Ein Schuß in den Ofen
Vor den Augen staunender Zuschauer werden die Fernsehbilder immer schärfer und brillanter, dafür die Inhalte der Fernsehprogramme, besonders der privaten Sender, immer seichter und geistloser. Doch auch technische Entwicklungen werfen zum Sinn einer Perfektionierung immer neue Fragen auf. Wir leben in einem Zeitalter, in dem Wissenschaft und Technik in immer kürzeren Abständen wahre Purzelbäume schlagen.
Ich bin der DDR dankbar, daß ich ohne eigene Kosten viel Bildung erfahren und gelernt habe, daß der Fortschritt der Hebung des Lebensstandards und einer immer besseren Befriedigung wachsender materieller und geistig-kultureller Bedürfnisse dienen soll. So war es im Sozialismus. Im Kapitalismus, sagt man, regele alles der Markt. Der Staat halte sich heraus und überlasse die Entwicklungen dem freien Spiel der Kräfte. So schießen einzelne Abteilungen der Gesellschaft ins Kraut, ungebremst und ungeregelt.
Vor der Internationalen Funkausstellung in Berlin gab es durch Bavaria Services eine Initiative in Richtung Zukunftsformat des Fernsehens. Stichwort: „Ultra-HD-Qualität“. Noch arbeiten die renommierten Fernsehsender an der Vollversorgung in HD-Qualität. Die Fachzeitschrift „Professional Production“ berichtete über die erste europäische 4K-Mehrkamera-Produktion, also in Ultra-HD-1-Qualität und wagte auch einen Ausblick, wohin die Entwicklung in welchem Tempo gehen soll. Die für die technische Normierung zuständigen internationalen Gremien rechnen mit einer schrittweisen Einführung des UHD-Systems in der Unterhaltungsindustrie. Hardware-Decoder sollen schon dieses Jahr im Handel sein.
Nach der Digitalisierungsoffensive 2012 mit erheblichem Druck auf die Bevölkerung, sich zumindest einen Digitalreceiver leisten zu müssen, um beim Fortschritt mithalten zu können, wartet nun schon die nächste Herausforderung: das Ultra-HD-Format 1. Es verspricht ein noch schärferes Bild auch bei schnellen bewegten Szenen. Doch jetzt kommt der Hammer: Bereits vier Jahre später soll die dritte Phase mit dem UHD-2-Fernsehen starten, was wiederum den Kaufdruck erhöht. Zu Preisvorstellungen gibt es noch keine Angaben. Ab etwa 2018 plant man die Einführung der 8K-Bildauflösung mit 7680 x 4320 Bildpunkten, vorausgesetzt die Aufnahmetechnik der Digitalkameras und die Displaytechnologie halten Schritt. Nun fragt sich der Insider: Macht das Sinn, liegt doch die Auflösung unseres Auges bei 81,25 Megapixel schwarz-weiß und für das Farbsehen bei 4,3 Megapixel. Das heißt, die Auflösung von UHD 2 liegt weit über dem Maß, das wir mit dem menschlichen Auge noch erfassen können. In der Fachzeitschrift „PP“ liest man dazu lakonisch: „… und sich die Augen der Zuschauer bis dahin weiter entwickelt haben“. Ja, da wäre das Problem mit den unbrauchbaren Zuschauern. Erfinderisch wie er ist, wenn es um Maximalprofit geht, versucht der Kapitalismus Menschen nicht nur freizusetzen, sondern auch zu klonen. Bis zum Schaf haben sie es ja schon gebracht. Doch die Bosse, Banker, Manager und Vordenker des Systems sehen alles mit den alten müden Augen, gehören doch auch sie zur Spezies Homo sapiens. An der Konstruktion Mensch können selbst sie nichts ändern.
Als Ingenieur für Funktechnik konstatiere ich: Ende der Fahnenstange. Für Kabarettisten eine weitere Vorlage und für die Zuschauer Grund zur Heiterkeit. Angesichts solcher abwegigen innovativen Leistungen und sinnloser Geldverschwendung sollte uns indes nicht mehr zum Lachen zumute sein. Der Kapitalismus ist mit einer Rakete ohne Steuer und Bremse vergleichbar: Keiner weiß, wo das Geschoß einschlägt.
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