War Stalin der Namensgeber der CDU in Ost und West?
Ein verleugneter Taufpate
Bis zum Dezember 1989 gab es zwei deutsche Parteien gleichen Namens: Eine Christlich-Demokratische Union (CDU) der DDR, die sich laut ihrer Satzung als „Partei des Friedens, der Demokratie und des Sozialismus“ verstand und mit der damals einsetzenden konterrevolutionären Entwicklung ihre Existenz verlor, und eine CDU der BRD als Partei der Spaltung Deutschlands, des Imperialismus und seiner „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“. Sie nahm 1990 verräterische Überläufer aus der DDR-CDU gern in ihre Reihen auf, mimte mit ihnen auf der politischen Showbühne die „Vereinigung“ und vereinnahmte die Partei im Osten samt Demokratischer Bauernpartei (DBD), an deren Spitze sich ebenfalls Anbiederer fanden.
Die Frage liegt nahe, wie es eigentlich zu diesen beiden namensgleichen CDU-Parteien gekommen ist. Mit dem Befehl Nr. 2 der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) vom 10. Juni 1945 wurden auf dem Gebiet der SBZ vier Parteien zugelassen. Der Gründerkreis einer Christlich-Demokratischen Union verständigte sich am 22. Juni auf diesen Parteinamen und einen Aufruf, den er vier Tage später veröffentlichte. Schon am 10. Juli nahm die CDU in der SBZ ihre Tätigkeit auf. Seitdem gab es in Berlin eine Reichsgeschäftsstelle der CDU. Am 22. Juli fand dort eine Gründungskundgebung dieser Partei statt.
In den westlichen Besatzungszonen lief das völlig anders ab. Hier bildeten sich unabhängig voneinander christlich-demokratische Gruppierungen mit ähnlichen Ausgangszielen zunächst auf Länderebene. Sie wurden dort zu Parteien, welche sich erst 1950 mit Ausnahme der CSU Bayerns, die ihre regionale Selbständigkeit bewahrte, bundesweit zusammenschlossen.
Sehr Wesentliches berichtet Gerald Götting, der sich und seiner Vergangenheit treu gebliebene langjährige Vorsitzende der DDR-CDU, Stellvertreter des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR und zeitweiliger Präsident der Volkskammer, in dem von Egon Krenz herausgegebenen Erinnerungsband „Walter Ulbricht“. Dort lesen wir, daß die Gründung der CDU auf eine Weisung Josef Stalins an jene zurückgehe, welche sich in der UdSSR bereits mit Vorbereitungen für Nachkriegsdeutschland befaßt hatten. Der sowjetische Führer befürchtete wohl nicht ohne Grund, liest man bei Götting, daß das deutsche Volk durch die intensive faschistische Propaganda und Hetze mehrheitlich so irregeführt und verbildet sei, daß es der KPD allein nicht gelingen könnte, die Masse der Deutschen zu erreichen. Deshalb habe er verfügt, daß unmittelbar nach der Kapitulation der Faschisten auf ostdeutschem Boden vier Parteien entstehen sollten: die KPD, die SPD, eine zur Zusammenarbeit bereite Partei für das Bürgertum und eine für Christen, letztere in der Nachfolge etwa der katholischen Zentrumspartei.
Aus Kreisen christlicher Antifaschisten kam der Hinweis, daß in der künftigen SBZ wesentlich mehr Protestanten als Katholiken lebten. Der Vorschlag, die neue Partei deshalb Christlich-Demokratische Union zu nennen, wurde laut Götting durch Stalin angenommen. Das Papier mit der schriftlichen Bestätigung liege in Moskauer Archiven. Ob Stalin das Wort „Union“ vielleicht deshalb besonders zugesagt hat, weil es ja auch zum Staatsnamen der UdSSR gehörte?
Götting berichtet überdies, an der Formulierung des CDU-Gründungsaufrufs habe auch der renommierte SMAD-Kulturoffizier Oberst Sergei Tulpanow, später Rektor der Universität Leningrad, persönlich mitgewirkt. Damit dürfte klar sein, daß die Wiege des Parteinamens CDU im Kreml gestanden hat.
Götting verweist auch auf die als „Reichstreffen“ bezeichnete Zusammenkunft der westdeutschen Parteisprößlinge, die noch im Dezember 1945 in Bad Godesberg stattgefunden habe. Dazu zitiert er die Konrad-Adenauer-Stiftung: „Von diesem Zeitpunkt an wurde der Name ,Union‘, wie er in der SBZ und in Berlin geprägt worden war, im Westen übernommen.“ Ob es dabei vielleicht auch die Überlegung gegeben hat, die ostdeutsche CDU leichter unter die Bonner Fuchtel bringen zu können, wenn man sie mit einem raffiniert versteckten Gedanken an die deutsche Einheit lockte? Doch der Schuß ging nach hinten los, hatte doch der Westen eindeutig beim Osten abgeschrieben.
Sicher ist eine christliche Partei keine Religionsgemeinschaft. Aber ihre Mitglieder kennen sich in kirchlichen Ritualen aus, so auch in denen der Taufe. Sie wissen zugleich, daß es in unserer säkularen Umwelt üblich geworden ist, manchen kirchlichen Brauch zum Vorbild feierlicher Akte auch außerhalb von Gotteshäusern zu wählen. Deshalb sei in diesem Zusammenhang ein Vergleich gestattet, für den die CDU gewiß Verständnis haben dürfte: Bei der Taufhandlung wird der Name des Täuflings benannt. Ohne diesen gibt es keine Taufe! Die kirchliche Taufordnung sieht Taufzeugen als „Paten“ der Täuflinge vor. Sie sollen diese im Glauben fördern. Und es ist üblich, daß sie dem Täufling ein dem Anlaß gerecht werdendes Patengeschenk überreichen.
Im Säkularen hat es sich eingebürgert, Namensgebungen ebenfalls als „Taufe“ zu bezeichnen und mit weltlichen, an das kirchliche Pendant erinnernden Elementen wie Paten auszustatten. Hier also von einer „Taufe“ der CDU zu reden, ist sicher auch für deren Mitglieder akzeptabel. Wenn Stalin also – wie Gerald Götting glaubwürdig zu vermitteln weiß – den Namen der Partei abgesegnet hat, dann ist er somit der Taufpate der CDU beider deutscher Staaten.
Die CDU im Westen begegnet ihrem „Patenonkel“, den sie mit der DDR-CDU aus freien Stücken geteilt hat, allerdings voller Haß. Dabei ist das Ganze doch eine sonnenklare Angelegenheit, auch wenn die Partei Adenauers, Kohls und Merkels den Realitäten zu entfliehen sucht.
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