Johannes R. Becher sang das Hohelied
auf wirkliche Liebe zur Heimat
Ein deutsches Dichterleben
„Glück und Frieden sei beschieden Deutschland unserm Vaterland. Alle Welt sehnt sich nach Frieden. Reicht den Völkern eure Hand.“ Wer von den humanistisch gesonnenen Patrioten möchte diesen Worten nicht gerade in diesen Tagen aus vollem Herzen zustimmen! Hunderte Male erklang die von Hanns Eisler komponierte Hymne auf internationalen diplomatischen Empfängen oder bei olympischen Siegerehrungen. Johannes R. Becher schrieb die Verse 1949 anläßlich der Gründung des deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staates. Wer war dieser Dichter? Der Werdegang seines Lebens und Schaffens spiegelt die widerspruchsvolle und problemreiche, doch letztlich konsequent revolutionäre Entwicklung eines großen Poeten des 20. Jahrhunderts.
Als ersten Kulturminister der DDR, den Schöpfer ihrer Nationalhymne und Präsidenten des Kulturbundes kennen ihn nahezu alle, die ihre Schulzeit in der DDR verbrachten. Viele wissen wahrscheinlich auch, daß er in den Jahren der Weimarer Republik den Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller (BPRS) mitbegründete, daß er nach Machtantritt der faschistischen Kulturbarbaren in die Sowjetunion emigrierte, im Nationalkomitee „Freies Deutschland“ arbeitete und Wegweisendes zur Theorie und Praxis einer marxistisch-leninistischen Ästhetik beitrug. Auch Meilensteine seines Schaffens wie „Die Winterschlacht“ über den historischen Sieg von Stalingrad, „Der große Plan“ über den sozialistischen Aufbau oder „Neue deutsche Volkslieder“ sind vielen musisch Interessierten ein Begriff. Sie weisen den 1891 in München geborenen Johannes R. Becher als einen Wegbereiter der proletarisch-revolutionären deutschen Nationalkultur aus. Doch ihm, dem Sohn eines stramm nationalistisch-rechtskonservativen hohen Justizbeamten, waren die Lieder der Arbeiterbewegung nicht an der Wiege gesungen worden. Der jugendliche Becher, mit kritischem Geist und kraftvoller dichterischer Neigung begabt, schuf lyrische Frühwerke voll provokanter Rebellion. Sie äußerte sich in einem radikalen Bruch mit überkommenen Formen – bis hin zu den bislang gültigen Regeln der Schreibung und des Satzbaus. Becher sollte ab 1914 zu einem führenden Repräsentanten der expressionistischen Lyrik heranreifen, jener einflußreichen, bürgerlich-avantgardistisch inspirierten Suchbewegung nach kultureller Erneuerung.
Im Sommer 1946 begleitete Johannes R. Becher als Präsident des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands den Sarg des Dichters Gerhart Hauptmann – hier mit der Witwe Margarete – auf der Überfahrt von Stralsund nach Hiddensee.
Doch zunächst mußte der junge Dichter zermürbende Konflikte mit dem militaristisch-reaktionären Vater bestehen. Eine Tragödie belastete sein Leben ab 1910: Ähnlich wie Heinrich von Kleist hatte der empfindsame junge Poet gemeinsam mit der Geliebten den Ausweg aus qualvoll empfundener Verstrickung gesucht. Johannes Robert überlebte die Schußverletzungen, Fanny jedoch starb. Das Trauma mag Ursachen für die anschließende, krisenhaft verlaufende Lebensphase Johannes R. Bechers gesetzt haben. Existenznot nach Loslösung vom Elternhaus, Sucht- und andere Leiden sowie schmerzhaftes weltanschauliches Ringen bestimmten sein Dasein. Doch der selbstgewählte Abschied aus etablierter Bürgerlichkeit führte den zum Dichter Berufenen nicht allein in die Reifeprüfungen des Lebens.
