RotFuchs 220 – Mai 2016

Ein hoher deutscher General
spielte mit der Karte des Krieges

Bernd Biedermann

Hans-Lothar Domröse, Vier-Sterne-General der Bundeswehr und seit Dezember 2012 Befehlshaber der Vereinten Alliierten Streitkräfte der NATO in Europa, hat schon im Juni vergangenen Jahres mehr Waffen für die „Partner“ im Osten gefordert. Er räsonierte: „Wenn Rußland die gesamte Ukraine einnehmen will, kann Moskau das nicht durchhalten.“

Wie kann ein ernstzunehmender Militär glauben, Rußland wolle ausgerechnet die Ukraine annektieren? Sie steht doch ökonomisch schon geraume Zeit vor dem Zusammenbruch. Ohne die Finanzspritzen der EU, des IWF und der Weltbank hätte die Kiewer Regierung längst Bankrott anmelden müssen.

Karikatur:
Walter Trier

In einem Interview für „Die Welt“ vom 19. 6. 2015 warb der General dafür, „Querschnittsmaterial“ wie Munition, Wasser, Brot, Sanitätsstoffe und leichte Gefechtsstände in die baltischen Länder zu liefern. Wozu braucht man leichte Gefechtsstände? Sie werden benötigt, um sofort mit Beginn militärischer Kampfaktionen Truppen führen zu können. Denkt der General etwa daran, daß es bald dazu kommen könnte?

Nach dem sogenannten Querschnittsmaterial wären dann Hubschrauber, Haubitzen, Schützenpanzer, Flugabwehrsysteme und schweres Pioniergerät zu liefern.

Der General irrt jedoch, wenn er davon ausgeht, daß die Probleme, die sich aus den unterschiedlichen Interessen von Staaten und Bündnissen ergeben, mit militärischen Mitteln zu lösen sind. Offenbar befangen in den Auffassungen des Kalten Krieges, möchte er den militärischen Faktor wieder zum Mittel erster Wahl der Politik machen.

Da stellt sich militärisch kompetenten Zeitgenossen die Frage: „Wer ist dieser Mann?“ Als Sohn eines Generals trat er 1973 in die Bundeswehr ein. Später absolvierte er die Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, war danach kurz im Truppendienst und wurde 1989 als persönlicher Referent ins Bundeskanzleramt versetzt. Von da an ging es steil bergauf. Nach Verwendungen im Verteidigungsministerium, im NATO-Hauptquartier SHAPE, Einsätzen im Kosovo und als Stabschef der ISAF in Afghanistan übernahm er 2009 das Eurokorps in Straßburg und ging dann für gut ein Jahr als Vertreter zum NATO-Militärausschuß nach Brüssel.

Im Dezember 2012 erhielt er den vierten Stern und übernahm den Oberbefehl über das Kommando der Vereinten Alliierten Streitkräfte der NATO in Brunssum.

Ende 2015 tat er sich erneut als extremer Scharfmacher hervor. Wie er bereits im Juni angekündigt hatte, setzte er in der großangelegten Übung „Trident Juncture“ die sogenannte Speerspitze des Bündnisses im Mittelmeer ein. Mit 36 000 Soldaten, 3000 Marines, 140 Flugzeugen, 60 Schiffen und sieben U-Booten sollte die Stärke der NATO vor allem der Russischen Föderation vor Augen geführt werden. Die nämlich definiert Domröse als Gegner.

„Was machen wir denn, wenn der plötzlich ‚snapt‘ und dann nicht mehr aufhört?“ fragte der General. Dieser Gassenjargon ist nicht nur ein sprachliches Armutszeugnis.

Daß die zunehmenden Manöveraktivitäten der NATO an Rußlands Grenzen dort Besorgnisse auslösen könnten, kommt dem General offenbar nicht in den Sinn. Überhaupt scheint er Schwierigkeiten mit der Dialektik von Ursache und Wirkung zu haben. Er behauptet, in der Ukraine seien die Russen einfach „weitergerollt“.

Und in diesem Stil setzt er fort, redet von den „vorgeschobenen Basen in Kaliningrad, Syrien und auf der Krim“, die womöglich die Verbindung zu den NATO-Verbündeten im Baltikum und in der Türkei abschneiden könnten. Aus militärischer Sicht ist diese Gleichsetzung nicht nur unzutreffend, sie ist unsinnig.

