RotFuchs 201 – Oktober 2014

Kurt Zier und der sowjetische Hauptmann Lerman
fielen Seite an Seite

Ein Held des Nationalkomitees
Freies Deutschland

Stephan Blöth

Im Stadtbezirk Jena-Ost, wo während des Ersten Weltkriegs Karl Liebknechts berühmtes Flugblatt „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“ illegal gedruckt wurde, kam Kurt Zier am 28. Dezember 1911 zur Welt. Das Revier entwickelte sich in der Weimarer Republik zu einer Hochburg der revolutionären Arbeiterbewegung. Dort bestanden eine starke Organisation der KPD und eine aktive Zelle ihres Jugendverbandes KJVD. Selbst bei den Wahlen vom 5. März 1933 – Hitler war bereits an die Macht geschoben worden – blieb die KPD in drei Wahlbezirken stärkste Partei.

Der 16jährige Werkzeugmacherlehrling Kurt Zier trat dem KJVD bei. Als klassenbewußter Arbeiter gehörte er auch der Gewerkschaft an, wurde jedoch auf Betreiben rechter Führer des Metallarbeiterverbandes ausgeschlossen.

Als das deutsche Finanzkapital am 30. Januar 1933 Hitler die Macht ausliefern ließ und die braunen Banditen sofort zum Massenterror übergingen, traten an die Stelle verhafteter oder untergetauchter Funktionäre junge Genossen. Nachdem aber ein Spitzel in die neue Jenenser Parteileitung einzudringen vermocht hatte, wurde auch diese verhaftet. Magnus Poser verurteilte man zu 27 Monaten, seine spätere Frau Lydia Orban zu zwei Jahren Gefängnis. Doch der Kampf ging weiter. Zum 1. Mai 1934 wehten auf einem Schornstein des Jenaer Schottwerkes, an der Gipfelstange des Fuchsturmes auf dem Windberg und an einer großen Pappel rote Fahnen. Auf der Camsdorfer Brücke wurde ein Transparent über die Saale gespannt.

Im September 1934 kam Kurt Zier als Revolverdreher im Zeiss-Werk unter. Er verstärkte die Reihen der antifaschistischen Kräfte in diesem wichtigen Großbetrieb. Von Jena aus wurde der gesamte Bezirk Thüringen mit illegaler Literatur beliefert. Als dann auch Minna Schippel, die an die Spitze der Parteiorganisation getreten war, verhaftet wurde, brach die Verbindung zur zentralen Leitung zunächst ab.

Die Hauptlast trugen Jungkommunisten, zu denen Kurt Zier gehörte. Er und seine Mitstreiter kümmerten sich vor allem um die Unterstützung inhaftierter Genossen und ihrer Angehörigen.

1936 kehrte Magnus Poser aus dem Zuchthaus zurück. Zielstrebig baute er die Parteiorganisation wieder auf. Erste Ansprechpartner waren junge Genossen wie Kurt Zier. Vom Herbst 1937 bis 1939 widmeten sich die Illegalen auch der Wissenserweiterung. Der von Magnus Poster geleiteten fünfköpfigen Schulungsgruppe gehörte Kurt Zier an. Da er sich im Zeiss-Betrieb frei bewegen konnte, übernahm er die Verteilung von Flugblättern und klärte auf, in welchen Bereichen die Rüstungsproduktion angelaufen war.

Mit dem faschistischen Überfall auf die Sowjetunion standen neue Aufgaben vor den deutschen Kommunisten. Nach der Niederlage vor Moskau erhielten Tausende Arbeiter, die bisher als „unabkömmlich“ gegolten hatten, Gestellungsbefehle. Auch Kurt Zier mußte sich am 10. Februar 1942 in Frankfurt/Main einfinden. Bei der Abfahrt traf er am Westbahnhof den Schott-Arbeiter Willy Hartmann. Sie kannten sich nicht nur aus der Roten Jungfront, sondern hatten auch in der Illegalität zusammengewirkt. Es ergab sich, daß beide zur gleichen Einheit einberufen wurden. Ihr Zug hatte noch nicht den ersten Bahnhof hinter Jena erreicht, als sie sich bereits die Hände zum Schwur gaben, den Faschismus weiter zu bekämpfen.

