RotFuchs 202 – November 2014

Eberhard Panitz:
Büchervernichtung in Grünau

Eberhard Panitz

In Ergänzung zu „Scheiterhaufen für den Geist“ (RF 200) erinnern wir hier an einen Vorgang, von dem Eberhard Panitz in seinem Buch „Die grüne Aue des alten Fritz. Bilder und Geschichten aus Grünau“ berichtet hat.

Beschämend auch, was 1995 an der bereits in der allerersten Wendewut umbenannten ehemaligen Bernard-Koenen-Schule geschah: Am 2. November landete Franz Fühmanns Buch Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel, ein Sprachwunderwerk des Dichters aus den siebziger Jahren, auf dem dortigen Schulhof im Müll. Der Hausmeister hatte dieses Buch und Hunderte andere herbeigekarrt und schmiß es zu den Büchern, die schon im Container lagen. Es waren die Lesestoffe der versunkenen DDR-Schulwelt, dutzendweise Reclam-Ausgaben, nicht wenige deutsche Klassiker und viel vom Besten unserer Nachkriegslektüre: Thomas Manns Mario und der Zauberer, Lessings Nathan der Weise, Heines Deutschland. Ein Wintermärchen, Schillers Kabale und Liebe, Goethes Faust, Bertolt Brechts Die Gewehre der Frau Carrar und viele „Volk und Wissen“-Bände über „Schriftsteller der Gegenwart“ und mit „Lesestoffen“ für den Literaturunterricht sowie „Wissensspeicher“ zu verschiedenen Fächern, selbst zur Schulgartenarbeit und zum Werkunterricht. Ich wurde, als ich meinen damals achtjährigen Sohn vom Schulhort abholen wollte, zum Zeugen dieses Autodafés, das trotz meines entsetzten Einspruchs. Der Hausmeister berief sich darauf, daß er einer Anordnung folge, diese Bücher entsprächen nicht mehr der Norm und müßten ausgesondert werden.

Ich sah, wie neben Ostrowskis und Makarenkos Büchern auch Erzählungen meiner Kollegen und Freunde Erik Neutsch, Hermann Kant und Günter Görlich den Weg in den Orkus nahmen, auch ein Bändchen mit einer Geschichte von mir. Als ich danach griff, sah ich, daß auf dem Titelblatt wie in den meisten aussortierten Büchern „Volkseigentum“ und „Bernard-Koenen-Schule“ eingestempelt war. Sollte das der Grund der Vernichtung sein? Entsprachen diese Bücher deshalb nicht mehr der nun gültigen „Norm“?

Das seines Umschlags entledigte und dem Müll zugedachte Buch Fühmanns Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel ist geradezu eine Beschwörung des Wertes und der Würde des Buches und der Sprache. Es war vor allem für Schulkinder bestimmt und erschien 1978 im Berliner Kinderbuch-Verlag in prachtvoller Ausstattung. Kein Wort, keine Zeile, keine Seite findet sich darin, die einer mensch- oder kindgemäßen „Norm“ nicht angemessen wäre. In zentimetergroßen Versalien sind darin die Leitsätze gedruckt:

ALLES SAGBARE LIEGT IN DIESEN ZEICHEN – ALLES GESAGTE IST NUR EIN GLEICHNIS – WAS MAN SAGEN KANN, KANN MAN AUCH KLAR SAGEN.