RotFuchs 236 – September 2017

Kritisches zu Sahra Wagenknechts
wirtschaftspolitischen Vorstellungen

Ein Plädoyer für Volkseigentum

Dr. Peter Elz

Nicht erst seit Marx und Engels ist bekannt, daß die Eigentumsverhältnisse maßgeb­lich den Charakter der jeweiligen Gesellschaftsordnung bestimmen. Und seitdem es Privateigentum an Produktionsmitteln gibt, wird ein ewiger Kampf um eben dieses Eigentum, seine Erlangung, Verteidigung, Vermehrung, vor allem der maximalen Nut­zung zum Vorteil der Eigentümer geführt. Wer über solches Eigentum die Verfügungs­gewalt hat, sitzt an der Quelle von Reichtum und Macht und vermag jene, die nicht zu den Eigentümern zählen, von diesen Quellen fernzuhalten. Verfügungsmacht über Produktionsmittel erstreckt sich nicht auf das Objekt allein – Ländereien, Boden­schätze, Fabriken, Geldvermögen etc. –, sondern auch auf die Ausgeschlossenen, die Nichteigentümer. Sie wird zu deren Schicksalsbestimmer, durchdringt mehr und mehr auch die übrigen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens und bestimmt letztlich maß­geblich die Politik des jeweiligen Staates. Ohne zu verkennen, daß Privateigentum auch die Entwicklung der Produktivkräfte beflügelt hat, kann man doch feststellen, daß die Geschichte des Privateigentums an Produktionsmitteln die Geschichte der Ausbeutung der Menschen durch Menschen ist, die Geschichte von Elend, Verbre­chen, Krisen und Kriegen.

Erschreckend für mich ist, daß diese jahrtausendealte Menschheitserfahrung in Dis­kussionen über die katastrophalen Zustände unserer heutigen gesellschaftlichen Verhältnisse völlig ignoriert wird. In Analysen und Studien werden die zunehmende soziale Spaltung der Gesellschaft, Zukunftsängste ganzer Generationen, Terror und Massenfluchten, Umweltzerstörung, Krisen und Kriege beklagt. Was jedoch fehlt, ist die Tatsache, daß die eigentliche Ursache aller dieser Mißstände, das Privateigentum an Produktionsmitteln, nicht klar erkannt und benannt wird. Selbst Sahra Wagen­knecht, die scharfsinnige Kapitalismus-Kritikerin, verkennt diese Zusammenhänge, indem sie bestenfalls einige Extremformen des Privateigentums anprangert. So stellt sie fast nur die ein Prozent Superreichen, nicht aber den gesamten kapitalistischen, auf Profitmaximierung ausgerichteten Wirtschaftsmechanismus in den Mittelpunkt ihrer Kritik („Reichtum ohne Gier“, campus-Verlag, Frankfurt a. M./New York 2016).

Es ist aber die Gesamtheit der Kapitaleigentümer, die den Kurs bestimmt. Sie ent­scheiden nicht danach, was für die Volkswirtschaft, die Gesellschaft insgesamt von Vorteil ist, sondern ausschließlich nach ihrem eigenen Interesse, und das ist die Er­wirtschaftung von maximalem Profit. Dieser Interessenkonflikt zwischen einzelnen betriebswirtschaftlichen, gewinnorientierten Entscheidungen einerseits und volks­wirtschaftlichen sowie gesamtgesellschaftlichen Erfordernissen andererseits ist das eigentliche Problem jeder auf Privateigentum an Produktionsmitteln beruhenden Ge­sellschaft.

Er ist durch allgemeine Forderungen nach Marktwirtschaft, wie sie Sahra Wagen­knecht erhebt – sie fordert ausdrücklich: „Marktwirtschaft statt Wirtschaftsfeu­dalismus!“ –, nicht lösbar. In Wirklichkeit ist die Marktwirtschaft nicht die Lösung des Problems, sie ist das Problem selbst, wenn sie von privatem – also von der Allgemeinheit abgegrenztem – Eigentum getragen ist. Die Vorschläge, die Sahra Wagenknecht unterbreitet (statt bisheriger Kapitalgesellschaften vier neue Rechts­formen: Personengesellschaften, Mitarbeitergesellschaften, Öffentliche Gesellschaf­ten, Gemeinwohlgesellschaften), unterliegen den gleichen spontanen marktwirt­schaftlichen Gesetzen wie die Kapitalgesellschaften. In jedem Fall ist es nicht die gesamtgesellschaftliche Vernunft, die die unternehmenspolitischen Entscheidungen bestimmt, sondern sind es die je eigenen unternehmensindividuellen Interessen.

