Westliche Abrechnung mit dem Ex-Präsidenten
der Elfenbeinküste Laurent Gbagbo
Ein dubioser Prozeß in Den Haag
Im November 2015 begann vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) im niederländischen Den Haag der Prozeß gegen den 2011 endgültig zu Fall gebrachten Ex-Präsidenten der Elfenbeinküste (Côte d‘ Ivoire), Laurent Gbagbo. Der 70jährige wird wie sein Mitangeklagter Charles Blé Goudé (44) schwerer Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezichtigt. Am ersten Verhandlungstag erklärte sich der wegen seiner antiimperialistischen Haltung, die sich gegen die Kapitalinteressen mächtiger Konzerne in der einstmals französischen Kolonie richtete, vor Gericht gezerrte einstige Spitzenpolitiker eines bedeutenden westafrikanischen Staates in allen Punkten der Anklage für nicht schuldig.
Laurent Gbagbo vor dem Gericht der Neokolonialisten
Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß seitens der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch erhebliche Zweifel an der Objektivität der dem Prozeß in Den Haag vorausgegangenen mehrjährigen „Voruntersuchung“ geäußert worden sind. Bei dem langjährigen ivorischen Konflikt hätten zumindest beide Seiten strafwürdige Handlungen begangen, erklärte die Organisation zum Prozeßauftakt. Der IStGH habe indes nur einer Seite seine Aufmerksamkeit und Sympathie zugewandt, wodurch dessen „Kapazität“ vermindert worden sei, auch den auf das Konto der derzeit in Abidjan amtierenden Regierung Outtara zu buchenden Fällen nachzugehen. Mit dem so vorbelasteten Prozeß sei lediglich den Wünschen der heutigen Machthaber und ihrer Hintermänner entsprochen worden, Gbagbo, dem eine lebenslange Freiheitsstrafe drohe, für immer aus der politischen Szene seines Landes zu verdrängen.
Das aktuelle Geschehen hat eine lange Vorgeschichte, die hier nur kurz gestreift werden kann.
Laurent Gbagbo war von Dezember 2002 bis Dezember 2005 gewählter Präsident der Elfenbeinküste. Da sich die Wahl eines Nachfolgers aus verschiedenen Gründen wiederholt verzögerte, blieb er weitere fünf Jahre kommissarisch im Amt. Bereits im September 2002 war es an der Elfenbeinküste zu einem Bürgerkrieg gekommen, der zur faktischen Spaltung des Landes in einen von proimperialistischen „Rebellen“ kontrollierten Norden und einen von Gbagbos Armee beherrschten Süden geführt hatte.
Die Côte de Ivoire galt zunächst als ein vergleichsweise stabiles und relativ wohlhabendes Land inmitten einer von Armut und Instabilität geprägten Region. Während ihr erster Präsident Félix Houphouët-Boigny eine den Interessen vor allem französischer Kolonialkonzerne Rechnung tragende Politik verfolgt hatte, orientierte sich Gbagbo vorrangig an den nationalen und sozialen Interessen der eigenen Bevölkerung. Doch das höhere Lebensniveau hatte zuvor zahlreiche Umweltflüchtlinge angezogen, die sich aufgrund der ständigen Hungersnöte in der Sahelzone im von verwandten Ethnien besiedelten Norden der Elfenbeinküste überwiegend bäuerliche Existenzen aufbauten.
Mit der Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Lage – vor allem aufgrund rapide sinkender Weltmarktpreise für Kakao und Kaffee – griff dort die Arbeitslosigkeit besonders um sich. Es brachen Konflikte aus, die vordergründig als Schlagabtausch zwischen Angehörigen verschiedener Völkerschaften und Religionsgemeinschaften bezeichnet wurden.
Am 19. September 2002 rebellierten im Norden stationierte Einheiten der ivorischen Armee und begannen bald darauf massive Angriffe auf Städte im Süden, darunter auch die Metropole Abidjan. Gbagbos Innenminister Emile Boga Doudou und Militärchef Moise Lida Kouassi wurden samt ihrer Leibwächter getötet. Mit Hilfe französischer Truppen konnten die Angreifer in dieser Runde aus Abidjan wieder vertrieben werden, behielten aber die Kontrolle über wichtige Regionen des Nordens und des Zentrums. Es folgten immer wieder heftige Kämpfe, wobei gezielt Gewerkschafter und linke Aktivisten ermordet wurden. Allein im Herbst 2002 kamen auf solche Weise etwa 3000 Menschen ums Leben.
Obwohl im Oktober dann ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet worden war, fand der bewaffnete Konflikt zwischen beiden Landeshälften kein Ende. Unter „Vermittlung“ der alten Kolonialmacht wurde am 26. Januar 2003 im französischen Linas-Marcoussis ein Abkommen unterzeichnet, demzufolge Präsident Gbagbo bis zu Neuwahlen amtieren sollte, während den „Rebellen“ die Schlüsselressorts Inneres und Verteidigung einer Übergangsregierung zufielen und französische Truppen als angebliche Friedensstreitmacht im Lande verblieben. Ministerpräsident wurde „Ex-Rebellenführer“ Guillaume Soro.
Obwohl man eine „Vertrauenszone“ zwischen Nord und Süd für kurze Zeit als eine Art Korridor eingerichtet hatte, setzten sich die Gewaltausbrüche fort. Nach den Präsidentschaftswahlen vom 31. Oktober und 28. November 2010 entbrannte der Bürgerkrieg erneut in aller Schärfe. Diesmal ging es den im Hintergrund wirkenden Imperialisten mit Frankreich an der Spitze um die endgültige Ausschaltung Gbagbos. Während er den ersten Wahlgang für sich entschieden hatte, wurde ihm der Sieg in der zweiten Runde entrissen und seinem proimperialistischen Herausforderer Alassane Ouattara zugesprochen. UNO-Sicherheitsrat, EU und Afrikanische Union erkannten diesen als legitimes Staatsoberhaupt des seit 2002 geteilt gewesenen Landes an, obwohl der ivorische Verfassungsrat Gbagbos Sieg zuvor festgestellt hatte. In kurzer Folge wurden in Abidjan nacheinander zwei Präsidenten vereidigt.
Schon vom ersten Tag der Stichwahl an galt eine von Gbagbo ausgerufene Ausgangssperre. Doch auch sie vermochte dem Blutvergießen kein Ende zu setzen, wobei nun beide Seiten über als reguläre Streitkräfte bezeichnete eigene militärische Formationen verfügten.
Die in Abidjan stationierten französischen Elitekräfte der „Operation Licorne“ spielten am Ende die Schlüsselrolle. Nachdem die prowestlichen Verbände Ouattaras Präsident Gbagbo und dessen Getreue in einem Bunker auf dem Palastgelände eingeschlossen hatten, nahmen ihn Angehörige der französischen Armee dort fest.
Damals gingen die Bilder der von ihren Feinden gejagten antiimperialistischen Politiker der Elfenbeinküste um die Welt. Jetzt stehen ihre Repräsentanten als Angeklagte vor dem IStGH in Den Haag, wo zum ersten Mal gegen einen Staatschef – überdies den Patrioten eines bedeutenden afrikanischen Landes – verhandelt wird.
Wer erinnert sich da nicht an das schreckliche Schicksal Patrice Lumumbas!
RF, gestützt auf „Solidaire“, Brüssel, und andere internationale Quellen
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