RotFuchs 206 – März 2015

Trümmerfrauen – Mythos oder Symbol des Neuaufbaus?

Dresdens Heldinnen der ersten Stunde

Prof. Dr. Horst Schneider

Am 11. Dezember 2014 veröffentlichte Oliver Reinhard in der „Sächsischen Zeitung“ einen Artikel zur Popularisierung der Dissertation „Mythos Trümmerfrauen“ von Leonie Treber. Die eine wie die andere Publikation ist zu Recht auf harsche Kritik gestoßen. Doch man muß vor allem die Frage stellen: Wem paßt aus welchen Gründen dieser Artikel gerade jetzt in den politischen Streifen?

Dissertation wie Zeitungsbeitrag strotzen von Unwahrheiten und Unterstellungen, die auf böse Absichten schließen lassen. Um eine Würdigung des von den Trümmerfrauen tatsächlich Geleisteten geht es weder Treber noch Reinhard. Dessen Gehässigkeit beginnt bereits in der Überschrift „Angestanden an Ruinen“. Das soll eine Parodie auf die DDR-Nationalhymne sein, die mit den Worten „Auferstanden aus Ruinen“ beginnt und deren Text 1990 von einem einheitlichen Deutschland ohne weiteres hätte übernommen werden können.

Wenn eine Historikerin den Mythos der Trümmerfrauen entzaubern will, ist das ihre Sache, aber keine Wahrheitssuche. Mythen sind Legenden und erfundene Biographien aus antiken Tagen. Die Trümmerfrauen und deren Arbeit aber waren im 20. Jahrhundert härteste Realität, die jeder wahrnehmen konnte. Das Denkmal vor dem Dresdner Rathaus ist keine Ikone für irgendeinen Mythos, sondern symbolisiert einen ganz bestimmten Menschentyp. Es erinnert daran, daß beherzte Mitbürger damals den Mut aufbrachten, inmitten der Trümmerberge den Kampf gegen die Kriegsfolgen aufzunehmen und ihre Stadt neu zu gestalten. „Elbflorenz“ war – der RF berichtete in seiner Nr. 204 ausführlich darüber – bekanntlich am 13. Februar 1945 in Schutt und Asche gelegt worden.

Während der historische Kern dem Bombenterror vollständig zum Opfer fiel, blieb anderes erhalten – darunter auch die Dresdner Rüstungsindustrie, die für die Kriegsführung Hitlerdeutschlands von Bedeutung war.

Der Abschlußmeldung der höheren SS- und Polizeiführung vom 15. März 1945 war zu entnehmen:

  • Alle großen Bank- und Versicherungsgebäude der Innenstadt sind zerstört;
  • das Kühlhaus im Schlachthof ist ausgefallen;
  • die Hafenmühle muß als nicht mehr betriebsfähig bezeichnet werden;
  • die Gas- und Wasserwerke wurden schwer getroffen;
  • auf dem Hauptbahnhof registrierte man einen hundertprozentigen Zugausfall.

Wie man sieht, blieben Rüstungsbetriebe hier ausgespart.

Statt einen Mythos zu erfinden, sollte die Leistung jener Frauen gewürdigt werden, die mit der Beseitigung von Schutt und Asche begannen. Oliver Reinhard fragt: „Muß nun auch dieser Mythos beräumt werden?“ Leonie Treber begründete ihr Anliegen so: „Als Massenphänomen hat es Trümmerfrauen nur kurz und an wenigen Orten gegeben. Sie haben die Arbeit weder freiwillig noch selbstlos, noch freudig getan.“

Bei diesem Urteil geht es also um Motive und Gefühle, die unterstellt werden, nicht aber um den historischen Platz der Leistung und ihrer Ergebnisse. Dabei ging vom Wirken der Trümmerfrauen nur Positives aus. Die Beseitigung der Ruinen ermöglichte es, den innerstädtischen Verkehr in Gang zu setzen und den Neuaufbau einzuleiten. Die Frauen in ihrer einfachen Kluft strahlten Optimismus aus, ob sie nun auf einem Foto gerade lächelten oder nicht. Übrigens: Wie würde ein Reporter heute Arbeiterinnen ablichten, falls so etwas überhaupt noch geschieht? Und: Welches Prominentenfoto ist nicht „gestellt“?

