Bernie Sanders – die Sensation im USA-Wahlkampf 2016
Ein linker Kandidat sorgt für Furore
Weder Hillary Clinton, die von der Demokratischen Partei an der mehr oder weniger kurzen Leine des Kapitals ins Rennen geschickte Spitzenfrau, noch der durch die rechtesten unter den rechten Republikanern präsentierte großmäulige Milliardär Donald Trump sorgten bei den diesjährigen USA-Vorwahlen für eine Sensation. Bernie Sanders, der in Brooklyn eine Dreieinhalbzimmerwohnung für sich beanspruchende parteipolitisch unabhängig gebliebene linke Senator aus dem kleinen Ostküstenstaat Vermont, hat es hingegen weiter als von den meisten erwartet gebracht.
Bernie Sanders fordert: Holt die Regierung von den Konzernen zurück!
Wer ist dieser Mann, der es als erster unabhängiger Kandidat auf die Liste der Democratic Party geschafft hat und sich als Sozialist bezeichnen darf, ohne seinen sofortigen Absturz befürchten zu müssen? (Bei dem Wort Sozialist handelt es sich um einen Terminus, der seit McCarthys antikommunistischen Hexenjagden in den 50er Jahren von keinem Kandidaten, sieht man von leider chancenlosen kommunistischen Bewerbern ab, jemals in den Mund genommen worden wäre.) So wälzten Millionen stimmberechtigte Amerikaner ihre Lexika, um in Erfahrung zu bringen, welche soziale Sprengkraft das von Sanders in die Schlacht geführte Wort eigentlich birgt.
Der seit Jahrzehnten dienstälteste unabhängige Amtsinhaber in einem der 50 USA-Bundesstaaten war bis vor kurzem für die bürgerliche Weltpresse ein unbeschriebenes Blatt. In den Medien der Vereinigten Staaten ist er seit Januar der fast am häufigsten erwähnte Bewerber um einen Einzug in das Weiße Haus.
Was hat dazu geführt? Im ersten Monat des Wahljahres 2016 gelang es Bernie, wie er inzwischen von seinen Anhängern genannt wird, bei den Vorwahlen in New Hampshire die hoch favorisierte Hillary Clinton um Haupteslängen zu schlagen. Obwohl seine Gesamtchancen in einem Land wie den USA recht gering sind, übernahm er auch in einer Reihe anderer Bundesstaaten – Meinungsumfragen zufolge – die Position des „Front-runners“.
Während sich auf Hillary Clintons Kampagnekonto den Wählern durch Monopole und Banken aus der Tasche gezogene Millionenbeträge häufen, kann Sanders – wie einst Barack Obama – mit der Unterstützung von über einer Million Kleinsparer aus seiner Anhängerschaft rechnen. Diese besteht vor allem aus Angehörigen der Mittelschichten, Akademikern und Studenten, aber auch zahlreichen Arbeitern.
Als sich herausstellte, daß Afroamerikaner derzeit noch mit deutlicher Mehrheit zum Clinton-Lager gerechnet werden müssen, ernannte Sanders flugs einen Schwarzen zum Stabschef seiner Kampagne. Er weiß indes um die Achillesferse seiner Unterstützerbasis.
Versuchen wir etwas mehr über jenen Mann in Erfahrung zu bringen, der von den Lesern des keineswegs linker Sympathien verdächtigen Nachrichtenmagazins „Time“ zur eine Titelseite schmückenden „Person des Jahres 2015“ auserkoren wurde.
Bernie Sanders sei kein Freund von „Bull-shit“ liest man in Belgiens linker Monatsschrift „Solidaire“, sondern ein Mann klar umrissener Positionen. Dafür spricht auch die Tatsache, daß er seit Bekanntgabe seiner Kandidatur allen Verlockungen zum Trotz unbeirrbar ein Unabhängiger geblieben ist, wenn auch auf der Liste der Demokraten. Bernie neigt keineswegs zu Überschwenglichkeiten. „Die Revolution ist nicht möglich, selbst wenn man mich gewählt hat, solange nicht Millionen Menschen aktiv in den politischen Prozeß eingreifen“, bewahrte er Nüchternheit.
