Vor 65 Jahren wurde Belgiens legendärer
KP-Führer Julien Lahaut ermordet
Ein frühes Opfer des Kalten Krieges
Am 18. August 1950 ereignete sich ein abscheuliches Verbrechen. Julien Lahaut – der populäre und prestigereiche Führer der belgischen Kommunisten – wurde vor seiner Haustür erschossen. Inzwischen ist geklärt, wer den Mord an dem mutigen Kämpfer der Résistance, der von den Faschisten zum Tode verurteilt wurde und nur durch die Befreiung des KZ Mauthausen fast in letzter Minute vor der Exekution bewahrt werden konnte, in Auftrag gegeben hat. Hinter der Bluttat stand kein Geringerer als der stellvertretende Chef der belgischen Spionageabwehr (SDAR) André Moyen, der wiederum durch die Holding Societé Genérale (SG) gesteuert wurde. Diese verkörperte eine enorme Kapitalmacht und kontrollierte zu jener Zeit ein Drittel der Wirtschaft Belgiens.
Im Mai haben seriöse Historiker nach fünfjährigen Recherchen mit ihrem Buch „Wer erschoß Julien Lahaut?“ die künstlichen Nebel, derer man sich zur Verschleierung der Bluttat bediente, endgültig vertrieben. Damit steht eindeutig fest, daß die drei seinerzeitigen Attentäter keineswegs, wie man jahrzehntelang glauben machen wollte, auf eigene Faust gehandelt haben.
Der Mord an Lahaut ereignete sich auf einem frühen Höhepunkt des Kalten Krieges und in einem besonders aufgeputschten antikommunistischen Klima. Im Juni 1950 hatte Washington durch den Korea-Krieg die bestehenden Spannungen zwischen beiden Weltlagern auf den Siedepunkt getrieben. Kurz zuvor – im Februar jenes Jahres – war durch den fanatischen Rotenhasser US-Senator Joseph McCarthy die schmachvolle Ära der Hexenjagden auf Hunderttausende US-Bürger entfesselt worden, die man „unamerikanischer Umtriebe“ bezichtigte.
In Belgien verfolgte der mächtige Apparat des André Moyen ähnliche Ziele. Neben seiner offiziellen Funktion betrieb er ein terroristisches Netz – den Belgischen Antikommunistischen Block (BACB). Dabei handelte es sich um eine straff organisierte paramilitärische Gruppierung, zu deren Mitgliedern auch etliche Offiziere der Kriminalpolizei aus Liège, Antwerpen und Brüssel gehörten. Der BACB war keineswegs eine spezielle Erfindung aus der Reihe tanzender belgischer Antikommunisten, sondern gehörte zu einem damals in Westeu-ropa gerade installierten Netz von Organisationen, die unter Bezeichnungen wie „Stay behind“ (Zurückbleiben) und „Gladio“ im Falle eines unterstellten militärischen Vorstoßes sowjetischer Truppen auf besetztem Territorium operieren sollten.
Die Mörder Julien Lahauts verfolgten offenkundig das Ziel, die damals sehr einflußreichen belgischen Kommunisten zu Gewaltausbrüchen zu provozieren, um staatliche Repressionsmaßnahmen gegen sie auslösen zu können. Ins Visier wurden übrigens auch einige „zu weit links angesiedelte“ Gewerkschaften genommen.
Die später auf den einstigen Metallarbeiter, Streikführer und prestigereichen Ehrenpräsidenten der KPB angesetzten Staatsterroristen hatten ihre Attentatspläne bereits im Mai 1948 erwogen. Damals waren Italiens KP-Vorsitzender Palmiro Togliatti und Frankreichs legendärer KP-Führer Jacques Duclos ins Fadenkreuz antikommunistischer Gewalttäter geraten. Auch in Argentinien und Japan wurden Anschläge auf namhafte Kommunisten geplant oder unternommen.
Die bereits erwähnte Societé Generale (SG), die nicht nur die Stahl- und Schwerindustrie im eigenen Land, sondern auch einen großen Teil der Bodenschätze in der einstigen belgischen Kolonie Kongo unter Kontrolle hatte, und die Bank von Brüssel (ING) ließen ihre Gewährsleute im Geheimdienst für die Auswahl in Betracht kommender Attentäter sorgen.
Während all dieser Zeit stand Moyen ununterbrochen im Kontakt mit seinen bundesdeutschen, holländischen, italienischen, französischen, spanischen und britischen Partnern, vor allem aber mit der CIA.
Dem Mord an Lahaut folgte in Belgien eine Periode hemmungslosen antikommunistischen Terrors. Im Verlauf des Jahres 1951 wurden Volksfeste und Beratungen der KP wiederholt überfallen. Am Sitz des ZK der Partei konnte eine dort installierte Sprengladung gerade noch rechtzeitig entdeckt werden, während eine andere in Räumlichkeiten explodierte, in denen kurz danach eine Frauenkundgebung für den Frieden beginnen sollte.
Lange Zeit verbreiteten reaktionäre Medien die Vorstellung, Lahaut sei wegen eines bei der Rückkehr des aus den Tagen der Naziokkupation schwer belasteten Königs Leopold III. von Kommunisten ausgebrachten Hochs auf die Republik durch Royalisten umgebracht worden.
Der legendäre Arbeiterführer inspiriert noch immer ganze Generationen von Antiimperialisten Belgiens. Jahr für Jahr finden am Tag seiner Ermordung auf dem Friedhof von Seraing vor der zu seinen Ehren errichteten Skulptur würdige Gedenkfeiern statt, die von der traditionellen KP Belgiens und der zu einer modernen marxistischen Massenpartei aufgestiegenen PTB inzwischen gemeinsam ausgerichtet werden. Die beiden PTB-Parlamentsabgeordneten brachten am 13. Mai in der Abgeordnetenkammer den Antrag ein, eine Untersuchungskommission damit zu beauftragen, „alle Untaten, die damals von Belgiens Regierenden vertuscht wurden, endlich ans Licht zu bringen“.
RF, gestützt auf „Solidaire“, Brüssel
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