RotFuchs 199 – August 2014

Nahles’ Mindestlohn-Konstrukt weist viele Löcher auf

Ein klassischer Schweizer Käse

Dr. Peter Elz

Die Einigung über einen flächendeckenden Mindestlohn ist zustande gekommen, was Ministerin Nahles in einen wahren Erfolgsrausch versetzt hat. Sie verkündet, damit sei man einen gewaltigen Schritt in Richtung sozialer Gerechtigkeit gegangen. Unternehmerkreise begründen ihren heftigen Widerstand vor allem damit, diese Maßnahme werde zur Verringerung der Zahl der Arbeitsplätze führen.

Aus meiner Sicht ist die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohnes ein schon lange überfälliger Schritt in die richtige Richtung. Selbst die CDU sah sich gezwungen, dieses Thema nicht länger zu umgehen. Strategen der „Marktwirtschaft“ sind offensichtlich zu der Erkenntnis gelangt, daß der auf dem Gebiet der Lohnpolitik bisher verfolgte Kurs gewisser Korrekturen bedurfte.

Mindestlöhne, die dieser Bezeichnung gerecht werden, können zu einer gewissen Abschwächung der gröbsten Asozialitäten des kapitalistischen Entlohnungssystems beitragen.

Aber gibt es in der kapitalistischen Ausbeutergesellschaft dafür echte Chancen?

Zunächst sollte man sich vor Augen führen, daß die Zahlung von Hungerlöhnen, die trotz Vollzeitarbeit nicht zu einem menschenwürdigen Leben reichen, gerade das Ergebnis des „marktwirtschaftlichen Mechanismus“ ist. Die Logik des Systems verliert aber nicht ihre Wirksamkeit dadurch, daß staatlicherseits Mindestlöhne eingeführt werden. Bestenfalls können bestimmte Auswüchse des rabiaten Kapitalismus leicht beschnitten werden. Wenn man solche Minimalnormen auf administrativem Wege durchsetzt, stachelt das natürlich die Unternehmer an, bei der Entlohnung „neue Wege“ zu erkunden, um die Personalkosten so weit wie möglich einzuschränken und gleichzeitig die Preise ihrer Produkte oder Leistungen zu erhöhen. Die Möglichkeiten dazu sind vielfältiger Art: Ausweichen auf Scheinselbständigkeit und Werkverträge, Überstunden ohne Bezahlung, Zeit- und Leiharbeit, Minijobs, Verwendung ausländischer Arbeitssklaven, die keine Forderungen stellen können, und Auslagerung arbeitsaufwendiger Tätigkeiten. Selbst dann, wenn die Unternehmer dabei auf unüberwindliche Hindernisse stoßen sollten, bleibt ihnen immer noch der Ausweg, dem Endverbraucher, der sich gerade erst über höhere Löhne gefreut hat, durch heraufgesetzte Preise oder Tarife in die Tasche zu greifen.

Auf keinen Fall werden die Unternehmer aufgestockte Löhne aus ihren Gewinnen bezahlen, jedenfalls nicht auf Dauer. Die Tendenz deren Anstiegs bei (relativ) sinkenden Einkünften der Beschäftigten bekommt bestenfalls vorübergehend eine leichte Delle, keinesfalls aber einen dauerhaften Knick. Fatal wäre es, wenn sich Linke in der Illusion wiegten, dem System sei durch die Einführung von Mindestlöhnen eine empfindliche Niederlage beigebracht worden. Solange den Kapitalisten deren ökonomische Machtpositionen, die sich aus dem Eigentum an Produktionsmitteln herleiten, nicht entzogen werden, können sie ihre Trümpfe gegenüber den ständig um ihre Jobs bangenden Arbeitern weiter ausspielen. Diese nehmen eher Vergütungseinbußen oder unbezahlte Mehrarbeit hin, als ihre Arbeitsplätze ganz zu verlieren.

Ein Wort zu der Behauptung, die Einführung von Mindestlöhnen koste Arbeitsplätze: Sicher trifft es zu, daß deren obligatorische Gewährung bestimmte Branchen in Schwierigkeiten bringen könnte. Entlassungen oder sogar die Schließung einiger Firmen wären die Folgen. Da aber die Nachfrage nach den betreffenden Produkten oder Leistungen weiterhin besteht, würden diese vermutlich früher oder später durch andere Unternehmen bei entsprechend höherem Arbeitskräftebedarf mit erzeugt oder erbracht werden. Eine Reduzierung des Angebots entspricht nicht der Funktionsweise kapitalistischer Marktwirtschaftsgesetze.

Hinzugefügt sei: Wenn plötzlich einem Teil der Beschäftigten höhere Löhne als bisher gezahlt werden müssen, dann entsteht dadurch ja auch mehr Kaufkraft und finanzierbare Nachfrage, die sich auf die unterschiedlichsten Erzeugnisse bezieht. Auch dadurch würden Arbeitsplatzverluste ausgeglichen.

Bei der von Nahles so zur Schau gestellten Selbstzufriedenheit wird die Tatsache in den Hintergrund gedrängt, daß es sich in Sachen BRD-Mindestlohn um einen Schweizer Käse mit großen Löchern – den sogenannten Ausnahmeregelungen – handelt.