen Neoliberalismus zu machen, wie man ihn in Argentinien bereits sehen kann. Die Freihandelsabkommen und Pakte wie die Transpazifische Allianz werden sich unserer Ökonomien bemächtigen, und jegliche Struktur der Integration, die mit soviel Mühe geschaffen wurde, wird unter der Herrschaft des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank zusammenbrechen.
Die Auslandsverschuldung hat sich unter Mauricio Macri in Argentinien wieder eingestellt und wird die Etats für Ernährung, Gesundheit und Bildung verschlingen, die privatisierten nationalen Reichtümer werden die Truhen der Reichen füllen, und Hunger und Krankheiten werden die Armen töten. Wie sie die Venezolaner der Elendsviertel auf den Hügeln um Caracas töteten, bevor Chávez kam, die Bolivianer vor Evo, die Brasilianer vor Lula und Dilma und die Argentinier vor Kirchner und Cristina, als der wilde Neoliberalismus von Carlos Saúl Menem sie zwang, Erde zu essen.“
Etwas wie dieses oder noch Schlimmeres braut sich für die Armen in Lateinamerika und der Karibik zusammen, und das ist es, was uns Leonardo Boff auf so dramatische Art sagen möchte.
Aus „Granma“, Juni 2016
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