Zum Gedächtnisschwund bei den „politischen Eliten“ der BRD
Ein schwerer Fall von Amnesie
Nachdem sich die Bundesrepublik Deutschland 1949 als selbständiger Staat konstituiert hatte, wurde am 7. Oktober desselben Jahres die Deutsche Demokratische Republik aus der Taufe gehoben. Damals bereits nahm eine Reihe volksdemokratischer und sozialistischer Staaten diplomatische Beziehungen zu ihr auf. Dazu zählten zwei Großmächte: die UdSSR und China.
1966 beantragte die DDR ihre Aufnahme in die Vereinten Nationen – zunächst allerdings ohne Erfolg. Doch 1973 wurden beide deutsche Staaten als UNO-Vollmitglieder akzeptiert. Die DDR-Anerkennungswelle erhielt danach starken Auftrieb. 1987 hatte sie 133 Staaten erfaßt.
Im Oktober 1975 fand in Helsinki die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) statt, an der beide deutsche Staaten gleichberechtigt teilnahmen. DDR-Staatsratsvorsitzender Erich Honecker und Bundeskanzler Helmut Schmidt saßen nebeneinander am Konferenztisch. Gemeinsam mit weiteren 32 Staats- und Regierungschefs unterzeichneten sie die Schlußakte von Helsinki.
Schon bei ihrer Gründung hatte die BRD einen anmaßenden Alleinvertretungsanspruch erhoben. Ihr Außenminister Hallstein sprach der DDR das Recht auf Gleichberechtigung in internationalen Angelegenheiten ab. Zugleich forcierte die BRD die gezielte Abwerbung von Fachkräften und betrieb einen skrupellosen Menschenhandel großen Stils, um die DDR personell auszubluten. Dieser Entwicklung mußte ein Ende gesetzt werden. In Übereinstimmung mit der UdSSR und den anderen Mitgliedsstaaten des Warschauer Vertrages schloß sie am 13. August 1961 ihre Grenzen zu Westberlin. Die Maßnahmen wurden durch die Sowjetarmee und die Streitkräfte der DDR abgesichert. Die Westmächte erhoben keinen Einspruch, in Bonn schnaubte man vor ohnmächtiger Wut.
Die BRD geriet in eine schwierige Lage, war sie doch gezwungen, mit der DDR weiterhin zu verhandeln, da Westberlin auf deren Territorium lag.
Während die Hetze unvermindert anhielt, fanden zugleich Gespräche statt. Die BRD war auf die Verkehrswege zur „Frontstadt Westberlin“, die sie als ihre „Exklave“ betrachtete, angewiesen. Zugleich mußten Regelungen für den Verkehr zwischen der Hauptstadt der DDR und Westberlin gefunden werden, bei denen es u. a. um die Lieferung von Elektroenergie und die Müllentsorgung ging. Nachdem sich die BRD-Führung mit der geschützten DDR-Grenze wohl oder übel abgefunden hatte, war sie dazu bereit, zwischenstaatliche Regelungen für eine sich normalisierende Zusammenarbeit mit dem sozialistischen deutschen Staat zu suchen. So kam es 1973 zum Abschluß des Grundlagenvertrages, in dem beide Seiten entsprechende Prinzipien vereinbarten. Er betraf Grenzfragen, Handelsbeziehungen, Verkehrswege und den wirtschaftlich-wissenschaftlichen Austausch. Auch Probleme in bezug auf Westberlin gehörten dazu.
Während man die diplomatische Anerkennung der DDR weiterhin verweigerte, wurde eine „Ersatzlösung“ gefunden: In Berlin und Bonn nahmen Ständige Vertretungen ihre Tätigkeit auf. Sie hatten auch Aufgaben diplomatischen Charakters zu erfüllen.
