Zum Tod des Weimarer Schriftstellers Wolfgang Held
Einer trage des anderen Last
Schon in der Schule schrieb er gern Aufsätze, Geschichten voller Abenteuer und Phantasie. Als Kind einer sozialdemokratisch geprägten Großfamilie, in der Mitte Weimars wohnend, sog er befremdliche Situationen und Geschehnisse in der von Faschisten zu nationalistischen Zwecken mißbrauchten Stadt unter dem Ettersberg auf. Nach dem 11. April 1945, dem Befreiungstag Buchenwalds, wollte er den Jahre zuvor von der Gestapo als Kommunist verhafteten Onkel Rudi in dem Lager besuchen, wo sich die Häftlinge selbst befreit hatten. Er tat das, um sich zu überzeugen, was dort geschehen war: Etwas, wovon die meisten Weimarer nichts gewußt haben wollten.
Solcher emotionalen Erlebnisse entsinnt sich Wolfgang Held in seinem Buch „Ich erinnere mich“, das 2014 im Weimarer Eckhaus-Verlag erschienen ist. Damit setzte er einen Schlußpunkt unter sein Lebenswerk. Die Zahl der Kinderbücher, Reportagen, Romane, Erzählungen und Filmszenarien für die DEFA und das Fernsehen der DDR aus seiner Feder ist buchstäblich Legion.
Mut und wertvolle Ratschläge für die ersten schriftstellerischen Schritte gab ihm der 1954 von Prag nach Weimar übersiedelte und schon 1957 verstorbene Dichter Louis Fürnberg. Wie beim Aufbau einer neuen antifaschistisch-demokratischen Gesellschaft im Osten Deutschlands schöpferische Potentiale mobilisiert wurden, erlebte Wolfgang Held zunächst als Volkspolizist, später als Journalist. Es war kräftezehrend bis zum Umfallen. Eines Tages spuckte seine Lunge Blut, und Wolfgang Held mußte ins Sanatorium einrücken – ein Vorgang, den er später in dem eindrucksvollen Film „Einer trage des anderen Last“ (DEFA 1988) künstlerisch verdichtete.
Nach der Genesung wandte er sich intensiv dem Schreiben zu. Zunächst arbeitete er einige Jahre bei der Erfurter Bezirkszeitung „Das Volk“. Mit Reportagen, Kinder- und Jugendbüchern schrieb er sich frei. 1960 wurde er in den DDR-Schriftstellerverband aufgenommen, deren Sozialkommission er umsichtig leitete.
Wolfgang Held betreute von 1959 bis 1966 den Zirkel Schreibender Arbeiter im VEB Büromaschinenwerk Sömmerda. Das war für ihn eine wahre Fundgrube an Alltagsgeschichten. Eine landesweite Aufbruchsstimmung, die auch ihn anregte, sich Bildung und Kultur anzueignen, bestimmte damals die allgemeine Lebensatmosphäre in der DDR. Arbeiterfestspiele und gewerkschaftlich organisierte Theaterfahrten, auch zu Klassiker-inszenierungen im Deutschen Nationaltheater Weimar, gehörten für viele Produktionsarbeiter zur Normalität.
Das Kollektiv des DEFA-Films „Zeit zu leben“, dessen Szenarist Wolfgang Held war, erhielt 1969 den DDR-Nationalpreis. Dieser Streifen drückte die Stimmung jener Jahre aus. Auf berichtenswerte Konflikte war Wolfgang Held im Büromaschinenwerk gestoßen. Er verdichtete sie auch humorvoll. Die Musik gab dem Ganzen eine wunderbar poetische Frische. Es war, aus heutiger Sicht, die „Mitte der DDR-Zeit“. Weitaus schwieriger gestalteten sich dann die 70er Jahre.
