RotFuchs 191 – Dezember 2013

Wie die Vippacher „Pflanze“ eine beachtliche Nachfolgerin fand

Ein Phönix, der aus der Asche stieg
(Teil 2 und Schluß)

Eberhard Herr

Asche kann sehr fruchtbar sein, und der Sage nach soll sich ja auch der Vogel Phönix aus ihr erhoben haben. Aber natürlich war der Acker rund um Vippachedelhausen absolut keine Asche, sondern äußerst ertragreich. Unsere spezialisierte LPG Pflanzenproduktion – kurz „Pflanze“ – hatte ja als sozialistische Genossenschaft bereits Hektarerträge aufzuweisen, durch die sie in der DDR weit über das Weimarer Land hinaus bekannt wurde. 1991 entstand die Erzeuger-Genossenschaft Neumark eG, deren Mitglieder unter völlig andersartigen gesellschaftlichen Verhältnissen inzwischen nach Normen bürgerlichen Rechts zu wirtschaften gelernt haben. Die Anbaufläche beträgt jetzt rund 4000 Hektar. In der Genossenschaft sind 75 Personen unmittelbar tätig, während ihr 115 Mitglieder angehören, zu denen noch etwa 800 Verpächter von Grund und Boden hinzukommen. Das ist die partnerschaftliche Basis, auf der nun produziert wird.

In der Feldwirtschaft bauen die Neumarker überwiegend Winterweizen, Sommergerste, Raps, Erbsen, Zuckerrüben sowie Körner- und Silo-Mais an.

Als wichtigste Getreideart gilt Winterweizen. Hier beträgt die Erntemenge rund 8000 t. Hinzu kommen Braugerste (ca. 4000 t), Raps (2500 t) und Zuckerrüben (11 000 t).

Um solche Erträge erzielen zu können, verfügt die Genossenschaft über einen hochmodernen Maschinen- und Technikpark von erheblicher Dimension. Darunter befinden sich Traktoren, deren Leistungskraft bis zu 600 PS beträgt. Der Case Quadtrac 535 ist z. B. eine riesige Maschine, die auf Ketten aus Gummi fährt und anstelle von Rädern auf jeder Seite Dreirad-Aufhängungen besitzt, über welche die Raupen laufen. Mit diesem Supertraktor lassen sich selbst schwerste Lasten bewegen. Sämtliche Feldarbeiten wie Grubbern, Drillen, Düngen und Ausbringen von Pflanzenschutzmitteln erfolgen hochmechanisiert.

Für die Getreidetrocknung ist mit einer Kapazität von 10 000 Tonnen fachgerecht gesorgt. Die Erträge können sich sehen lassen.

Das zweite Standbein der Genossenschaft ist Milch, die artgerecht und qualitativ hochwertig in der Anlage Berlstedt erzeugt wird. Die seinerzeitige LPG – Berlstedt war in der gesamten DDR ein Begriff für hohe Leistungsfähigkeit und vielfältiges kulturelles Leben – hatte sich zu sozialistischen Zeiten schon sehr früh auf Milcherzeugung spezialisiert und dafür entsprechende Voraussetzungen geschaffen. (Erinnert sei hier an Werner Voigts Berlstedt-Couplet, das der RF in seiner Oktoberausgabe veröffentlichte.) Die damalige Produktionsstätte war mit 2000er Anlagen die größte im seinerzeitigen Bezirk Erfurt.

Die landwirtschaftlichen Nutzflächen wurden durch die „Pflanze“ Vippachedelhausen bewirtschaftet, welche Grünfutter und Getreide für die 4000 Milchkühe und den Kälberbestand zuverlässig bereitstellte. Nach 1990 wurden die alten Anlagen geschleift. Die Erzeuger-Genossenschaft errichtete große, helle und gut belüftete Ställe, welche den 1700 Kühen einen hohen Tierkomfort bieten. Das Milchvieh ist heute deutlich weniger krankheitsanfällig und liefert Milch von erstklassiger Qualität. Das Melken erfolgt in einem modernen Side-by-Side-Melkstand mit zweimal 30 Plätzen. Die tägliche Milchablieferung beträgt rund 37 000 Liter, was sich im Jahr zu etwa 14 Millionen addiert. Für die Jungviehaufzucht besteht eine Kooperationsbeziehung mit einer Rinder-Zuchtgenossenschaft im thüringischen Ernstroda.

Doch alles Heutige besitzt stabile Grundlagen in den Erfahrungen des Vorangegangenen. Die Mitarbeiter in den neuen Ställen waren zum Teil noch in der alten Berlstedter Anlage tätig und brachten von dort reiches Wissen mit. Inzwischen sind natürlich auch jüngere Kräfte am Wirken. Auf deren Gewinnung und Ausbildung legt der Vorstand der Erzeuger-Genossenschaft besonderen Wert. Der Betrieb setzt alles daran, auch in Zukunft hohe Milchleistungen zu erzielen. Dabei stehen erstklassige Qualität des Produkts und artgerechte Haltung der Tiere im Vordergrund. Ein drittes Standbein hat sich die Genossenschaft mit der im Oktober 2005 in Betrieb genommenen Biogasanlage geschaffen. Zuvor war fast die gesamte Gülle auf den Feldern versprüht worden, was dem Boden nicht immer Nutzen brachte, da die Gefahr einer Versalzung bestand. Nun wird sie mit Zusätzen von Mais oder Ganzpflanzen-Silage in zwei großen Fermentern zu Biogas verarbeitet. Im eigenen Blockheizkraftwerk entsteht daraus mit einem 600-Kw-Biogasmotor eine Menge Strom. Die Abwärme nutzt man im eigenen Betrieb. Übrigens erfolgt auch eine Entschwefelung des Produkts, wobei die anfallenden Reste aus dem Gärprozeß als wertvoller organischer Dünger dienen. Das ist der geschlossene biologische Stoffkreislauf, den die Neumärker erreicht haben. Sie verfolgen die Absicht, ihre Anlage weiter zu modernisieren und zu vergrößern.

Ich möchte diesem Bericht noch ein paar persönliche Bemerkungen hinzufügen. Als mir am 29. November 1961 im Zimmer des 1. Sekretärs der Weimarer SED-Kreisleitung die recht düstere Situation der LPG „Vereinte Kraft“, in die ich entsandt werden sollte, erläutert wurde, war ich wenig begeistert. Ich ärgerte mich sehr über die äußerst niedrigen Erträge, zumal ich schon weitaus Besseres erlebt hatte. In einer Vorstandssitzung bin ich sogar regelrecht aus der Haut gefahren, wofür ich mich hinterher entschuldigt habe. An Ort und Stelle setzte ich alles daran, daß die Mitglieder wieder Mut bekamen und immer mehr produzierten, womit auch ihre Einkünfte stiegen.

Es war der Anfang einer großartigen Entwicklung. Am 20. Jahrestag der LPG waren wir schon ganz und gar aus dem Schneider und erzielten hohe Erträge auf dem Acker wie im Stall. Um so mehr freut es mich, daß die Mitglieder unserer „Pflanze“ nach der Niederlage des Sozialismus in Europa, von der auch die DDR betroffen wurde, nicht einfach auseinandergelaufen sind. Sie haben die Erzeuger-Genossenschaft Neumark eG gegründet und produzieren dort sogar noch mehr, als wir damals aufweisen konnten,

Wie man sieht, ist nicht alles im Osten sang- und klanglos untergegangen, wie es bisweilen scheint. So manche Phönixe haben sich aus der fruchtbaren Asche erhoben.