Ein neues Unwort: Urkatastrophe
Wieder wabert ein politisches Schlagwort durch den bürgerlichen Medienwald: „Urkatastrophe“.
Sofort denkt man an Urschleim oder Urknall, also Naturgegebenes. Tatsächlich gemeint ist der Beginn des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren. Er begann mitten in Europa und stürzte nicht nur dort Millionen Menschen in Tod, Elend und Verzweiflung. Eine Katastrophe? Für die Masse ja, aber nicht für jene, welche daraus milliardenfach blanke Münze schlugen.
Man fragt sich, was derart schwammige Begriffe eigentlich bewirken sollen. Offenbar will man den Anschein erwecken, man habe aus der Geschichte gelernt, was ja bei „herrschenden Eliten“ selten der Fall ist.
In Ausstellungen und Dokumentationen, mit Dichterzitaten und einem Foto-Wald wird man daran erinnert, mit welchem nationalistischen Größenwahn-Taumel der Erste Weltkrieg im Sommer 1914 begann.
Damals begleitete ein großer Teil des deutschen Volkes in unbegreiflicher Verblendung die später auf gespenstische Weise unter Hitler ins Maßlose gesteigerte Wiederholung des Gemetzels mit Hurrapatriotismus. Doch es gab auch warnende Stimmen der Anklage und des Zorns auf jene, welche unaufhörlich zu Lande und zu Wasser aufgerüstet hatten. Das kaiserliche Deutschland gierte nach „einem Platz an der Sonne“. In Basel hatten die Sozialisten aus vielen Ländern 1912 die Weltöffentlichkeit vergeblich vor der Gefahr gewarnt. Einer Weltkriegsgefahr, die schon Friedrich Engels vorausgesehen hatte (s. RF 195, S. 19).
Ich bin wie viele meiner Generation unendlich dankbar dafür, daß mir als Schulkind bereits in den ersten Jahren der DDR durch Lieder, Gedichte, Erzählungen und Filme die wahren Schuldigen an den Katastrophen des 20. Jahrhunderts erkennbar gemacht wurden. Hier sei an Hans Marchwitzas Gedicht „Wir lieben das Leben“ aus der Kantate „Eisenhüttenkombinat Ost“ erinnert, das Otmar Gerster vertonte. „Wir lieben das Leben, das Leben ist schön. Doch Leben heißt kämpfen, dem Trug widerstehn. Wir wollen keinen Krieg, der nur dient dem Profit und Vorteil bringt dem Mann, der nie am Kriege litt“, heißt es dort.
Eines der meistgesungenen Lieder im Osten Deutschlands war die Hymne der demokratischen Weltjugend. „… unser Glück auf dem Frieden beruht“, verkündet sie. Und sie endet mit den appellierenden Worten „Freundschaft siegt!“.
„…, daß ein gutes Deutschland blühe wie ein anderes gutes Land“ bekannte sich Johannes R. Becher zu jenem deutschen Staat, der zwischen 1949 und 1989 unablässig Signale des Friedens aussandte.
„Urkatastrophe?“ Was für ein irreführendes Wort!
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