Am 16. September 1942 liefen Kurt Zier und Willy Hartmann zur Roten Armee über. Ende Oktober kamen sie nach Krasnogorsk. Im dortigen Schulungslager 27 a formierte sich im Juni 1943 ein Vorbereitender Ausschuß für die Bildung des Nationalkomitees Freies Deutschland. Kurt Zier gehörte ihm an und nahm am Gründungskongreß des NKFD teil.

Am 27. August 1943 gingen erste Angehörige des Nationalkomitees an die Front. Unter ihnen befanden sich die beiden Jenenser. Im November 1943 wurde Kurt Zier zur 60. Armee der Ersten Ukrainischen Front abkommandiert. Dort war er Vertrauensmann des NKFD in einem Divisionsabschnitt. Er sorgte für die Verbreitung von Flugblättern und sprach auch über Lautsprecher zu den deutschen Soldaten. Am 23. März 1944 schickte man ihn an den Kessel von Tarnopol. In der Nacht vom 2. zum 3. Mai wurde er bei einem Angriff der Faschisten schwer verwundet. Ein Granatsplitter riß ihm die Brust auf. Unverzüglich in ein Feldlazarett der Roten Armee eingeliefert, erhielt er jede erdenkliche Hilfe und genas. Anschließend wurde er der 38. Armee zugeteilt, die den Slowakischen Nationalaufstand militärisch unterstützen sollte.

Am 18. Oktober feuerte er, gemeinsam mit dem sowjetischen Hauptmann M. G. Lerman, Flugblatt-Geschosse auf die andere Seite. Beide Männer wurden sofort unter Feuer genommen. Der deutsche Antifaschist und der Offizier der Roten Armee starben Seite an Seite.

Das NKFD würdigte den Einsatz seines Frontbeauftragten mit einem Nachruf, in dem es u. a. hieß:

„Der Vertrauensmann des Nationalkomitees Kurt Zier aus Jena fiel in Erfüllung seiner Pflicht im Kampf für die Rettung unseres Volkes. Unser Kurt arbeitete seit über einem Jahr an dieser Front zur Aufklärung der deutschen Truppe. Vielen Kameraden hat er in aufopferndem Einsatz den Weg aus ihrer hoffnungslosen Lage gezeigt und etlichen dadurch das Leben gerettet. Er war ihnen schon in den ersten Stunden nach der Gefangennahme ein treusorgender Berater und Helfer.

Durch sein aufrechtes und natürliches Wesen bei den sowjetischen Offizieren und Soldaten überall beliebt, war er Wegbereiter für ein friedliches Zusammenleben beider Völker nach dem Krieg.

Sein Schicksal wird uns mahnen, diesen Kampf für die Freiheit unseres Volkes bis zum siegreichen Ende zu führen.

Rudi Scholz, Armeebeauftragter des NKFD“

Als Willy Hartmann 1945 nach Jena heimkehrte, überbrachte er Grüße von seinem Freund und Kampfgefährten Kurt Zier, die ihm dieser noch hatte auftragen können: „Wenn ich den weiten Weg in die Heimat nicht schaffe, dann grüß Jena, die Genossen des Kommunistischen Jugendverbandes, die mich zum Kommunisten erzogen. Ich habe bis zum Ende auf der richtigen Seite gestanden, gegen Krieg und Faschismus, für ein sozialistisches Deutschland.“

Ein Lehrlingswohnheim des VEB Carl Zeiss Jena trug zu DDR-Zeiten Kurt Ziers Namen. Auch eine Straße in Jena-Lobeda wurde nach ihm benannt. Mit der Konterrevolution aber sollte die Erinnerung an diesen herausragenden Antifaschisten getilgt werden.