Ein großer Strafverteidiger zieht Bilanz
Jürgen Kuczynski nannte einst eine pointierte Darstellung seiner wesentlichsten Erlebnisse „Kurze Bilanz eines langen Lebens“. Das hätte auch der Titel des Buches von Friedrich Wolff sein können. Er nannte es statt dessen „Ein Leben – Viermal Deutschland“. Auch er zieht das Fazit aus neun Jahrzehnten und hat dabei viel zu berichten. 1922 in Berlin als Sohn eines jüdischen Arztes geboren, schildert er seine Kindheit und die besondere Bindung zum Vater, wobei er auch der Mutter hervorragende Eigenschaften bescheinigt. Die ersten Schuljahre erlebt er in Kreuzberg. Der kleine Fritz interessiert sich vor allem für Karl May.
Nachdem die Hitlerfaschisten die Macht an sich gerissen hatten, wurde die von ihnen ausgehende Bedrohung bald sehr konkret. „Am 1. April 1933 standen SA-Männer vor der Praxis meines Vaters. Sie forderten auf Schildern, nicht zum jüdischen Arzt zu gehen. Mein Vater hatte mich an diesem Morgen in die Praxis mitgenommen. … Es war Anschauungsunterricht.“
Zwei Jahre später stirbt der Vater mit 60 Jahren. 1939 beginnt Hitler seinen Raubkrieg, der Millionen Tote fordern wird. Friedrich Wolff übersteht die folgenden Jahre. Er arbeitet in einer Treuenbrietzener Metallwarenfabrik. Bei Kriegsende wird er arbeitslos und ist nachhaltig von den Bombenangriffen der letzten Wochen gezeichnet.
„Nie wieder ein solches Gemetzel!“ lautet nun sein Motto. Er meldet sich bei der Antifa-Jugend und zieht dort kräftig mit. Im Juli 1945 tritt er der KPD bei. Nach Wiedereröffnung der Berliner Universität beginnt Friedrich Wolff im Jahr darauf ein Jurastudium. Dabei stößt er auf anerkannte Rechtswissenschaftler, die ihn stark beeindrucken. Von Peter Alfons Steiniger lernt er, daß das Deutsche Reich durch Vernichtung im Krieg untergegangen ist – eine Auffassung, die noch heute von führenden Politikern und Juristen der BRD, die diese als Rechtsnachfolgerin des Dritten Reiches betrachten, empört zurückgewiesen wird.
1949 ist Wolff zunächst als Hilfsrichter, ein Jahr später bereits als Beisitzer einer Großen Strafkammer am Landgericht Berlin tätig. Anschließend wirkt er an der Berliner Richterschule und in der Justizabteilung des Magistrats. Als 1953 die Rechtsanwaltskollegien entstehen, gehört er zu den ersten, die einem solchen Gremium angehören. Von 1954 bis 1970, später von 1984 bis 1988 und dann auch noch 1990 ist er Vorsitzender des Berliner Kollegiums.
Vor allem als Strafverteidiger wird Friedrich Wolff in zahlreichen Verfahren tätig. Zu seinen Mandanten gehört auch Walter Janka.
Bei den in Abwesenheit der Angeklagten durchgeführten Prozessen vor dem Obersten Gericht der DDR gegen Adenauer-Berater Hans Globke, den Kommentator der Nürnberger Rassegesetze, und den Bonner Naziminister Theodor Oberländer ist er deren Pflichtverteidiger. Keine leichte Aufgabe für einen Kommunisten. Andererseits steht er dem „engsten Brandt-Vertrauten“ Günter Guillaume zur Seite, als der enttarnte DDR-Kundschafter von der BRD-Justiz strafrechtlich verfolgt wird.
Friedrich Wolffs Buch besticht durch seine schonungslose Offenheit, Detailtreue und Wahrheitsliebe. Dabei gewährt der Autor Einblicke in sein Familienleben, wie man das selten findet. Gerade das macht Wolffs Darstellung aber so glaubhaft.
Parallel zu seiner persönlichen und beruflichen Entwicklung bezieht der prominente Jurist immer zum aktuellen Geschehen und zu gesellschaftlichen Konflikten Stellung.
Bekannte Namen aus Politik und Kultur in seinem Umfeld lassen erkennen, daß sich Friedrich Wolff weithin hohen Ansehens erfreut. Das hat sicher noch dadurch gewonnen, daß er Anfang der 80er Jahre die populäre Fernseh-Ratgeber-Sendung „Alles was Recht ist“ übernimmt, die bis 1990 von ihm moderiert wird.
Seit dem negativen Wendepunkt der deutschen und internationalen Geschichte verteidigt er seine standhaft gebliebenen und durch die bundesdeutsche Justiz strafrechtlich verfolgten Genossen. Er ist der Anwalt von Erich Honecker, von Hermann Axen und Werner Krolikowski. In anderer Sache steht er Hans Modrow zur Seite. Bei all dem sammelt Friedrich Wolff – inzwischen in den 60ern – neue Erfahrungen mit der Gerichtsbarkeit jenes kapitalistischen deutschen Staates, der sich als Rechtsstaat betrachtet. Aus dessen Umgang mit den Hoheitsträgern der DDR erfährt er, wie das Recht systematisch gebrochen wird.
Wolffs Resümee: „So habe ich viermal Deutschland erlebt. … Die DDR war mir das liebste der vier Deutschländer. Sie führte keinen Krieg, ihre Soldaten standen nicht vor Moskau oder in Stalingrad, sie wurde auch nicht am Hindukusch verteidigt. Juden oder Ausländer wurden in der DDR nicht diskriminiert, Arbeitslose gab es nicht. In ihr sah man keine Obdachlosen, gab es kein Hartz IV. Konzernherren … existierten nicht. Man lebte einfach als Gleicher unter Gleichen … Ich bin zufrieden mit meinem Leben und setze weiter auf den Sozialismus.“
Friedrich Wolff:
Ein Leben – Viermal Deutschland
Erinnerungen: Weimar, NS-Zeit, DDR, BRD
PapyRossa-Verlag, Köln 2013, 248 Seiten
ISBN 978-3894385200
15,00 €
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