Zum politisch-moralischen Format Wolfgang Harichs
Ein nicht Vereinnehmbarer
Die Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde (GBM) führte am 19. Dezember 2013 ein Kolloquium anläßlich des 90. Geburtstages des Philosophen Wolfgang Harich durch. Wir veröffentlichen einen Auszug der einleitenden Bemerkungen des stellvertretenden GBM-Bundesvorsitzenden Oberst a. D. Klaus Eichner.
Die Organisatoren hatten sich in der Vorbereitung des Kolloquiums geeinigt, heute Wolfgang Harich nicht nur als Philosophen und Geisteswissenschaftler zu würdigen, sondern vorrangig als politischen Akteur in den Jahren nach der von ihm auch so empfundenen Konterrevolution 1989/90.
Dazu gehört in erster Linie seine Initiative zur Bildung der Alternativen Enquetekommission Deutsche Zeitgeschichte (AEK) – als politisches Gegengewicht zur Enquetekommission des Deutschen Bundestages unter Leitung von Pfarrer Eppelmann.
Ich verbinde diese Einleitung mit ganz persönlichen Erinnerungen an eine bemerkenswerte Persönlichkeit. In den Jahren der Gründung und der Arbeit der AEK habe ich oft bei Wolfgang Harich in der Friedensstraße gesessen – und wir waren uns nicht immer einig!
Es war ja auch eine etwas sonderbare Situation: Da sitzt ein Mensch, der vom MfS als Mitglied einer staatsfeindlichen Gruppe „bearbeitet“ und 1957 von einem DDR-Gericht verurteilt wurde – und ihm gegenüber als akzeptierter Partner ein ehemals verantwortlicher Mitarbeiter des MfS.
Aber gerade deshalb drängte Wolfgang Harich auf die Durchführung von Veranstaltungen der AEK, in denen ein objektives Bild der Geheimdienstarbeit im Kalten Krieg und auch eine schonungslose Offenlegung von Fehlentwicklungen und Fehlentscheidungen in der Sicherheitspolitik der DDR im Zentrum standen … Besonders beeindruckt war ich durch seine Haltung, sich nie und nimmer für einen Rachefeldzug gegen Personen, die direkt oder indirekt für Repressionen gegen ihn verantwortlich waren, vereinnahmen zu lassen.
Dazu erklärte er in einem offenen Brief an den Generalstaatsanwalt beim Kammergericht Berlin, der vom ND am 27. Juli 1993 abgedruckt wurde, daß er das Erscheinen zu einer Vernehmung bei einer Staatsanwältin der Zentralen Ermittlungsgruppe Regierungs- und Vereinigungskriminalität grundsätzlich ablehne. Die ZERV wollte Wolfgang Harich als Zeugen für Ermittlungen gegen Akteure des Gerichtsprozesses von 1957 vernehmen. Harich ging sogar weiter und stellte seinerseits Strafanzeige gegen die Staatsanwältin M., da sie ihn mit der Vorladung zur Vernehmung unter Androhung von Nachteilen zu einem Verstoß gegen geltendes Recht genötigt hatte.
Diese Haltung beruhte auf einem tiefgehenden Verständnis von Solidarität unter Linken. Er hatte dazu auf einer Konferenz der Abgeordnetengruppe PDS/Linke Liste im Bundestag im November 1993 zum Thema „Lebenselixier Solidarität“ gesprochen („junge Welt“ vom 11. März 2010).
Wolfgang Harich formulierte seinen Standpunkt folgendermaßen: „Es kann Genossen was auch immer vorzuwerfen sein. Sobald die Schergen des Klassenfeindes sich ihrer bemächtigen, darf es ihnen gegenüber nur noch Solidarität geben. Ohne Wenn und Aber.“ Er schloß in diese Haltung auch die verurteilten Mitglieder der alten SED-Führung ein.
Weiter sagte Wolfgang Harich in diesem Referat: „Ich wende mich gegen den berüchtigten MfS-Offenlegungsbeschluß der PDS für Genossen, die Funktionen übernehmen wollen. Die Stasi war nun einmal Schild und Schwert der Partei, die einst SED hieß. Jeder, der ihr gedient hat, offiziell und inoffiziell, mußte sich darauf verlassen können, daß die PDS eisern zu ihm hält. …
Es ist aber besonders die Verlogenheit zu verdammen, einen derartigen Beschluß zu fassen und im Einzelfall sich selbst davon auszunehmen, weil man sich für so unentbehrlich hält, daß da über einen selbst gar nichts zu finden sein könnte.“
Als ich diese Zeilen jetzt noch einmal gelesen hatte, wurde ich nachdrücklich an das Agieren führender Vertreter der Linkspartei in Brandenburg, vor allem zu Beginn ihrer Koalition mit der SPD, erinnert!
Wir ehren heute diese außergewöhnliche Persönlichkeit mit all ihren Ecken und Kanten.
In einem Beitrag zum 75. Geburtstag von Wolfgang Harich merkte Peter Feist zum Beispiel an: „In den zu seinem Tode 1995 zahlreich erschienenen Nachrufen finden sich die unterschiedlichsten Wertungen, die von seltsamer Dissident, Wunderkind der jungen DDR über kämpferischer Philosoph, eigenwilliger Nonkonformist, deutscher Patriot, brillanter Literaturkritiker bis Ökostalinist reichen. Er sei aufsässig, spritzig-intelligent, dogmatisch, verbohrt, selbstkritisch, fanatisch, eloquent, unangepaßt, stur, unhöflich und begabt gewesen …
Peter Feist schließt seine Würdigung des „charmanten Querdenkers“ mit den Worten: „Wenn Harich etwas als notwendig angesehen hatte, konnte ihn nichts und niemand abhalten, sich dafür rückhaltlos einzusetzen. Sein aus tiefstem philosophischem Grund gespeister moralischer Rigorismus verschaffte ihm nicht wenig Feinde, und machte es zuweilen auch seinen Genossen nicht leicht, ihm beizustehen. Freund und Feind aber sind sich einig: Wolfgang Harich war einer der bedeutendsten kommunistischen Intellektuellen der Nachkriegszeit.“
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