Auf dieser Grundlage sind die dem Kapitalismus wesenseigenen Probleme nicht lös­bar, zumal auch das regierungspolitische Agieren die Quadratur des Kreises nicht zustande bringt. Einerseits wird mit solchen Maßnahmen wie Mindestlöhne, Energie­wende, Mietpreisbremsen, Bankenkontrolle u. ä. versucht gegenzusteuern, anderer­seits wird die wirtschaftspolitischen Doktrin der „freien Marktwirtschaft“ und Unan­tastbarkeit des Privateigentums nicht berührt.

Wenn man die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse wirklich ändern will, dann muß man zuerst die Eigentumsverhältnisse ändern. Dazu braucht man nicht nur ent­sprechende tragfähige theoretisch-politische Konzepte, es geht im Kern um den Kampf zur Erlangung der tatsächlichen Verfügungsmacht über alle Potentiale und Energien einer Gesellschaft. Das bedeutet, eine zukünftige sozialistische Gesell­schaft muß zwingend auch über die Produktionsmittel verfügen, will sie sich behaup­ten.

Die Wirtschaftspolitik der DDR hatte diesen Erfordernissen Rechnung getragen und mit der Überführung des weitaus größten Teils der Betriebe und Einrichtungen in Volkseigentum und der dadurch möglich gewordenen zentralen staatlichen Planung ein völlig neuartiges Wirtschaftssystem errichtet – mit beachtenswerten Erfolgen. Nicht nur, daß wir unter unvergleichlich schwierigeren Bedingungen über die Jahre hinweg ein stetes Wirtschaftswachstum mit Zuwachsraten erreicht hatten, von denen entwickelte Volkswirtschaften heute nur träumen können. (Um dieses auf Dauer durchstehen zu können, wären allerdings grundlegende wirtschaftspolitische Refor­men nötig gewesen.) Von besonderer Bedeutung waren auch die nachweisbaren Er­gebnisse, die bei der Überwindung aller Mißstände, welche die privatkapitalistische Marktwirtschaft kennzeichnen, erreicht wurden. In der DDR gab es eben keine Ar­beitslosigkeit, wie sie systembedingt zum Kapitalismus gehört. Die himmelschrei­enden sozialen Ungerechtigkeiten wie auch Zukunftsängste ganzer Generationen kannten wir nicht. Befürchtungen, daß Bürger wegen Mietwucher oder Luxussanierun­gen aus angestammten Wohnvierteln in Ghettos verdrängt werden könnten, waren un­begründet.

Dem Sterben von Industrieregionen oder der Entvölkerung ganzer Landstriche konnte durch umfassende und vorausschauende Strukturentscheidungen entgegengewirkt werden. Finanz-, Banken- und Immobilienkrisen waren ausgeschlossen. Soldaten der Nationalen Volksarmee brauchten nicht zu befürchten, zur „Verteidigung“ von Roh­stoffbasen, Handelswegen und Absatzmärkten in kriegerische Abenteuer geschickt zu werden. Die DDR brachte den Nachweis, daß eine auf Volkseigentum beruhende Planwirtschaft in der Lage ist, alle einer kapitalistischen Gesellschaft anhaftende Gebrechen zu überwinden.

Daß diese Fakten der Überlegenheit eines planwirtschaftlichen Modells gegenüber einem privatwirtschaftlichen Marktwirtschaftsmodell völlig ignoriert werden, ist un­verzeihlich. In dem oben genannten Buch, das bezeichnenderweise den Untertitel trägt: „Wie wir uns vor dem Kapitalismus retten“, widmet Sahra Wagenknecht ganze sieben Zeilen dem Wirtschaftssystem der DDR und beschreibt es mit Schlamperei, Lotterwirtschaft und technologischer Stagnation. Und dann: „Nein, dahin wollen wir nicht zurück.“ Als noch erschreckender empfinde ich es, wenn im Parteiprogramm der „Linken“ erklärt wird, daß „… aufgrund bitterer historischer Erfahrungen“ ein allumfas­sendes Staatseigentum nicht das Ziel sein könne. Also nicht etwa die weit mehr als tausendjährige Geschichte des Privateigentums an Produktionsmitteln hat „bittere historische Erfahrungen“ gelehrt, sondern angeblich die rund 40 Jahre Planwirt­schaft. Daß in dieser historisch sehr kurzen Zeitspanne nicht alle Möglichkeiten aus­geschöpft worden sind und letztlich der ökonomische Wettbewerb nicht gewonnen wurde, ist eine Tatsache.

Aber die Instrumentarien, die wir geschaffen hatten, haben zweifelsfrei ihre prinzi­pielle Wirksamkeit gezeigt. Leider wurden sie nur sehr unvollkommen genutzt, an­statt sie weiterzuentwickeln. Hilfreich und konstruktiv wäre eine kritisch-sachliche Analyse dessen, was in der DDR tatsächlich geleistet wurde, warum der erste Anlauf nicht gelungen war und welche Erkenntnisse bewahrenswert sind bzw. welche Fehler künftig vermieden werden müßten.