Ein Hallenser Student hat das Wort
Die Hochschulen Sachsen-Anhalts, das wie alle anderen östlichen Bundesländer 1990 von der BRD vereinnahmt wurde, sind nach einer kurzen Rekonstruktionsphase, die ihrer Säuberung von allen „marxistischen Übeln der DDR“ folgte, seit etwa 15 Jahren regelmäßigen Strukturanpassungsforderungen ausgesetzt. Der Klarheit halber: Strukturanpassung bedeutet in diesem Falle, daß die Hochschulen von ihnen angebotene Studiengänge und unterhaltene Fakultäten angesichts sinkender finanzieller Zuweisungen aus dem Landeshaushalt „paßgerecht“ machen müssen. Mit anderen Worten: Es geht um Reduzierung. Die den Bildungseinrichtungen vom Grundgesetz zugestandene Autonomie in Form akademischer Selbstverwaltung verwandelt sich so aus einem ursprünglichen Instrument der Demokratisierung zur Selbstverwaltung des Mangels. Statt die Freiheit von Lehre und Forschung zu schützen, verlangt der kapitalistische Staat, die den Hochschulen zugewiesenen Mittel „effizienter zu verwenden“.
Aufgrund der viel zu geringen Besteuerung hoher Einkommen und Vermögen wird allen Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge, also auch dem in gewissen Sonntagsreden als „einziger Rohstoff Deutschlands“ angepriesenen Bildungssystem, ein drastisches Spardiktat aufgezwungen. Die Hochschulen können zwar immer bessere Leistungen in Lehre und Forschung sowie eine stärkere internationale Vernetzung vorweisen, müssen dieses Ziel aber mit ständig schmalerem Budget ansteuern. Das führt zwangsläufig zur Verschlechterung der Lernbedingungen und geht vor allem zu Lasten der prekär beschäftigten wissenschaftlichen Mitarbeiter.
Obwohl die Zahl der an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) Studierenden zwischen 1993 und 2013 von rund 12 000 auf 20 000 gestiegen ist, werden die Personaletats immer weiter abgeschmolzen. Die wissenschaftlichen Mitarbeiterstellen verringerten sich im gleichen Zeitraum von knapp 4500 auf etwa 1800. 2003 kürzte man das Hochschulbudget um 10 %. Bis 2012 waren 76 % aller Stellen, die es 1989 an der MLU gegeben hatte, gestrichen worden. Die aktuellen Kürzungspläne sahen für den Zeitraum 2015 bis 2025 jährliche Absenkungen der Gesamtmittel aller Hochschulen Sachsen-Anhalts von fünf Millionen Euro, also insgesamt 50 Mio., vor.
Da die MLU aber infolge der Unterfinanzierung bereits ein Defizit von mehr als sechs Millionen Euro auswies und die zusätzlichen Kürzungsvorhaben der Regierung zur Schließung mindestens zweier Fakultäten plus Unimedizin geführt hätten, gründete sich im Herbst 2012 ein Aktionsbündnis gegen die radikalen Abbaupläne. Es rekrutierte sich aus Studierendenvertretungen, Personalrat, linken Hochschulgruppen (SDS, Jusos, Grüne) sowie den Gewerkschaften GEW und ver.di. Ihm gelang es, zu den größten Demonstrationen gegen die Landespolitik seit der Konterrevolution 1989/90 zu mobilisieren, wobei die Zahlen zwischen 6000 und 10 000 Teilnehmern lagen. Durch eine wirksame Öffentlichkeitsarbeit und ständige Anwesenheit bei Beratungen der Universitätsgremien vermochte das Bündnis vor allem die Studierenden auf die drohende Gefahr der Schließung mehrerer Institute hinzuweisen. Bis heute konnte das verhindert werden.
Solche Erfolge dürfen indes nicht über die Beschränktheit der Aktionen hinwegtäuschen. Es handelt sich derzeit nur um die erste Kürzungsrunde. Die Aktionen haben rein defensiven Charakter, systembedrohende Forderungen werden nicht erhoben. Die eigentliche Crux – auf Ausbeutung beruhende Produktions- und Ausbildungsverhältnisse – kommt dabei nicht zur Sprache.
Um Forschung und Lehre von kurzatmigem Profitdenken zu befreien, bedürfte es einer echten Demokratisierung der Hochschulen. Dazu wäre es notwendig, die Bevölkerung über die wissenschaftsfeindlichen Bestrebungen der Herrschenden aufzuklären und für eine dem Humanismus verpflichtete Politik zu gewinnen.
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