Gedanken einer Beeskower Malerin zum Internationalen Kindertag
Ein unvergessener „Frösi“-Holzschnitt
Zum Internationalen Kindertag wollte ich unbedingt zu Papier bringen, was mir seit meiner Einschulung vor fast 55 Jahren in liebevoller Erinnerung geblieben ist. Damals hing in allen Schulen der DDR ein Bild, das auch in unseren Lesebüchern zu finden war. Ich stellte das Internet auf den Kopf und war bitter enttäuscht, daß es lediglich in Paßbildgröße auf der Liste unzähliger „Frösi“-Hefte zu entdecken war. „Frösi“ – oder auch „Fröhlich sein und singen“ – war eine in hoher Auflage erscheinende Kinderzeitschrift. Wie auch immer – ich erwarb das Heft Nr. 6 vom Juni 1962 und konnte mich gar nicht mehr daran erinnern, daß es damals noch eine ganz andere Aufmachung als später hatte. Fast zärtlich durchblätterte ich die vergilbten Seiten. Wie wurde uns doch damals in altersgerechter Weise die kleine und die große Welt erklärt! Noch heute habe ich das Gefühl, wir seien einfach für voll genommen worden. Welche Mühe machten sich die Illustratoren, und welche Schätze der eigenen und der internationalen Malerei legte man uns als „Bild des Monats“ bei!
Da hielt ich tatsächlich das einzige Exemplar, das noch aufzutreiben war, für fast 10 Euro in Händen. Was aber fehlte …? Ausgerechnet das „Bild des Monats“, das im Juni jenes Jahres das Extrageschenk für uns zum Internationalen Kindertag hatte sein sollen. Aus diesem Bild klang das Lied von der „kleinen weißen Friedenstaube“, die den Erwachsenen übermitteln sollte, daß alle Menschen – ob Schwarze, Gelbe oder Weiße – nur Frieden wollen, den wir Kleinen zum Heranwachsen so dringend brauchten.
Mir ist nichts Näheres über die Künstlerin bekannt, die dieses Bild geschaffen hat. Ich konnte lediglich ermitteln, daß es sich um einen Holzschnitt von Li Bing-Fan „Wir wollen Frieden“ handelte. Woher sie kam, was aus ihr geworden ist und was sie sonst noch geschaffen hat – blieb mir verborgen.
Was diese Frau mir und uns allen damals mit den drei Knirpsen sagen wollte und heute noch, da wir längst Erwachsene sind, abfordert, ist der Einsatz für den nach wie vor aufs äußerste gefährdeten Frieden.
Als selbst mit der Malerei Verbundene wollte ich nachfolgenden Generationen so authentisch wie möglich dieses Werk übermitteln. Bilder laden mich immer zu genauem Hinschauen ein, sie müssen den Betrachter ansprechen. Der Gesamteindruck ist entscheidend.
Wenden wir uns der Arbeit von Li Bing-Fan zu. Blickt dem braunen Bruder ins Gesicht. Zunächst meint man, er sehe den Betrachter sehr selbstbewußt an. Beim Malen aus der Erinnerung fiel mir dann auf, daß der Junge eine gehörige Portion Zurückhaltung an den Tag legt. Seine rechte Augenbraue ist leicht nach oben gezogen, als ob er dem Frieden aus bitterer Erfahrung noch nicht so recht trauen will. Sein Oberkörper neigt sich leicht nach links. Seine Hand aber liegt fest auf der Schulter des weißen Mädchens. Erstaunlicherweise bereitete sie mir bei der Arbeit die meisten Probleme. Nicht ihr freundliches Gesicht war es, sondern die Farbgestaltung. Mir fehlten die notwendigen Schattierungen, um es lebendig wirken zu lassen. Dabei hat die kleine Motte hübsche Bäckchen, als ob sie das Modellsitzen aufrege. Überdies fallen ihre Schleifchen im blonden Haar dem Betrachter auf. Sie neigt sich vertrauensvoll dem Jungen aus dem warmen Land zu. Erst jetzt fällt mir auf, daß dieser ein T-Shirt trägt und sie einen warmen Pullover. Wo wurde das von mir nachempfundene Original des Bildes nur gemalt – in China? Die Bekleidung ist ein Hinweis darauf, welches unterschiedliche Klima in der Heimat der Kinder herrscht. Die Hand des blonden Mädchens liegt fast selbstverständlich auf der Schulter ihrer gelben Altersgenossin.
Die aber hält die Botschaft des Trios im Arm. Die wachen Augen, ihr sanftes Lächeln und die vor Verantwortung für den Schatz in ihren Händen glühenden Wangen lassen den Betrachter einfach nicht los. Ihre Hände wirken fast groß, als ob sie das Symbol des Friedens ganz besonders fest halten wolle. Und die Taube selbst? Macht sie nicht den Eindruck, als könne sie sich auf die drei verlassen? Fühlt sie sich nicht in den Kinderhänden geborgen?
Als ich damals das Bild zum ersten Mal sah, konnte ich das Wort Solidarität wohl noch nicht schreiben. Doch wir sammelten bereits Altstoffe, deren Erlös für Kubas Kinder bestimmt war. Auch fühlte ich mich freundschaftlich mit den Kindern im Lande Lenins verbunden und sorgte mich um meine kleinen Altersgefährten in jungen Nationalstaaten. Wir selbst kannten den Krieg nicht, aber Eltern, Großeltern und Lehrer schilderten ihn als das Schlimmste, was Menschen aus Gier nach den Reichtümern dieser Welt anderen antun können. Heute erleben wir wieder, wie der Kapitalismus über immer neue Teile der Menschheit herfällt. Da kam mir das Bild mit den Kindern verschiedener Hautfarbe und der von ihnen gehaltenen Taube unwillkürlich ins Gedächtnis. Die drei könnten mittlerweile unsere Enkel sein. Sie erinnern mich an das Wort von Käthe Kollwitz: „Saatfrüchte dürfen nicht vermahlen werden.“
Ich hoffe, daß meine Version dem Original von einst nahe gekommen ist. Zum Internationalen Kindertag gratuliere ich allen Mädchen und Jungen mit der Bitte: Haltet die Friedenstaube, wo immer es geht, fest in Händen!
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