Geschichte als „Freizeit- und Unterhaltungs-Business“
Einseifen angesagt
In der wissenschaftlichen, staatlichen oder gewerblichen Deutung und Darstellung unserer Geschichte wie deren Aufnahme durch Bildungs- und Kultureinrichtungen sowie im Privatleben lassen sich seit 1990 drei Haupttendenzen erkennen.
Erstens: Kern der Staatsräson sind der Kapitalismus als segensstiftende „letzte Weisheit“, eine Verkürzung des Faschismus auf den Holocaust, eingebettet in die wissenschaftsfeindliche Totalitarismus-Doktrin, die Antikommunismus mit Haß auf jegliche gesellschaftsverändernden Ideen verbindet. Kriege des Imperialismus und rabiater Sozialabbau werden verharmlost oder gerechtfertigt. Diese Bereiche fördert der Staat BRD finanziell und baut sie ständig aus.
Zweitens: Zum Erhalt überkommener reaktionärer Ansichten werden faschistische Straßennamen, Denkmäler und Einrichtungen gezielt konserviert. Dabei bedient man sich einer raffinierten Verschleierungs- und Verharmlosungstaktik. „Das Verbindende und Versöhnende in Vielfalt und Wandlung des Zeitgeistes ermöglichen es jedem Bürger, seinen eigenen Interessen, Ansichten und Gefühlen in gelebter Demokratie nachzugehen.“ So geschwollen formulierte es ein auf Nebulöses fixierter Auftragsforscher, der sich für den Erhalt und die Pflege nach Hindenburg und anderen Häuptern von Militarismus und Faschismus benannten Objekten engagiert. Natürlich fehlt es nicht an staatlich gesponserten Bestsellern zu solcher und ähnlicher Thematik. Bedauerlicherweise fällt das auch in Geschichtswerkstätten und bei einigen Historikern aus den Reihen der PDL auf fruchtbaren Boden.
Drittens: Neueste Entwicklungen einer vielfältigen Medientechnik haben rasante Auswirkungen auf privatwirtschaftliche Nutzungsvarianten von Geschichte. Privatisierungen und Sparzwänge im Bildungs- und Kultursektor machen die Devise „Culture must pay“ (Kultur muß sich auszahlen) immer mehr zur Richtschnur in den Bereichen Bildung, Forschung und Lehre. Alles muß profitorientiert, zumindest aber kostendeckend sein. Im gnadenlosen Konkurrenzkampf um die Gewinnung von Kunden, Besuchern und Lesern sind alle Mittel recht.
Der Oberbegriff für Geschichtsvermarktung in Literatur, Film, Internet, Tourismus, Freizeit und bei Festivitäten stammt aus den USA und heißt „Historical Entertainment“ (kurz: HistoTainment), was auf Deutsch Geschichtsunterhaltung heißt. Romane, Computerspiele, Filme wie „Weißensee“, Guido Knopps „History“, touristisches Marketing, Souvenirs aller Art, Jubiläumsfestivitäten, „Mittelaltermärkte“, die Nachstellung von Schlachten bis hin zur Einbeziehung der Kundschaft sorgen für ein rapides Wachstum dieser Branche. Hobbyvereine und öffentliche Einrichtungen kooperieren dabei. Diese Form des Umgangs mit der Vergangenheit wirkt „äußerst stimulierend“: Mangelndes Geschichtsinteresse wird mit „pädagogischen Anreizen“ durchbrochen. Die erwünscht arglose „bunte“ und individualisierte Version verankert massenwirksam vermeintliches Geschichtsverständnis.
Beim „Völkerschlacht-Jubiläum“ in Leipzig stellte das stadtgeschichtliche Museum mit einem „spektakulären“ Konzept sowohl „Lady Di“- und „Gorbi“-Bilder als Beispiele „standhaften Heldentums“ vor, während Edward Snowdens Konterfei als das eines Verräters verunglimpft wurde. Am Hauptspektakel des „Jubiläumsaktes“ nahmen 6000 Akteure aus 27 Ländern vor 35 000 Schaulustigen teil. Das „Natureum“ – Waldmuseum Göhrde – engagierte zur Erinnerung an die letzte Wilhelminische Parforce-Jagd den Verein „Der Kaiser kommt“ samt Soldatenspalier und fröhlichen Kindern, die einen als Majestät drapierten freundlichen Opa liebgewonnen hatten. Das Bundeswehr-Panzermuseum in Munster unweit des einstigen Vernichtungslagers Bergen-Belsen verzeichnete anläßlich seines 30jährigen Bestehens am 1. September – dem Antikriegstag (!) – Besucherrekorde und will multimedial nachrüsten.
Befragungen von Konsumenten solchen „HistoTainments“ zeigen die gefährliche Anziehungskraft dieser Art Massenbeeinflussung. Im Film erzielt man eine ähnlich emotionale Identifizierung mit Veronika Ferres als „Mädchen vom Checkpoint Charlie“. So mancher Zuschauer, der Guido Knopps Hetze gegen Thälmann in sich aufnahm, behauptete hinterher, er habe doch „selbst gesehen, was das für einer gewesen“ sei.
Käufliche Historiker geben ihren „Bestsellern“ den Anschein von Seriosität, und auf dem „Mittelaltermarkt“ lernen Kinder, daß Hamburger einst mit Bio-Brot zubereitet wurden. In der selbsterlebten Nachstellung wird die „Völkerschlacht“ zum wunderbaren Familienausflug, der den Kleinen so viel Freude bereitet und Großen den Eindruck vermittelt hat, Zeitzeuge des Geschehens gewesen zu sein. Kritik am „alten Kaiser Wilhelm“ mit Pickelhaube wirkt auf Zuschauer und Akteure vollends unverständlich, da es sich dabei doch lediglich um „harmlosen Klamauk“ gehandelt habe. So verbreitet sich massenpsychologisch durch Konsum und Teilhabe an „Events“, bei denen man hautnah zugegen war, die erwünschte kritikferne Harmonie in bezug auf die grausame Vergangenheit.
Wenn man Bilder von einer Stadtjubiläumsparade im Baltikum zeigt, bei der Kübelwagen voller Statisten in SS-Uniformen bejubelt werden, dann heißt es, das sei doch nur ein „Bemühen um Authentizität“. Waffennarren berufen sich auf ihre Fachkenntnisse. Relativierer der Verbrechen eines Wernher von Braun in Peenemünde loben den „großen Raketenforscher“.
All das hat nichts mit verantwortungsvoller musealer und schulpädagogischer Motivation oder echter Forschung in der experimentellen Archäologie zu tun. Ebensowenig mit der „Entstaubung von Vitrinen-Museen“ wegen Besuchermangels. Auch die neuen Medien könnten in KZ-Gedenkstätten und sozialgeschichtlichen Darstellungen zur Ergründung und Offenlegung kapitalistischen Elends eingesetzt werden. Natürlich nicht unter den ideologischen Prämissen einer profitorientierten Ausschlachtung der Vergangenheit.
Bevor jemand seine Kinder zu solchen Spektakeln mitnimmt, sollte er sie so gründlich wie möglich über die wahren Ursachen, Hintergründe und Zusammenhänge der jeweiligen Interpretation aufklären, um eine kritische und selbständige Rezeption des Erlebten zu ermöglichen.
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