Bis zur Annexion der DDR durch die BRD im Oktober 1990 nahmen die Spitzen der Bonner Regierung die zwar unerwünschten, aber bestehenden Realitäten zähneknirschend hin. Sie verhandelten mit ihren DDR-Partnern, schlossen Verträge mit ihnen ab, arrangierten Staatsbesuche und knüpften Kontakte zu deren Repräsentanten.
Tatsächlich kam es zu einer Reihe sinnvoller Maßnahmen: In Berlin wurden zeitlich begrenzte Passierscheinabkommen vereinbart, DDR-Rentner durften ohne wesentliche Einschränkungen in die BRD reisen, Verwandtenbesuche im Westen wurden erleichtert, neue Handelskontakte geknüpft, die Verkehrswege durchlässiger gemacht. Nicht ohne Hintergedanken räumten BRD-Banken der DDR Milliarden-Kredite zu moderaten Bedingungen ein.
Trotz aller Störversuche von westdeutscher Seite hatte sich die DDR zu einem Staat mit solider sozialer Absicherung, fehlender Arbeitslosigkeit, einem vorbildlichen Bildungssystem, umfassender Kinderbetreuung, hohem Kulturniveau und erfolgreichem Sportbetrieb entwickelt. Die Kriminalität lag weit unter der im Westen.
Wie andere entwickelte Industriestaaten verfügte auch die DDR über einen Geheimdienst – die Organe des Ministeriums für Staatssicherheit. Sie schuf sich in Gestalt der Nationalen Volksarmee eigene Streitkräfte, nachdem sich in der BRD die Bundeswehr unter Führung schwer belasteter Nazigeneräle längst etabliert hatte. Im krassen Gegensatz dazu kamen die ersten Kommandeure der NVA überwiegend aus den Reihen bewährter Antifaschisten.
Der erfolgreiche und kontinuierliche Aufstieg der DDR wurde durch die BRD-Führung geleugnet. Sozialistische Produktionsverhältnisse entsprachen nicht dem Geschmack des deutschen Kapitals, zumal die BRD auf sozial entscheidenden Gebieten ins Hintertreffen geriet.
Besonders schmerzte die Bonner Politiker auch die üppige „Medaillenausbeute“ von DDR-Sportlern, die stets deutlich über den Ergebnissen ihrer Konkurrenten aus der BRD lag. Deshalb verbreiteten die Medien im Westen die Mär, die DDR-Sportler seien samt und sonders gedopt worden.
Natürlich gab es in der DDR wie überall auf der Welt auch Defizitäres, Kritikwürdiges und Mißlungenes. So entsprach z. B. ihr Wahlmodus nicht allen Kriterien sozialistischer Demokratie. Bedauerlicherweise gelang es nur unzureichend, ein stabiles Eigentümerbewußtsein im Verhältnis zum Volkseigentum zu entwickeln. Private Reisen ins kapitalistische Ausland waren vor allem wegen Valuta-Mangels stark eingeschränkt.
Doch kehren wir zur „großen Politik“ zurück. Parteiführer aller Richtungen und ganze Armeen von Wirtschaftsbossen besuchten die DDR schon sehr bald, ohne von der fehlenden diplomatischen Anerkennung durch die BRD Notiz zu nehmen. Zu den Staatsgästen gehörten die ehemaligen Bundeskanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt, die Ministerpräsidenten der Länder Lothar Späth, Oskar Lafontaine, Franz-Joseph Strauß, Johannes Rau und Henning Voscherau. Weitere Besucher waren Hans-Dietrich Genscher, Hans-Joachim Vogel, Klaus von Dohnany und Wolfgang Mischnik. Fast alle trafen mit führenden Repräsentanten der DDR zusammen.