Damals lernte ich Wolfgang als Freund, Ge-nossen und bescheidenen Menschen kennen. Er besuchte in jener Zeit öfter Parteiversammlungen in der Weimarer Kreisredaktion unserer Zeitung, obwohl er inzwischen nicht mehr beim „Volk“ angestellt war. Mitunter besaß er eine überraschend andere Sicht auf politische und ökonomische Vorgänge in der DDR – jedenfalls nicht jene, welche uns gerade im Parteilehrjahr vermittelt wurde. Er kam viel herum und benannte Widersprüchliches, auf das er hier und dort gestoßen war. Bloßes Theoretisieren mochte er nicht. „Die Wahrheit ist immer konkret“, meinte er. Wolfgang Held machte Mut, offen mit „heißen Eisen“ umzugehen. Beschönigung der Realität, auch in der sozialistischen Presse, nütze nur dem Gegner.
Als der Zirkel Schreibender Arbeiter des VEB Weimar-Werk, den der Schriftsteller Walter Stranka leitete, 1974 mit dem Literatur- und Kunstpreis der Klassikerstadt ausgezeichnet wurde, gratulierte uns Wolfgang Held spontan und freute sich über die Würdigung.
Zu Helds Fernsehfilm „Zweite Liebe – ehrenamtlich“ (1977) gab die beispielhafte Sportförderung in der DDR den Anstoß. 1983 entstand aus dem Stoff des Films sein Jugendbuch „… auch ohne Gold und Lorbeerkranz“. Verfilmt wurde später Helds 1986 erschienenes Buch „Laßt mich doch eine Taube sein“ über den zuvor kaum gewürdigten Kampf der jugoslawischen Partisanen in Slawonien gegen die hitlerfaschistischen Okkupanten. Einer der Hauptdarsteller war Gojko Mitič.
Nachdem Harry Thürk Anfang der 80er Jahre den Vorsitz des Erfurter Bezirksverbandes der DDR-Schriftsteller aus gesundheitlichen Gründen hatte aufgeben müssen, nahm Wolfgang Held dessen Platz ein. Mit sehr viel Feingefühl wurde er den Anforderungen gerecht.
Auf einer Versammlung des Verbandes im Frühjahr 1990 machte er einigen in nebulösen Freiheitsvorstellungen gefangenen jüngeren Autoren unmißverständlich klar, was sie in der BRD erwartete: das Diktat des Marktes! Es könne nun jeder schreiben, was er wolle und drucken lassen, wo er wolle. Er müsse es nur bezahlen können. Es gäbe unzählige Verlage, die auf Autoren warteten. Eine politische Zensur bestehe nicht, man könne sogar einen eigenen Verlag gründen, falls genügend Geld dafür vorhanden sei. Die Qualität des Geschriebenen spiele keine Rolle. Unter diesen Umständen werde die Masse der westdeutschen Autoren nicht vom Verkauf ihrer Bücher leben können. Jetzt bestimme das Großkapital, wer und was auf dem Markt für Literatur Chancen besitze.
Es war auch für Wolfgang Held ein Schock, daß Millionen in der DDR gedruckte Bücher, darunter Werke der Weltliteratur, wie Müll entsorgt und Hunderte Bibliotheken geschlossen wurden.
Da die meisten DDR-Verlage insolvent waren und aufgekauft wurden, ergriffen einige Autoren die Initiative zu Eigengründungen. Wolfgang Held riet mir, mich an den Schriftsteller Dietmar Beetz zu wenden, der in Erfurt die Edition D. B. betreibt.
Der beliebte Autor und Freund besuchte des öfteren unser dicht bei Weimar gelegenes Kromsdorf. Er kam vor allem auch wegen der dort vom Thüringer Filmbüro gezeigten Streifen, die nach Büchern von Harry Thürk, Armin Müller und ihm gedreht worden waren.
Als Wolfgang Held im Herbst dieses Jahres von uns ging, empfanden wir echten Schmerz. Doch die Gewißheit tröstete uns, daß sein Werk und Wirken als fester Bestandteil der DDR-Literaturgeschichte fortleben wird.
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