Ein Toast mit Krimsekt
Krimsekt besitzt eine ganz besondere Note. Er ist so lieblich oder auch so herb wie die Landschaft, die ihm den Namen verlieh. Schon 1957 habe ich an den Gestaden des Schwarzen Meeres mit ihm angestoßen. Damals gehörte ich zu den Teilnehmern einer der ersten in diese Region der UdSSR aufbrechenden Gruppen von Jugendtourist.
In jenen Tagen schienen unsere gedankliche und die reale Welt ungeachtet drohender Gefahren heil und zukunftsträchtig zu sein. Der sehr viel später durch Abtrünnige und Karrieristen wie Gorbatschow, Jelzin, Jakowlew oder Schewardnadse verlassene und für milliardenschwere Oligarchen frei gemachte sowjetische Weg begeisterte damals nicht grundlos große Teile meiner Generation.
Unsere positiven Gefühle basierten auf gesellschaftlichen Realitäten:
Dieser Weg hatte mit der Oktoberrevolution begonnen, sich in der erfolgreichen Abwehr von Interventen und Weißgardisten fortgesetzt und zwei Jahrzehnte danach mit dem Sieg in der Stalingrader Schlacht die Wende im 2. Weltkrieg ermöglicht. Das Hissen der roten Fahne mit Hammer und Sichel auf dem Berliner Reichstag im Mai 1945 symbolisierte die Befreiung der meisten Völker Europas vom Faschismus.
Jetzt konnte niemand mehr in Abrede stellen, daß ein 1917 rückständiges Agrarland im Begriff war, zur zweiten – überdies atomar beschirmten – Weltmacht aufzusteigen.
Um so bedrückender ist die Tatsache, daß die Errungenschaften des bei Licht und Schatten insgesamt erfolgreichen sowjetischen Weges, die ihren historischen Stellenwert behalten, dann im Zuge eines Verfallsprozesses der durch Lenin begründeten Partei untergraben und preisgegeben wurden.
Doch in diesem Frühjahr sind die Karten neu gemischt worden: Die Imperialisten haben die erste große Niederlage seit dem Zusammenbruch der UdSSR und der sozialistischen Staaten Europas einstecken müssen. Der Versuch von NATO und EU, sich durch einen von Faschisten und Antisemiten angeführten Staatsstreich die Ukraine im Frontalstoß zu unterwerfen und Rußlands wichtigstes Nachbarland in ihr Blocksystem einzugliedern, ist gescheitert. Der beherzte Widerstand erheblicher Teile der ostukrainischen Bevölkerung und die couragierte Haltung der überwiegenden Mehrheit der Krimbewohner haben den strategischen Planern in Washington, Berlin und Brüssel einen Strich durch die Rechnung gemacht. Das eindeutige Ergebnis des dem Völkerrecht entsprechenden Referendums auf der südeuropäischen Halbinsel war ein mächtiger Schlag ins Kontor jener Kreise des Westens, die sich bereits im Besitz von Sewastopol und Simferopol gewähnt hatten. Ihr Hauptziel, die russische Schwarzmeerflotte fortan am Auslaufen in den Mittelmeerraum zu hindern, wurde nicht erreicht. Der Traum der Kiewer Reaktionäre, die Meerenge von Kertsch und damit den Zugang zum Asowschen und zum Kaspischen Meer sowie zu den russischen Strömen Wolga und Don zu blockieren, ist ausgeträumt.
Der geradezu pathologische Russenhaß der meisten Politiker und Medien der BRD hat handfeste Gründe. Rußland erweist sich keineswegs als „Schmuddelkind der Geschichte“, sondern ist nach wie vor eine selbstbewußte politisch-militärische Weltmacht. Was sich bei der glanzvollen Olympiade in Sotschi bereits abzeichnete, hat sich seither vollauf bestätigt: Der Staat zwischen Kaliningrad und Wladiwostok ist ein unverzichtbarer Friedensfaktor. Moskau steht für politische Vernunft und realistisches Handeln. Das Veto des russischen Vertreters im UN-Sicherheitsrat erweist sich als eine scharfe Waffe.
Obwohl Rußland bekanntlich schon lange nicht mehr als sozialistischer Staat betrachtet werden kann, lebt unter großen Teilen seiner Bevölkerung die Erinnerung an sowjetische Zeiten und Errungenschaften fort.
Die krankhafte Russophobie, die unmittelbar an den Antisowjetismus der Vergangenheit anknüpft, konzentriert sich derzeit vor allem auf Präsident Putin. Warum?
In erster Linie deshalb, weil er, der übrigens von nüchtern denkenden bürgerlichen oder sozialdemokratischen Politikern wie Helmut Schmidt sachlich beurteilt wird, westliche Erwartungen arg enttäuscht hat. Jene, welche die Illusion hegten, Moskau werde bei entsprechender Druckausübung nach der Pfeife von NATO und EU tanzen oder zu Kreuze kriechen, machten ihre Rechnung ohne den Wirt. Angesichts des Maßes der Bedrohung durch Kräfte, welche den Roten Platz zum Maidan der russischen Metropole machen wollten, bewahrte man im Kreml einen kühlen Kopf. Putin erwies sich in kritischen Tagen als souveräner und beherrschter Politiker. Er ließ sich durch Obama, Merkel, Cameron, Hollande, Tusk und andere „Ratgeber“ nicht aus der Fassung bringen. Die Krim werde von Russen, Ukrainern und Tataren bewohnt, verwehre aber den Kiewer Anbetern des Nazikollaborateurs Bandera den Zutritt, stellte der Präsident bei der Aufnahme der Halbinsel und der Stadt Sewastopol in den Staatsverband Rußlands fest.
Fazit: Die Krim ist nicht zur Beute der Imperialisten aus NATO und EU geworden. Auch in den ostukrainischen Gebieten Donezk und Lugansk wurden die Karten neu gemischt. Die Formierung zweier Volksrepubliken beweist, daß die antifaschistische Tradition aus sowjetischen Zeiten hochgehalten wird, was nicht zuletzt die entschlossene Verteidigung von Lenin-Denkmälern in diesem Teil der Ukraine gegen weißgardistische Provokateure gezeigt hat. Das gilt auch für Charkow. Die schwere Niederlage seiner Widersacher in der internationalen Arena sollte indes nicht als Rückkehr Rußlands zum Sozialismus fehlinterpretiert, sondern als Sieg im Kampf um nationale Souveränität und territoriale Integrität gewürdigt werden. Ein herrliches Stückchen russischer Erde und zugleich ein Terrain von höchster strategischer Bedeutung für die Sicherheit des im Zweiten Weltkrieg leidgeprüften Volkes und Landes ist den westlichen Wölfen kein Fraß geworden. Das dürfte ein guter Grund sein, unsere Pokale mit Krimsekt zu füllen.
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