Compañera Christa: Für junge und jung gebliebene RotFüchse
Ein Schlüssel im Ozean?
Weiße Elefanten begegnen uns auf dem Weg nach Mawanella. Es gibt sie also wirklich, denke ich, und über ihnen wiegen sich die Palmen im leichten Wind. Wir fahren vorbei an Reisfeldern, rot blühenden Bäumen, an Hütten mit Palmstroh gedeckt. Davor stehen junge Frauen mit Kindern, bunt gekleidet wie Blumen. Durch Hitze und Staub fahren wir und wissen nicht, was uns erwartet.
Gunasena Vithana, der Kulturverantwortliche des Zentralkomitees der KP Sri Lankas, und Thomas Kupfer, Kulturattaché unserer DDR-Botschaft in Colombo, begleiten uns.
Wir erreichen die Stadthalle von Mawanella. Im Saal blicken uns 70 bis 80 freundliche fremde Gesichter entgegen. Wir werden sehr herzlich begrüßt. In unserer Anwesenheit soll eine neue Freundschaftsgesellschaft Sri Lanka – DDR gegründet werden. Wir werden hier über unser Land erzählen, über Kunst und Kultur. Und Willi Meinck, mein Reisegefährte, liest in englischer Sprache einen Essay über Martin Wickramasinghe, den kürzlich verstorbenen berühmtesten Dichter des Landes. So steht es in meinem Reisetagebuch.
Wir schreiben das Jahr 1982. Die Insel Sri Lanka (früher Ceylon) unter der Regierung von Frau Bandaranaike war eines der ersten jener Länder, welche die DDR anerkannt hatten und diplomatische Beziehungen zu ihr aufnahmen. Willy Meinck, Autor der bekannten Marco-Polo-Bücher, und ich sind Gäste des Ministeriums für Kultur in Colombo.1981 war der Premierminister Sri Lankas, Ranasinghe Premadasa, zu Gast in der DDR gewesen. Im Rahmen eines Kulturabkommens zwischen der Demokratischen Sozialistischen Republik Sri Lanka und der DDR gab es einen ständigen Austausch von Kultur und Künstlern beider Länder.
Das ermöglichte uns die vierwöchige Studienreise durch dieses Land, von dem Ernst Haeckel einst schwärmte, es sei „das Herz des Paradieses“.
Nach dem Empfang im Kulturministerium führt uns die Südtour nach Galle, Matara und Kogalla zum Martin Wickramasinghe Memorial. Dann stehen wir am Grab dieses ehrwürdigen Dichters, dessen Leben und Werk tief in seinem Volk verwurzelt war – ein Gorki Sri Lankas. Magischer Zauber herrscht hier, der süßschwere Geruch der Blüten betäubt uns, und im lauen Wind flüstern die Bäume. Gunasena Vithana begleitet uns. Willy ist mit ihm befreundet. Guna war schon einige Male Gast in der DDR, ein schmaler Singhalese im weißen Gewand, Dichter und Kommunist, der vor kurzem für seine Werke mit dem Lotospreis ausgezeichnet wurde. Was wir in diesen vier Wochen in Sri Lanka erlebt haben, ist in Kürze schwer zu beschreiben.
Wir hatten Meetings mit Freundschaftsgesellschaften, mit singhalesischen und tamilischen Schriftstellern der People’s Writers Front Colombo, besuchten tamilische und singhalesische Schulen, trafen den Völkerkundler Prof. Anuradha Senevira, der zwei Jahre bei Prof. Mode an der Universität Halle seine Doktorarbeit schrieb, begegneten dem jungen Regisseur Aryatna Vithana, der in der DDR an der Hochschule für Film und Fernsehen studiert hatte, lernten die Schauspielerin Somalatha Subamasinghe, Direktorin der Kinder- und Jugend-Theaterschule in Colombo und Vorsitzende der Brecht-Gesellschaft in Sri Lanka kennen. Auch sie war mehr als ein Jahr in der DDR bei Kurt Bennewitz am Weimarer Theater tätig gewesen.
Auf der Nordtour erlebte ich eine Überraschung der besonderen Art, die unsere Botschaft in Colombo und der Gouvernements-Agent von Trincomalee, Mr. Lionel Fernando, vorbereitet hatten. In einem Freiluftkino für 900 Zuschauer lief unser DEFA- Kinderspielfilm „Ein Schneemann für Afrika“, den ich 1976 geschrieben hatte. Die Kleinen und die Großen waren gleichermaßen begeistert und behängten uns mit Blumenketten.
Doch uns erwarteten noch weitere Höhepunkte. In der heiligen Stadt Kandy empfing uns der 81jährige buddhistische Oberpriester Mahatera Nyana Ponika, der während der Zeit des Faschismus als junger Mann von Deutschland nach Ceylon geflüchtet war und jetzt eine Hütte im Garten der Könige von Kandy bewohnte. Er gewährte uns ein Interview in deutscher Sprache. Wir sprachen über grundlegende Gemeinsamkeiten von Marxismus und Buddhismus sowie dessen friedensstiftende Aura. Über die politische Weltlage war der Mahatera bestens informiert. Zum Abschied schenkte er uns sein Buch „Gleichmaß des Geistes“ in deutscher Sprache. Das Buch trägt noch den Geruch der Ferne und ist von Termiten angefressen. So liegt es jetzt vor mir.
Einen wunderbaren Künstler lernten wir in seinem Atelier kennen, den Maler George Keyt, den man den „Picasso Asiens“ nannte. Er lebte in den 20er Jahren in Paris und hatte Pablo Picasso als Lehrmeister. Keyts Bilder atmen eine berauschende Sinnlichkeit, bereichert durch die Farbenwelt der Tropen. Wir waren auch beim Neujahrsfest zugegen, das in Sri Lanka Mitte April gefeiert wird, besuchten in Thulhiriya das mit Hilfe der DDR gebaute Textilkombinat „Tultex“, fuhren mit Fischern auf dem Indischen Ozean zum Nachtfang. Nach drei Wochen blickte mich aus dem Spiegel eine braunhäutige Frau im Sari an.
„Es betäubt mir der süße Duft der Tempelblüten das Herz.
Ja, hier BIN ICH eine andere, schwimme im blaugrünen Wasser,
nur eine goldene Schnur um den Leib …“
Und da kam er, der ungezügelte Gedanke, den Hausschlüssel in den Indian Ocean zu werfen … Aber wir sind heimgekehrt, hatten die honigsüße Frucht des Lotos gekostet, aber wollten Kunde bringen von diesem uns befreundeten, herrlichen Land und seinen wunderbaren, sanften, friedvollen Menschen.
Wenige Wochen später erfuhren wir aus den Zeitungen von sich zuspitzenden Spannungen zwischen Tamilen und Singhalesen, die zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führten, welche viele Jahre lang anhielten. Für uns war das kaum vorstellbar.
Sri Lanka im Herzen, schreibe ich diese Zeilen …
Nachricht 983 von 2043