Bürgerliche Placebos und marxistische Medikamente
Ein seltsames Manifest
Handelt jetzt! Das globale Manifest zur Rettung der Wirtschaft“ heißt ein 2013 im Westend-Verlag herausgekommenes Buch von Rainer Flaßbeck, Paul Davidson, James Galbraith, Richard Koo und Jayati Ghosh. Darin wird die „Belebung der Weltkonjunktur“ als strategisches Ziel proklamiert. Dabei geht man von einer „Wirtschaft als solcher“ aus. Die optimale Gestaltung der Lebensbedingungen der Erdbewohner spielt für die Autoren keine Rolle.
Im „Manifest“ wird eine fundamentale Kehrtwende beschworen. Hierfür bedürfe es einer „Erneuerung der marktwirtschaftlichen Ordnung“. Diese – der Kapitalismus – soll nach wie vor dominant bleiben, obwohl mit Kritik an gewissen Zuständen nicht gespart wird. „Der Neoliberalismus ist gescheitert …“, heißt es da, „nur vollständig neues Denken kann eine Wende bringen“.
Von den Autoren werden die Krisenerscheinungen des Systems lediglich als „Folgen ökonomischer Irrlehren“ erklärt. Der Widerspruch zwischen den vermeintlichen Zielstellungen des „Manifests“ und den vorgeblich kritischen Wertungen des Bestehenden dürfte wohl kaum die Schlußfolgerung rechtfertigen, es handele sich hierbei um einen tatsächlichen Wandel.
Als Gebot der Stunde bezeichnen die Verfasser „eine ernsthafte internationale Kooperation und eine sofortige Beendigung der Austeritätspolitik – also des Sparkurses. Eine „aktive und expansive Finanzpolitik“ sei „absolut unumgänglich“. Sie müsse „die Rolle eines Stabilisators“ wahrnehmen. Die Vorschläge laufen allein auf eine Stärkung der Machtpositionen des Finanzkapitals hinaus. Mehrfach wird nach einem verstärkten Eingreifen des Staates gerufen. Der solle eine „korrektive Wirkung“ erreichen. Der Marktwirtschaft wird für den Fall Überlegenheit bescheinigt, daß es ihr gelingt, „alle Bevölkerungsgruppen an den von Kapital (!) und Arbeit erarbeiteten Ergebnissen“ zu beteiligen.
Ein erstaunliches Vorhaben, wenn andererseits die Grundpfeiler der Marx’schen Kapitalismustheorie nicht angetastet werden, denen zufolge ein Kapitalismus ohne Mehrwert nicht vorstellbar ist. Insgesamt handelt es sich demnach um einen Versuch, dem Bären das Fell zu waschen, ohne es naß zu machen, um eine weitere Rettungsaktion, mit der dem maroden System wieder auf die Beine geholfen werden soll.
Die ganze Analyse bleibt an der Oberfläche. Viele Anregungen sind bewußt allgemein gehalten und lassen jene Fragen offen, welche die Alltagsprobleme der Menschen betreffen. Die vorangegangenen Etappen des Kapitalismus werden völlig ignoriert, obwohl für alle die gleichen Grund- und Ausgangspositionen gelten.
Deshalb ist es geboten, bestimmte Faktoren ins Gedächtnis zu rufen. An erster Stelle steht hier das Privateigentum an den Produktionsmitteln (PM). Es manifestiert sich in vielfacher Form (Unternehmen, Konzerne, Banken usw.) und hat zur Folge, daß deren wirtschaftliche Aktivitäten zuallererst durch Kategorien wie Umsatz und Profit, weitaus weniger aber von gesamtwirtschaftlichen Belangen bestimmt werden.
Mit zunehmender Kapazität der Konzerne ergibt sich auf Grund ihrer ökonomischen Potenz eine Machtposition, die dazu benutzt wird, auch extreme politische Ziele ins Auge zu fassen. Das wird durch autoritären Führungs- und Leitungsstil in den Unternehmen, also das völlige Fehlen innerbetrieblicher Demokratie, erleichtert. Verbunden mit dieser Eigenheit des Privateigentums an den PM ist die Akkumulation des Gewinns und der Einsatz dieser Mittel für die weitere Expansion im nationalen und internationalen Rahmen. Beson-deres Gewicht besitzt die Quote der Akkumulation – der Mehrwert – also jener Teil des Wertes, der über die Entlohnung des Arbeiters und die Selbstkosten für das Unternehmen hinaus anfällt. Was für den Unternehmer eine Wachstumsquote ist, heißt in der Sprache des Arbeiters Ausbeutung.
Ein weiteres wesentliches Merkmal des Kapitalismus ist die Konkurrenz. Sie beruht auf der Vielzahl bestehender Unternehmen, besonders gleichartiger, auf Basis des Privateigentums. Konkurrenz fördert einerseits das Streben nach technischer und technologischer Überlegenheit, führt andererseits aber zu Lohndrückerei und unsicheren Arbeitsplätzen. Die Existenz von Unternehmen mit einer gleichen Produktionspalette ist eine der Ursachen von Mehrbelastungen des Marktes. Man denke nur an die Autoindustrie.
In dem zur Debatte stehenden Buch spielen die Grundelemente des kapitalistischen Systems eine Nebenrolle. Ausbeutung, Ungleichheit, Unsicherheit sowie die Ausnutzung von Notsituationen bleiben unerwähnt. Sie aber rechtfertigen schon allein die Notwendigkeit, den Kapitalismus zu überwinden. Natürlich hätten auch seine Auswirkungen auf sozialem Gebiet eingehender behandelt werden müssen. Doch für die Autoren ist das ein Tabu. Nicht nur die menschenunwürdige Arbeitslosigkeit gehört zu den ständigen Begleiterscheinungen des Kapitalismus, sondern auch prekäre Arbeitsverhältnisse wie Leiharbeit sowie Perspektivlosigkeit und allgemeine Unsicherheit sind dem hinzuzurechnen. Diese Charakteristika des Systems bestehen unabhängig von verschiedenen Etappen seiner Entwicklung, wobei sie mehr oder weniger phasenbedingt zu den Ursachen der Krisenerscheinungen gehören.
So reich an inneren Widersprüchen wie der Kapitalismus selbst sind auch die Rettungsideen seiner Apologeten. Ihr Schicksal ist es zu scheitern. Doch es gibt einen Ausweg. Karl Marx, dessen Vorläufer und Nachfolger weisen ihn uns.
Gemeinwohl und Gemeineigentum an den wichtigsten Produktionsmitteln – also die Aufhebung des Kapitalverhältnisses – sind für Marxisten das A und O.
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