Angesichts der schwierigen Sicherheitslage in Afghanistan sprach sich Domröse dafür aus, den Bündniseinsatz wieder auszuweiten, und fordert sogar Luftschläge. Unterstützung erhielt er umgehend von Rainer Arnold, der als Abgeordneter der SPD seit vielen Jahren dem Verteidigungsausschuß des Bundestages angehört. Der behauptet, das düstere Bild, das Domröse zeichne, sei gerechtfertigt, und es gäbe kein Zurück mit Mann und Gerät.

Ja, was denn sonst? Alles vergessen, was uns die Geschichte gelehrt hat? Das ruhmlose Ende der Kriege des Vereinigten Königreiches von Großbritannien Mitte des 19. Jahrhunderts oder der sowjetischen Intervention von 1979 bis 1989? Wie heißt es in einem Gedicht Theodor Fontanes: „Mit dreizehntausend der Zug begann, Einer kam heim aus Afghanistan.“

Ein guter Bekannter, der lange an exponierter Stelle in der Bundeswehr gedient hat, bestätigte mir, daß General Domröse, was Afghanistan angeht, „nichts, aber auch gar nichts verstanden hat“.

Und dann sein Auftritt im Februar 2016 auf der Münchener Sicherheitskonferenz. In einem Podiumsgespräch forderte er unverhohlen die massive Aufrüstung Osteuropas und mehr Engagement in Afghanistan. Dabei fällt zunächst seine außergewöhnliche sprachliche Diktion auf. Man gewinnt den Eindruck, daß der General seine Muttersprache nicht so beherrscht, um sich verständlich ausdrücken zu können. Dazu nur ein Beispiel: „Wir, die NATO, haben die Aufgabe, to maintain the peace, und im Osten to prevent war.“ Auf gut Deutsch: „Wir, die NATO, haben die Aufgabe, den Frieden zu bewahren und im Osten den Krieg zu verhindern.“ Kaum ein Satz, in dem er nicht mit englischen Begriffen um sich wirft, sie hin und wieder ins Deutsche übersetzt, vielleicht mit Rücksicht auf die Zuhörer, die nicht so fließend „Denglisch“ sprechen wie er.

Aber seine sprachliche (Fehl-)Leistung ist bei weitem das geringere Übel. Ganz schlimm wird es, wenn man seine Ausführungen mit politischem und militärischem Sachverstand beurteilt. Einleitend stellt er fest, die NATO müsse sich auf die Bedrohungen des 21. Jahrhunderts ausrichten, und dazu müsse sie „global gehen“. Es sei ihre Intention, „to keep the Americans in and the Russians out“. Er vergaß dabei allerdings, daß dieser Ausspruch vom ersten Generalsekretär des Bündnisses, Lord Ismay, stammt und vollständig so lautet: „Aufgabe der NATO in Europa ist es, die Amerikaner drin, die Russen draußen und die Deutschen unten zu halten.“

Im Stil eines Stammtischteilnehmers schwadroniert Domröse über die Balten, die auf Deutschland vertrauen, das ihnen Schutz biete und zur Seite stehe. „Sie lieben Deutschland, weil wir stark sind, weil wir in der Regel pünktlich sind und weil wir BMW fahren.“ Die Streitkräfte der baltischen Länder, die noch mit dem G3 ausgerüstet sind, könnten die Russen nicht lange aufhalten. Rußland bedrohe auch Deutschland, behauptet Domröse, als ob Putin davon träume, die BRD zu überfallen. Er, der kommandierende General, brauche im Baltikum mindestens eine Panzerdivision, um der Gefahr aus Rußland begegnen zu können.

Danach setzt er noch einen drauf, indem er ausführt, sein Bereich gehe von Ungarn bis Island. Mathematisch gesehen bedeutet das 10 Divisionen, fünf Divisionen sofort und das alles komplett mit Fla-Waffen. Es müßte eine Ausrüstungsinitiative gestartet werden, um der „responsibility to protect“ (Verantwortung zu schützen) gerecht zu werden. Offensichtlich haben seine amerikanischen Freunde bereits damit begonnen, in Norwegen Waffen und Ausrüstung für 15 000 Mann Marineinfanterie in Höhlensystemen des II. Weltkriegs einzulagern.

Ob die Verabschiedung von General Domröse am 16. März aus dem aktiven Dienst planmäßig oder vorsorglich erfolgte, ist nicht bekannt.