Becher mit dem Präsidenten des Kulturbundes der DDR Prof. Hans Pischner
Er begann, sich mit dem ausgebeuteten Proletariat zu solidarisieren, erkennt die treibende geschichtliche Kraft zur gesellschaftlichen Erneuerung. Seinem Leben und Schaffen gibt Johannes R. Becher ab 1923 eine konsequente Richtung: Er wird Mitglied der KPD, bekennt sich zu Lenins Sowjetstaat. Von da an haben Sucht und Weltschmerz keinen Platz mehr im Leben des Lyrikers. Sein poetisches und sein politisches Wirken gewinnen ein positives Ziel: Der Befreiung der Arbeiterklasse zu dienen als Literat und Kulturpolitiker. Diesen Kurs hielt er standhaft inmitten schwierigster Krisen und Gefahren, zeitweiliger Irrtümer und wiederkehrender Anfechtungen. Zum Beispiel rückten die innerparteilichen ideologischen Auseinandersetzungen in seinen persönlichen Freundeskreis: Becher war mit der Familie Eisler, vor allem dem späteren Nationalhymnen-Komponisten Hanns verbunden und stand auch dessen Schwester Ruth Fischer nahe. Sie, die vor Ernst Thälmann den Parteivorsitz innehatte, forcierte den sich als verhängnisvoll erweisenden Konfrontationskurs gegen die SPD. Und im sowjetischen Exil ab 1935 geriet Becher im Zuge ungerechtfertigter Verfolgungen mehrfach in Bedrängnis. Der außenpolitisch aufgezwungene deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt vom Sommer 1939 mutete nicht allein den im Widerstand kämpfenden deutschen Kommunisten härteste Proben ihrer Treue zur Sowjetunion zu, sondern auch den im Exil wirkenden wie Johannes R. Becher. Rückblickend hat Becher später bilanziert: „Es war das schwerste Opfer, das ich jemals gebracht habe, als ich 1933 meine deutsche Heimat verlassen mußte.“ Eins seiner anrührendsten Gedichte, gleichfalls vertont von Hanns Eisler, erzählt von Sehnsucht:
Heimat, meine Trauer,
Land im Dämmerschein,
Himmel, du mein blauer,
Du mein Fröhlichsein.
Einmal wird es heißen:
Als ich war verbannt,
Hab ich, dich zu preisen,
Dir ein Lied gesandt.
War, um dich zu einen,
Dir ein Lied geweiht,
Und mit Dir zu weinen
In der Dunkelheit …
Diese Lyrik steht in der Tradition gebundener Dichtung eines Friedrich Hölderlin oder eines Heinrich Heine ebenso wie in der des besten deutschen Volksliedgutes: strenge, schlichte Form und eindringliche Tiefe. Auch die Verse, beginnend mit „Auferstanden aus Ruinen“ atmen diesen Geist.
Johannes R. Becher starb am 11. Oktober 1958 an den Spätfolgen der Schußverletzungen von 1910. Der 1968 uraufgeführte DEFA-Film „Abschied“ würdigt das Ringen des jungen Becher um seinen weltanschaulichen Standort, das mit der Auflehnung gegen militaristischen Ungeist begann. In dem 1940 zuerst in Moskau erschienenen gleichnamigen Roman hat der Dichter seine frühe Entscheidung gegen den imperialistischen Krieg gestaltet.
Nachricht 946 von 2043
- « Anfang
- Zurück
- ...
- „Der schwarze Jäger aus Sachsen“
ist wieder da - Der kleine Fuchs und die braunen Mäuse
- Der Strudel der Vernichtung
- Ein deutsches Dichterleben
- Gisela Steineckert: Hand aufs Herz
- Demokratie-Spielchen statt Revolution,
das ist o.k.! - Horst Sindermann –
Zeuge des Jahrhunderts - ...
- Vorwärts
- Ende »