Warum fast nur Frauen damals in den ersten Reihen standen, versteht sich von selbst: Die Männer waren ganz überwiegend gefallen oder befanden sich als Kriegsgefangene hinter Stacheldraht. So fehlten sie natürlich auf den Trümmerhalden.

Für gewisse Ost-West-Unterschiede im Nachkriegsdeutschland gibt es ebenfalls Gründe. Zweifellos spielte dabei auch die Tatsache eine Rolle, daß die Bombergeschwader der USA und Großbritanniens zu Jahresbeginn 1945 konzentriert solche Städte im Osten zerstörten, die vermutlich von der Sowjetarmee befreit werden würden. Warum aber hat die sowjetische Luftwaffe eigentlich keinen Krieg gegen Frauen und Kinder geführt?

Ein Wort zur Technik: Es konnte damals nur das eingesetzt werden, was existierte, repariert oder neu hergestellt wurde. Wer die Texte von Treber und Reinhard analysiert, stößt noch auf manche andere Ungereimtheit. Doch warum attackieren sie ausgerechnet das „Symbol Trümmerfrau“?

Als am 23. Mai 1990 die neue Dresdner Stadtverordnetenversammlung zusammentrat, fiel mir als ältestem Abgeordneten die Aufgabe zu, ihre Konstituierung zu leiten. Da es in der Stadt Mandatsträger gab, die früher das Denkmal der Trümmerfrau vor dem Rathaus hatten weghaben wollen, nahm ich in meiner Rede gerade dazu Stellung: „Sie erleichtern es uns, eine Ehrenpflicht zu erfüllen: den Dank jenen abzustatten, welche mit ihrer ganzen Kraft dazu beigetragen haben, Dresden aus den Ruinen wieder erstehen zu lassen. Im Hinblick auf die ästhetische Gestaltung und die politische Wertung der Trümmerfrau … kann es sicherlich unterschiedliche Meinungen geben, wohl aber kaum darüber, daß allein ehrliche, uneigennützige Arbeit Dresden auch künftig voranbringen wird. Es sollte beim Klassiker-Satz bleiben: ‚Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.‘“

Der Einsatz der Trümmerfrauen hatte auch noch eine andere Wirkung: Er war Beginn, Bedingung und Bestandteil der Pläne des Nationalen Aufbauwerks. Durch die Arbeit der Frauen war bewiesen worden, daß die Trümmerberge beseitigt und der Neuaufbau gewagt werden konnten, auch wenn das viele Dresdner noch für unmöglich hielten.

Am 5. Januar 1946 konnte der Rat der Stadt den „Ersten Großen Dresdner Aufbauplan“ verkünden. „Und diese neue Stadt … soll nicht etwa von unseren Kindern und Enkeln gebaut werden, sondern wir, die jetzt Lebenden, wollen und müssen diese gewaltige Arbeit für unsere Nachkommen auf uns nehmen“, sagte damals der sächsische Ministerpräsident Max Seydewitz.

Nicht zufällig wurde der Zwinger zu einer der ersten Baustellen. Die Erfüllung der jährlichen Pläne des Nationalen Aufbauwerks unterlag öffentlicher Kontrolle. Nach der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 und 1956, als Dresden sein 750. Jubiläum beging, konnte eine positive Bilanz gezogen werden.

Wer die Arbeit der „Aktivisten der ersten Stunde“, zu denen zweifellos die Trümmerfrauen gehören, herabzuwürdigen versucht, schmäht die Geschichte.