Auch hochrangige Politiker und Wirtschaftsleiter der DDR reisten in großer Zahl zu Partnern im Westen. Höhepunkt solcher Visiten war der offizielle Besuch des Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker in der BRD. Bundeskanzler Helmut Kohl hatte bereits wiederholt Einladungen ausgesprochen, die jedoch nicht angenommen wurden, weil die sowjetischen Verbündeten von Erich Honecker erwarteten, daß er diese ausschlagen werde. So konnte der offizielle Staatsbesuch erst im September 1987 stattfinden. Der hohe Gast aus der DDR wurde mit allen diplomatischen und militärischen Ehren empfangen. Die Fahne mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz stieg am Mast empor, während die Nationalhymne der DDR intoniert wurde. Dieser Empfang kam einer Anerkennung der DDR gleich, was indes nur für die Dauer des Aufenthalts der Delegation in der BRD galt. Danach suchte die westliche Seite ihre offenkundige Demütigung schnell wieder vergessen zu machen. Übrigens hatte Bundespräsident Richard von Weizsäcker zu Ehren Honeckers einen Empfang gegeben. In der Kruppschen Villa Hügel in Essen traf dieser mit Spitzenvertretern der am „Ostgeschäft“ interessierten BRD-Wirtschaftskreise zusammen.
In der Folgezeit vollzogen sich dramatische Entwicklungen mit innen- wie außenpolitischem Hintergrund. Wachsende Teile der DDR-Bevölkerung gerieten – nicht zuletzt unter massivem Einfluß der Medien der BRD – in Konflikt mit der Politik der SED und des Staates. Während nicht wenige in den Westen ausreisen wollten, forderte ein signifikanter Teil der Unzufriedenen eine „bessere DDR“. In dieser Situation blieben zu spät eingeleitete Maßnahmen der SED und der Regierung ohne die erhoffte Wirkung.
Sicher spielte auch die faktische Führungslosigkeit im brisanten Sommer 1989 bei all dem eine Rolle. Die verhängnisvolle Entwicklung im sozialistischen deutschen Staat hing auf das engste mit Veränderungen zusammen, die sich in der Sowjetunion vollzogen. Sie betrafen alle Staaten des Warschauer Vertrages und des RGW. Ohne sich mit den Verbündeten zu konsultieren, erklärte Gorbatschow verblüffenderweise, jedes bisherige Bruderland solle fortan Politik auf eigene Faust betreiben. Bald darauf wandte er sich den NATO-Staaten – vor allem der BRD – zu und verhökerte die DDR eiskalt an Bonn.
Die DDR-Führung wurde der Entwicklung im eigenen Lande nicht mehr Herr. Zu den Problemen, die ihr über den Kopf wuchsen, zählten eine rasch ansteigende Ausreisewelle und die plötzliche Zunahme vom Westen angestachelter oppositioneller Gruppierungen.
Als im Oktober 1989 ein Kurswechsel eingeleitet werden sollte, um die DDR zu retten, war es bereits zu spät. In einer vorgezogenen letzten Volkskammerwahl am 18. März 1990 unterlag die aus der SED hervorgegangene PDS und damit auch die von ihr geleitete Modrow-Regierung. Das für sie negative Resultat war durch Parteien, Personen und Medien der BRD unter persönlicher Beteiligung Kohls systematisch vorbereitet worden. Die ans Ruder gelangte Regierung Lothar de Maizières (CDU) konnte keinen selbstbestimmten Kurs mehr verfolgen. Im Juni 1990 erhielten die Bürger der „Noch-DDR“ dann die D-Mark, womit die Stimmung endgültig umschlug und jede Hoffnung auf Bewahrung eines eigenständigen ostdeutschen Staates dahinschmolz. Als bald darauf die Eingliederung der DDR in die BRD erfolgte, fielen die letzten Schranken. Jede Moral war wie weggeblasen. Die DDR wurde von den Siegern zum Unrechtsstaat erklärt. Erich Honecker und andere Repräsentanten von Partei und Staat, die Mitarbeiter des MfS, Angehörige der Grenztruppen und Volkspolizisten wurden von der BRD-Rachejustiz kriminalisiert und strafrechtlich verfolgt.