Doch auch im Rahmen kapitalistischer Verhältnisse könnte in den USA einiges bewegt werden, wenn man die Dinge beim rechten Namen nennt. Sanders verkündete stets dieselbe Botschaft: Er stehe gegen die Herrschaft der Wallstreet-Bankiers und bekämpfe „schreiende soziale Ungleichheit“. Das Establishment aus beiden großen Parteien, gleich ob Demokraten oder Republikaner, diene vor allem den Interessen der Reichen. Mehr als das: Seit den 80er Jahren habe in den USA eine weitere Umverteilung zugunsten der Superreichen auf Kosten der Mittelschichten wie der Armen stattgefunden.
In diesem Zusammenhang propagiert Sanders das „skandinavische Modell eines demokratischen Sozialismus“. Dieser Begriff bedeutet in Europa für Linke sicher nicht viel, aber in einem Land, in dem es nicht einmal eine etablierte Sozialdemokratie gibt, doch allerhand. Bemerkenswert ist auch die Verwendung des Klassenbegriffs durch Sanders, der – Trump im Auge – oftmals von der „Klasse der Milliardäre“ spricht.
Noch einiges zur Person dieses ehrenhaften Kandidaten: Der 74jährige „ging“ schon als junger Mann „in die Politik“, deren bürgerliche Interpretation er an der Chicagoer Universität studiert hatte. Die 60er Jahre sahen ihn als Teilnehmer am „Marsch auf Washington“ in den Reihen der Anhänger Martin Luther Kings. Ein Jahrzehnt später bewarb er sich an Vermonts Verwaltungssitz Burlington – dem zeitweiligen Refugium einstiger Hippies – wiederholt um den Bürgermeisterposten, den er 1981 schließlich auch errang. Nach dreimaliger Wiederwahl nannte ihn die pentagonnahe Zeitschrift „U.S. News & World Report“ ungeachtet seiner linken Sympathien, „eines der besten Stadtoberhäupter in den USA“. Der vermeintliche Grund dafür: Um in Vermont Arbeitsplätze zu schaffen, hatte Sanders den Rüstungskonzern Lockheed mit seinem kontroversen F-35-Programm 1990 nach Burlington gelockt. Zunächst ins US-Repräsentantenhaus und dann in den Senat gewählt, blieb er auch als Kongreßmitglied für die Herrschenden unberechenbar.
Während keiner Partei angehörende „Independents“ (Unabhängige) sonst von den USA-Medien grundsätzlich geschnitten werden, macht Bernie Sanders dabei eine Ausnahme. Monatelang stand er im Rampenlicht, obwohl er als erster USA-Präsidentschaftsbewerber der beiden großen Parteien die arbeitenden Menschen in den Mittelpunkt stellt. Sein Motto lautet: „NOT FOR SALE“ (Nicht käuflich).
Zu den Erfolgsrezepten von Sanders gehört übrigens auch, daß er sich der neuen Medien Twitter und Google ausgezeichnet zu bedienen weiß.
Nach ihren ersten Mißerfolgen verlegte sich Hillary Clinton aufs Relativieren. „Was sind schon Meinungsumfragen!“ erklärte sie. „Mal siegt man, mal unterliegt man.“
Ein nicht chancenloser linker Kandidat, der die Amerikaner zwar nicht zum Sozialismus zu führen verspricht, aber die durch McCarthy geschmähte und grimmig verfolgte Vokabel nicht als Übel betrachtet und dabei auch noch ein Bad in der Menge zu nehmen vermag – ist das etwa keine Sensation?
RF, gestützt auf „Solidaire“, Brüssel
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