Vor 80 Jahren erschlugen SA-Leute den Arbeiter Otto Hurraß
Ein Kommunist „von nebenan“
„In der Nacht vom 22. zum 23. Februar 1934 wurde ich zur Vernehmung vorgeführt. Ich mußte mich mit dem Gesicht zur Wand stellen und eine halbe Stunde so stehen. Als die Tür aufging, habe ich gesehen, wie sie einen Mann am Jackettkragen und Genick angeschleppt brachten. … Ich wagte mich umzudrehen und erkannte Otto Hurraß. Ich wurde dann als nächster in das von ihm verlassene Zimmer gezerrt. Es war mit Kot und Blut beschmutzt, auf dem Tisch lagen etliche Gummiknüppel und Pistolen …, nach stundenlangen Quälereien und Folterungen … ging einer von den SS-Leuten raus … in das Zimmer, wo Otto Hurraß eingesperrt war. Er kam gleich zurück und berichtete, daß Hurraß tot sei. Darauf gingen Landjäger Kraul aus Kleinleipisch und der stellvertretende Lagerkommandant Zimmermann raus … Sie kamen nach einer kurzen Zeit zurück und unterhielten sich. Ich hörte die Worte: Das Schwein ist erledigt“, gab ein KPD-Mitglied zu Vorgängen im Sammellager (KZ) Lichtenburg, Gemeinde Prettin, Landkreis Wittenberg, Sachsen-Anhalt, zu Protokoll.
Das Herz des erst 31jährigen Kommunisten Otto Hurraß aus Bockwitz (heute Lauchhammer) hatte in dieser Nacht aufgehört zu schlagen. Schwarze und braune Bestien in Menschengestalt ermordeten den Genossen, Ehemann und Vater von zwei Kleinstkindern auf brutalste Weise.
Was wissen wir über Otto Hurraß?
Er entstammte einer Bockwitzer Arbeiterfamilie. Bei den Mitteldeutschen Stahlwerken in Lauchhammer erlernte er das Schlosserhandwerk. Seine Heimat, das Mückenberger Ländchen, war damals eine Hochburg des sich rasch entwickelnden Braunkohlebergbaus. Gleichzeitig wurde es zusehends zu einem Zentrum der politisch organisierten Arbeiterbewegung, weshalb es bald den Namen Rotes Ländchen erhielt. Bei den Reichstagswahlen 1928 votierte von den rund 8000 Wahlberechtigten etwa ein Viertel für die KPD, zwei Viertel stimmten für die Sozialdemokraten. Ja, wenn man da zusammengehalten hätte!
In dieser Umwelt aufwachsend schloß sich Otto Hurraß bald der Arbeiterjugendbewegung an und wurde nach der Novemberrevolution Mitbegründer der Freien Sozialistischen Jugendgruppen in Bockwitz. Vermutlich war das ein wesentlicher Grund dafür, ihm nach Beendigung der Lehre sofort die Entlassungspapiere auszuhändigen. Wie viele seiner Altersgenossen ging Otto auf Wanderschaft, eignete sich dabei fahrzeugtechnische Kenntnisse an und erwarb den Führerschein. Zurückgekehrt, eröffnete er in Bockwitz eine kleine Reparaturwerkstatt, verdiente durch Lohnfuhren und Fahrradreparaturen seinen Lebensunterhalt.
Seiner Weltanschauung folgend engagierte er sich im Kommunistischen Jugendverband, später dann im Roten Frontkämpferbund. Aktiv wirkte er in einem örtlichen Aktionsausschuß zur Aufstellung bewaffneter Arbeitergruppen. Dieser Schritt erfolgte im Zusammenhang mit dem Kampf der revolutionären Arbeiter von Leuna und im Mansfelder Gebiet zur Abwehr des Kapp-Putsches. Dafür mußte Otto eine erste Gefängnisstrafe antreten.
Da er seine politischen Aktivitäten aus den 20er Jahren fortsetzte, geriet er zwangsläufig in das Visier der ans Ruder gelangten Faschisten. Schon im Sommer 1933 wurde er von ihnen für zwei Monate in „Schutzhaft“ genommen.
Die zuvor jahrzehntelang als Haftanstalt genutzte Prettiner Lichtenburg diente den neuen Machthabern als Sammellager für „Schutzhäftlinge“. Angedacht für 1000 Gefangene, befanden sich im September 1933 dort bereits 2000 „identifizierte“ Regimegegner. 70 Prozent von ihnen waren Kommunisten, etwa ein Fünftel Sozialdemokraten. Ottomar Geschke, Ernst Grube, Michael Niederkirchner, Friedrich Ebert, Friedrich-Karl Kaul, Wolfgang Langhoff und später auch Olga Benario befanden sich unter den dort Gequälten.
In Vorbereitung eines Hochverratsprozesses gegen mehr als 50 aus dem Roten Ländchen zusammengetriebene Kommunisten suchten die braunen Schergen nach Schuldbeweisen. Sie taten das unter Anwendung aller ihnen zur Verfügung stehenden Mittel.
Ein sich den Nazis andienendes Subjekt aus dem Ort denunzierte Otto Hurraß und log, dieser verberge auf seinem Wohngrundstück ein Maschinengewehr. Kräfte des Lagers Lichtenburg, verstärkt durch einheimische SA-Leute, nahmen sich ihn nun vor.
Seine Frau gab später zu Protokoll: „Als ich nach Hause kam, hörte ich schon von weitem Schreien und Schlagen. … Nach einer Stunde kam mein Mann in Begleitung von … zu mir in die Küche und wusch sich die Hände, da er im Garten nach einem Maschinengewehr graben mußte. Dabei sah ich, daß er zerschlagene, blutige Hände hatte. Ich sagte: ,So sehr haben sie dich geschlagen.‘ Er antwortete darauf, das sei noch gar nichts … ,Auf dem Rücken bin ich braun und blau geschlagen, die schlagen mich heute noch tot.‘“ Ein Maschinengewehr wurde nie gefunden.
Am 24. Februar erhielt Frieda Hurraß ein Telegramm: „Ehegatte verstorben. Verstorbenen hier abholen. Leichenhalle Prettin“, hieß es lakonisch.
Nach der Befreiung vom Faschismus erinnerte sie sich an die Sargöffnung in Lauchhammer: „… Da lag mein Mann in ein vollkommen beschmutztes Laken gewickelt, die Hände waren mit den Hemdsärmeln zusammengeknüpft. Das Blut kam noch aus Mund und Nase gelaufen. Er war so blau geschlagen, daß keine weiße Stelle zu sehen war …“
Das neue sozialistische Deutschland – die DDR – ehrte das Andenken an Otto Hurraß durch die Benennung einer zentralen Straße im heutigen Lauchhammer-Mitte. Bis zur Konterrevolution trug das Kulturhaus der Bergarbeiter als politisches und kulturelles Zentrum der Stadt den Namen des proletarischen Helden. Im Volksmund hieß es damals: „Wir gehen ins ,Hurraß‘.“ Der Namensgeber hätte das richtig zu werten gewußt.
Heute wird das Gebäude als „Bürgerhaus“ weiter genutzt. Das Grab des ermordeten Antifaschisten befindet sich nur wenige hundert Meter entfernt auf dem Gelände des inzwischen geschleiften Friedhofes. Wer möchte, kann sich dort erinnern und versprechen, nie wieder Faschismus zuzulassen, der zum gewaltsamen Tod des Kommunisten „von nebenan“ geführt hat.
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