Wie in Neumark eine Genossenschaft
bürgerlichen Rechts entstand
Ein Phönix, der aus der Asche stieg
Am 9. August fuhr ich, wie ich es den RF-Lesern versprochen hatte, in die kleine Stadt Neumark. Sie liegt im Thüringer Land nördlich hinter dem Ettersberg bei Weimar in einer fruchtbaren Ebene.
So ist es verständlich, daß sich hier „in alten Zeiten“ einst auch Güter der feudal-kapitalistischen Großgrundbesitzer befanden. In Neumark gab es ein herrschaftliches Anwesen dieser Art allerdings nur bis 1945. Im Zuge der demokratischen Bodenreform wurde es nach Änderung der Machtverhältnisse kurzerhand enteignet und dann in ein VEG umgewandelt, wie die volkseigenen Betriebe in der Landwirtschaft hießen. Heute hat eine Nachfolgeeinrichtung der Treuhand hier das Sagen. Sie muß dabei die verschiedenartigsten Interessen in Rechnung stellen, vor allem aber das Gerangel um den Boden des einstigen Staatsgutes.
Ausgerechnet in Neumark hat sich vor über 20 Jahren eine neue Genossenschaft, die aus der legendären „Pflanze“ von Vippachedelhausen hervorgegangen ist, angesiedelt. An der Stirnseite des gelben Gebäudes, in dem sich die Leitung der „Nachfolgerin“ unserer spezialisierten LPG Pflanzenproduktion, die es einst errichtete, etabliert hat, steht in großen grünen Lettern: Erzeuger-Genossenschaft Neumark eG.
Der Betrieb entstand im Frühjahr 1991, wobei man sich den Übergang von einer sozialistischen Produktionsgenossenschaft zu einer Genossenschaft bürgerlichen Rechts keinesfalls als „Spaziergang“ vorstellen darf. Die Leitung der „Pflanze“ und deren seinerzeitige Genossenschaftsmitglieder kannten sich zwar im DDR-Recht aus, besaßen aber kaum Ahnung von den in der BRD geltenden Normen. Geholfen hat ihnen ein kundiger Rechtsanwalt aus Köln, der den altgedienten Neulingen die Genossenschaftsgesetzgebung der BRD erklärte, bei Verhandlungen über Finanzoperationen zugegen war und wichtige Schriftsätze für sie verfaßte. Zu den Besonderheiten gehörte die Regelung, daß eine solche Genossenschaft nur von Landeigentümern gegründet werden dürfe. Doch da waren unsere früheren LPG-Mitglieder durchaus in der Vorhand, gehörte doch die westliche Darstellung der Eigentumsverhältnisse bei sozialistischen Genossenschaften ins Reich der Phantasie. Zu DDR-Zeiten wurde das weiterhin in den Grundbüchern festgeschriebene bäuerliche Landeigentum niemals angetastet.
Natürlich ging es in der spannungsgeladenen Periode zwischen Oktober 1989 und dem Frühjahr 1991 nicht ohne heftige Diskussionen ab. Die Menschen auf den Dörfern wollten schließlich wissen, was nun geschehen sollte. Leitungsmitglieder der alten „Pflanze“ hatten eine Konzeption ausgearbeitet, die dann der alte Vorsitzende, der zugleich auch der neue war, vor der Mitgliederversammlung erläuterte. Durch ihren Beschluß wurde die heutige Erzeugergenossenschaft Neumark eG geboren. Sie stieg gewissermaßen wie der legendäre Phönix aus der Asche. Auf diese Weise konnten für einen beträchtlichen Teil der früheren Vippacher LPG-Mitglieder die Arbeitsplätze gesichert werden.
Mit sämtlichen Landeigentümern schloß der Vorstand Pachtverträge ab, erhalten sie doch für ihre Flächen eine finanzielle Vergütung.
Zunächst konnte der Betrieb noch mit der Großtechnik der DDR weiterarbeiten. Doch sehr bald wurden die zuvor volkseigenen Landmaschinenbetriebe ohne viel Federlesen aufgelöst, so daß keine Ersatzteile mehr erhältlich waren. Unter diesen Bedingungen mußten neue Geräte und Aggregate angeschafft werden. Dabei handelte es sich ausschließlich um Fabrikate wie Class, John Deere, Horch Tiger oder Väderstadt. An das zu ihrem Erwerb nötige Kapital zu gelangen, erwies sich anfangs als äußerst schwierig, weil die Banken bei der Kreditvergabe größte Zurückhaltung an den Tag legten. Das seinerzeitige BRD-Landwirtschaftsministerium unter Leitung des CSU-Mannes Kienzle verfolgte nämlich die Orientierung, die staatlichen oder genossenschaftlichen Großbetriebe im „Anschlußgebiet“ höchstens drei Jahre weiterbestehen zu lassen. Angesichts dessen hielten sich Geldinstitute und andere denkbare Investoren vorerst zurück.
Herr Kienzle irrte sich allerdings. Es gelang der Genossenschaftsleitung in Neumark nämlich, doch noch an Gelder heranzukommen. Damit erwarb der Betrieb im ersten Jahrzehnt seines Bestehens nicht nur moderne Agrartechnik, sondern baute auch neue Kuhställe und eine große Biogasanlage.
Die Erzeugergenossenschaft mußte übrigens einen äußerst herben Landverlust hinnehmen: Quer durch ihre Anbaufläche verlegte man eine ICE-Strecke, was zur Einbuße von etwa 200 Hektar teilweise besten Ackerlandes führte.
Nach 20jährigem Bestehen ihrer Genossenschaft können die Neumarker auf beachtliche Ergebnisse in der tierischen und pflanzlichen Produktion verweisen. Sie erreichten hohe Erträge, besonders bei Ackerkulturen und Milch. Durch die Biogasanlage konnte eine bedeutende Menge Strom erzeugt werden.
In einem weiteren Beitrag werde ich den RF-Lesern über einige Ergebnisse des Wirkens der „Pflanze-Nachfolger“ noch konkreter berichten.
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