RotFuchs 233 – Juni 2017

Droht eine Verständigung mit Rußland?

Arnold Schölzel

Im vergangenen Jahrhundert entfesselte der deutsche Imperialismus zwei Weltkriege und konnte nur durch militärische Gewalt von außen, nicht durch einen Aufstand von innen, niedergerungen werden. Die Novemberrevolution von 1918 scheiterte durch das Zusammenspiel von Monopolen, sogenannter Mehrheitssozialdemokratie und Reichswehr. Die berechtigte Furcht, die deutsche Arbeiterklasse könne dem Beispiel des roten Oktober von 1917 folgen, schweißte ein breites konterrevolutionäres Bündnis zusammen, das 1933 bis in die faschistische Diktatur führte.

Nach zwölf Jahren brutalster Unterdrückung und Dezimierung war die deutsche Arbeiterbewegung zu schwach, um dem deutschen Monopolkapital 1945 den Garaus zu machen. Die Konferenzen der Alliierten von Jalta und Potsdam ermöglichten, daß zumindest im Osten mit Hilfe von Roter Armee und Sowjetmacht eine antifaschis­tisch-demokratische Umwälzung stattfand. In Westdeutschland wurden Besitz und politische Macht der deutschen Monopolbourgeoisie vor allem durch die USA, aber auch durch Großbritannien und Frankreich, in wenigen Jahren wiederhergestellt. Gründungszweck der BRD war die Revision der territorialen Ergebnisse des zweiten Weltkrieges. Faschismus als Herrschaftsvariante blieb – solange Sowjetunion und DDR existierten – ausgeschlossen.

Das gilt seit 1991 nicht mehr. Die Umwandlung der bürgerlichen parlamentarischen Demokratie in einen permanenten Notstandsstaat beschleunigte sich, die Weiter­existenz der NATO trotz des Verschwindens der angeblichen Feinde besagt: Am Kriegsziel hat sich nichts geändert.

Nach 25 Jahren zeigt sich aber: Der Westen hat nicht einen seiner Feldzüge gewon­nen, vielmehr haben sich ökonomische und politische Gegenallianzen verschieden­ster Art gebildet, in weiten Teilen der Welt wächst ein neues antiimperialistisches Bewußtsein. Die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten zeigt den relativen Abstieg der Supermacht an und signalisiert zugleich erhöhte Kriegsgefahr.

Das wirkt. Die nach dem Sieg Trumps zur „Retterin des der westlichen Wertege­mein­schaft“ hochstilisierte Bundeskanzlerin reiste am 2. Mai nach Rußland, offiziell zur Vorbereitung des G20-Gipfels am 7. und 8. Juli in Hamburg. In Sotschi geschah dabei Bemerkenswertes. Angela Merkel wies in Anwesenheit von Wladimir Putin zweimal auf „den 72. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges“ hin und erklärte, sie wolle „noch einmal daran erinnern, welche Opfer gerade auch von der damaligen Sowjet­union erbracht und gebracht wurden, daß wir diese geschichtlichen Ereignisse nie vergessen dürfen und daß wir in diesem Geist auch unsere heutigen Beziehungen gestalten müssen“.

Das waren andere Töne als zwei Jahre zuvor, als sie in Moskau die Politik Putins als „verbrecherisch“ bezeichnet hatte, und die deutsche Presse in Prognosen schwelgte, wann die Russische Föderation wegen der 2014 erlassenen Sanktionen der EU auseinanderfallen werde. Dieselben Medien berichteten nun nichts über ihre Äuße­rungen oder höchstens in einem Nebensatz. Allerdings knurrte der im Troß der Kanzlerin mitgereiste Berichterstatter der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, Putin habe wohl keine Illusionen mehr, er könne mit Trump einen „großen Deal“ im „Jalta-Stil“ machen.

Die bloße Möglichkeit, daß es dazu kommen könnte, bringt aber die deutsche Regierungschefin nach Rußland und entlockt ihr neue Töne. Dabei waren fünf Tage zuvor noch die Koalitionsfraktionen im Bundestag über die Forderung der Linkspartei nach einer „neuen deutschen Ostpolitik“ hergefallen.

Dieser Antrag (siehe Seite 2) spiegelt neue Umstände wider, die auch Merkel berücksichtigen muß. Ihr Auftrag lautet: Um jeden Preis etwas Jalta-Ähnliches verhindern. Für die deutsche Friedensbewegung aber könnte und sollte das Papier der Linksfraktion Ausgangspunkt für eine Mobilisierung sein, die den deutschen Imperialismus zwingt, vom Unterdrückungs- und Kriegskurs abzulassen. Es ist höchste Zeit dafür.