Als ein abnickbereiter Bundestag
die Hartz-IV-Gesetze durchwinkte
Ein übles Unterfangen
Man schrieb das Jahr 1998. Aus den Bundestagswahlen ging eine regierende Koalition aus SPD und Grünen hervor. Die Wirtschaftsbosse zeigten sich mit den Rahmenbedingungen der Kapitalverwertung unzufrieden, während für die Lösung sozialer Konflikte kein Ausweg in Sicht war. So bedrängten sie Kanzler Schröder, ein Konzept entwerfen zu lassen, um der Lage Herr zu werden. SPD und Grüne segneten dann die ihnen unterbreitete Agenda 2010 im Juni 2003 mit satter Mehrheit ab.
Peter Hartz, damals Personalvorstand der Volkswagen-AG und Namensgeber der kriminellen Operation, wurde mit deren Umsetzung betraut. Die Kommission unter seiner Leitung hieß bald allgemein nur noch „Hartz IV“. Jahre später wurde der Pate des sinisteren Unterfangens wegen Bestechung gerichtlich verurteilt. Dabei ging es allerdings nicht um die von ihm entwickelten Gesetze. Mitglieder der Kommission waren fast ausschließlich Vertreter großer Unternehmen oder ihrer Beraterfirmen. Um das Dekor zu wahren, zog man auch willige Jasager aus Gewerkschaftsführungen und SPD-Gremien hinzu. Einer von ihnen war der ehemalige Leipziger Oberbürgermeister Tiefensee, später Minister der Bundesregierung und heute Kabinettsmitglied Bernd Ramelows in Thüringen.
Bereits am 17. Oktober 2003 wurden die Hartz-IV-Gesetze vom abnickbereiten Bundestag durchgewinkt. Das Projekt diene der Verwaltungseinsparung und verbessere die Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt, hieß es offiziell. Das war von Beginn an eine Lüge! Einsparungen sollten sich aus der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ergeben.
Nun wurde eine Eigendynamik in Gang gesetzt, welche Hartz IV zu einer echten Untat werden ließ. Gemeint sind hier nicht die Gesetze an sich, sondern die exzessiv gesetzlose Praxis ihrer Umsetzung und der Wust von Verwaltungsvorschriften, die sich je nach „Geschmack“ interpretieren lassen.
Zuvor erfand man bereits die sogenannte Zufluß-Theorie. Ihr zufolge müssen sämtliche „Zuflüsse“ an Geld, Geschenken oder sonstigen Zuwendungen gemeldet und dem ALG 2 als Einkommen zugeschlagen werden – auch dann, wenn der Betreffende bereits zuvor deren Eigentümer gewesen ist. Wichtigste Komplizen sind hierbei die Sozialgerichte, die in der Regel lediglich die Willkür der Arbeitsämter (Jobcenter) bestätigen. Die Justiz schützte sich gegen Rechtsbeistände der Betroffenen, indem sie die Bedingungen zur Gewährung von Prozeßkostenhilfe verschärfte.
Mit böswilligen Auslegungen und Behauptungen zerren die für sie zuständigen Behörden Erwerbslose vor die Amtsgerichte, um Sozialmißbrauchsfälle zu konstruieren. Aber auch die Methode, den Zoll in Marsch zu setzen, um Beschlagnahmen zu vollziehen, gehört zum Repertoire. Gerichte sprechen Geldstrafen gegen Arbeitslose aus, von denen sie ganz genau wissen, daß die Betroffenen nicht die geringste Chance haben, sie zu begleichen. So werden ersatzweise verhängte Gefängnisstrafen vollstreckt. Arbeitszuweisungen der Ämter werden wie Gesetze gehandhabt und sind in der Sozialgerichtspraxis als solche anerkannt, obwohl keine demokratische Institution jemals deren legislativen Charakter bestimmt hat. Einsprüche gegen Entscheidungen werden oftmals von denselben Personen bearbeitet, welche sie zuvor getroffen haben. So sind Mitarbeiter der Ämter und Center Ermittler, Entscheidungsbefugte und Ausführende in einer Person, Kontrollmaßnahmen aber grundsätzlich nicht vorgesehen.
Für Hartz-IV-Bezieher gilt eine strikte Bindung an den Wohnort. Wer diesen verlassen will, muß sich zuvor abmelden und seine Rückkehr persönlich mitteilen. Derjenige aber, dem unerlaubte Abwesenheit nachgewiesen wird, kann sein Unterhaltsrecht komplett verlieren. Freizügigkeit, wie sie das Grundgesetz vorschreibt, gibt es für Hartz-IV-Empfänger also nicht. Wer Meldeterminen nicht nachkommt, dem streicht man schließlich alles. Jedes halbe Jahr bekommt der Betroffene eine „Eingliederungsvereinbarung“ zur Unterschrift vorgelegt. Verweigert er die Signatur, erhält das Dokument per Gerichtsbeschluß seine Wirksamkeit.
Für die Medienmacher gelten Hartz-IV-Bezieher oft genug als Quasi-Halbkriminelle, die dem Staat aus Arbeitsunlust auf der Tasche liegen. Millionen schuften für einen Hungerlohn. Damit sie mit ihren Einkünften auch nur knapp über die Armutsgrenze gelangen, müssen sie bei den Arbeitsämtern den Antrag auf Zahlung der Differenz zu Hartz IV stellen. Wer eine „zumutbare“ Arbeit ablehnt, dem kann ebenfalls nahezu alles entzogen werden. Das ist de facto Zwangsarbeit, die das GG strikt verbietet.
Kontoschnüffelei sowie Einsicht in Dokumente sämtlicher Behörden ohne Einwilligung der Betroffenen gehören zu den Befugnissen der Arbeitsämter. Wer einen ALG-2-Antrag stellt, verliert das elementare Menschenrecht auf Selbstbestimmung.
Man darf durch Arbeit hinzuverdienen, aber nicht etwa bis zur Armutsgren-ze, sondern nur 100 Euro im Monat. Was darüber liegt, wird zu 80 % (!) vom Arbeitsamt eingezogen. Bekommt man von dieser Behörde einen Brief, bei dem es um Geld geht, dann lautet der Tenor in der Regel: „Sie haben zu Unrecht erhalten …“
Versicherungen und Banken können sich die Hände reiben, denn wer für das Alter gespart hat, der muß sein Guthaben vor der Gewährung von ALG 2 auflösen, wenn er noch nicht Rentner ist und arbeitslos wird. Schon der dadurch eintretende persönliche Verlust geht – summiert man die Beträge – in die Hunderte Milliarden Euro, von der zu erwartenden Altersarmut ganz abgesehen.
Katastrophal sind die Bildungschancen für betroffene Familien. „Bildungsgutscheine“, die beantragt werden können, ändern an deren Situation nur wenig.
Leiharbeit und Lohndumping haben inzwischen Ausmaße angenommen, die Deutschland als ein Billiglohn-Land erscheinen lassen. Andererseits aber sind die Unternehmensgewinne exorbitant gestiegen. Sie werden gnadenlos auf den Börsenmarkt geworfen, wo sie weiteres Unheil anrichten.
Wer aber ist an all dem schuld? Die politisch Verantwortlichen kennt man. Doch es gibt keine Untaten dieses Kalibers ohne jene, welche sie mit „vorauseilendem Gehorsam“ umsetzen.
Die überwiegende Mehrheit der auf das Grundgesetz verpflichteten Minister und Bundestagsabgeordneten – von echten Linken abgesehen – spielt dabei einen entscheidenden Part.
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