Der DDR-Bevölkerung gaukelte man ein Paradies vor. Überall werde es „blühende Landschaften“ geben, wurde behauptet, als ob im Osten zuvor nur Öde und Wildnis geherrscht hätten. Die DDR-Betriebe, hieß es, würden modernisiert und in die BRD-Wirtschaft eingegliedert. Wenig später verhökerte sie die Treuhand für einen Appel und ein Ei. Ganze Belegschaften verloren über Nacht ihre Arbeitsplätze und wurden in das Millionenheer der Erwerbslosen der BRD hinabgestoßen. Jeder könne nun reisen, wohin er wolle, die ganze Welt stünde ihm offen, gab Kohl von sich. Auch mit Arbeitslosengeld?
Bald brach die Lügenflut alle Dämme. So behauptete Niedersachsens früherer Justizminister Pfeiffer, die nun auch im Osten eskalierende Kriminalität sei auf Zwangsmethoden in der DDR-Vorschulerziehung zurückzuführen. So sei auch das gemeinsame Topf-Sitzen in den Kinderkrippen schuld gewesen. Und jene, welche dann im Eiltempo die Zweiklassenmedizin einführten, attackierten das staatlich organisierte System der Gesundheitsfürsorge als „niveaulos“. Den Kolporteuren solcher Wahrheitsentstellung geht die Verteufelung der DDR buchstäblich über alles. Leider beteiligen sich an diesem schmutzigen Spiel auch manche ihrer ehemaligen Bürger, die sich durch Anbiederung interessant machen wollen. Ein Beispiel dafür liefert die einstige „Bürgerrechtlerin“ Freya Klier, die in der DDR ihr Abitur abgelegt und anschließend ein Hochschuldiplom erworben hatte. Die wegen zur Schau gestellter Staatsfeindlichkeit nach Westberlin ausgebürgerte Regisseurin dichtete der DDR in einem Zeitungsartikel „Nationalismus, Militarismus, Ausländerfeindlichkeit und Judenhaß“ an. Übler geht’s nimmer, war doch die gesamte Politik des sozialistischen deutschen Staates durch Antifaschismus, internationale Solidarität und Kampf gegen jede Form von Rassismus geprägt. Erinnert sei nur an Vietnamesen und Moçambiquaner, die in der DDR eine solide Ausbildung erfuhren und gute Arbeit leisteten, sowie an die herzliche Aufnahme von Griechen und Chilenen, die aus ihren Heimatländern wegen drakonischer Verfolgung hatten fliehen müssen und in der DDR Asylrecht erhielten.
Besondere Höhepunkte der Hetze und Verleumdung sind stets gewisse „Gedenktage“, so der zum Arbeiteraufstand hochstilisierte Protest gegen die Erhöhung von Normen am 17. Juni, der 13. August, an dem die „Mauer“ errichtet wurde, und der 9. November als Datum der „glücklichen Wiedervereinigung“. Aus solchen Anlässen finden alljährlich dubiose Veranstaltungen statt. Entsprechende „Gedenkstätten“ sind bereits Legion. Dabei scheut man nicht einmal davor zurück, Schüler in einstige Haftanstalten zu führen, um sie dort über angebliche Greueltaten ihrer Vorfahren „aufzuklären“!
Unter den Verleumdern fehlt es nicht an Schreibtischtätern in Parlamenten, „Opferverbänden“, angeblichen Bildungseinrichtungen und willigen Medien.
Den teuflischen Verteuflern muß Paroli geboten werden!
Unser Autor – er war u. a. Direktor für Arbeit, Löhne und Soziales im Kombinat Robotron und seit 1986 Professor für Arbeitswissenschaften an der TU Dresden – beging schon am 6. Juli seinen 85. Geburtstag. Wenn auch nachträglich, so ist unser Glückwunsch nicht weniger herzlich.
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