Vor 60 Jahren, am 9. März 1957, zum Gesetz erhoben
Eisenhower-Doktrin gegen eine
„kommunistische Bedrohung“
Am 2. Januar 1957 riefen US-Präsident Eisenhower und sein Außenminister Dulles den engeren Kreis der für die Politik der Vereinigten Staaten im Nahen und Mittleren Osten Verantwortlichen zusammen – Politiker, Geheimdienstler, Militärs. Ihnen lag der Entwurf einer Botschaft des Präsidenten an den Kongreß vor. Diese sollte die Grundsätze der Politik der Vereinigten Staaten im „strategisch wichtigsten Gebiet der Welt“, dem Nahen und Mittleren Osten, fixieren und dem Präsidenten die erforderlichen Handlungsvollmachten gewähren.
Unter Berücksichtigung der aus der gescheiterten Dreieraggression Großbritanniens, Frankreichs und Israels gegen Ägypten vom Oktober/November 1956 gezogenen Schlußfolgerungen (siehe RF 10/2006, S. 23) sollte das Dokument dem Kongreß vorgelegt und als „Eisenhower-Doktrin“ bekannt werden.
Vorrangige strategische Anliegen des US-Imperialismus im Nahen und Mittleren Osten nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Sicherung der Kontrolle über das gewaltige Erdöl-Potential der Region und die Schaffung eines Brückenkopfes gegen die Sowjetunion in deren Grenznähe. Die Zerschlagung der Sowjetunion, „des Kommunismus“ (heute: „regime change“), war letztlich das Wunschziel, schien aber als offizielle Verlautbarung angesichts des internationalen Kräfteverhältnisses nicht opportun zu sein.
Um die Ziele in Nahost zu erreichen, orientierte sich Washington auf die arabischen Monarchien, auf deren Territorium sich in erster Linie die Erdöl-Ressourcen konzen-trierten. Das zwang sie u. a. zum Manövrieren bei der Schaffung militärischer Blöcke in diesem Raum. Vorrangig ging es Washington darum, die eigenen Interessen unabhängig von den bisher dort dominierenden seinerzeitigen Kolonialmächten Großbritannien und Frankreich durchzusetzen. Von letzteren wurde erwartet, daß sie sich nach den USA richten. So wurden die USA zunächst selbst nicht Mitglied des Bagdadpaktes (1955 Türkei, Irak, Iran, Pakistan und Großbritannien), obwohl sie diesen nicht nur unterstützten, sondern dessen Schaffung durch Großbritannien selbst veranlaßten. Das war dem Umstand geschuldet, daß Saudi-Arabien diesen Pakt wegen der Teilnahme und führenden Rolle Iraks ablehnte. Das Verhältnis der Saudis zu den in Bagdad herrschenden und von den saudischen Wahabiten aus dem eigenen Stammland 1925 vertriebenen Haschemiten war äußerst gespannt. Washington schreckte zu diesem Zeitpunkt auch noch vor direkter eigener militärischer Präsenz in der Region zurück, weil die Herren am Potomac noch hofften, Nassers Ägypten auf ihre Seite bringen zu können. Als das politisch und mit Bestechungsversuchen (siehe RF 7/2012, Extra, S. III) gescheitert war, sah sich die US-Administration im Verlauf des Jahres 1956 zu einer Veränderung ihrer Nahostpolitik gezwungen. Die Nationalisierung des Suezkanals und der Fehlschlag der Dreieraggression gegen Ägypten wurden zur Niederlage der imperialistischen Nahostpolitik insgesamt. Im Ergebnis konnten Nassers Ägypten und der durch ihn verkörperte arabische Nationalismus an Sympathie und Unterstützung nicht nur in den arabischen Ländern, sondern in der Dritten Welt überhaupt gewinnen. Ägyptens Einfluß wuchs und bewirkte eine Revolutionierung der arabischen Welt.
Bereits während der Dreieraggression wurde eine neue Qualität in der amerikanischen Politik offensichtlich. Nicht nur, daß die USA sich entschieden, ihren britischen und französischen Verbündeten die Unterstützung zu versagen, sondern – parallel zur UdSSR – sie zwangen diese auch, den Rückzug anzutreten.
Um dem rapiden Schwund des imperialistischen Einflusses im Nahen Osten zu begegnen, entschieden Eisenhower und Dulles, daß die USA die Rolle der entthronten Briten und Franzosen selbst übernehmen sollten. Sie erfanden im Nahen Osten ein „Machtvakuum“, wonach die Staaten dort „vom internationalen Kommunismus bedroht“ würden und Gefahr liefen, ihre „Unabhängigkeit“ zu verlieren. Die USA seien deshalb zur Einmischung gezwungen, um die „sowjetische Bedrohung“ abzuwenden. Das wurde schließlich zum Kern der „Eisenhower-Doktrin“.
Die von Dwight D. Eisenhower am 5. Januar 1957 im Kongreß eingebrachte Doktrin enthält zunächst einige Absätze, in denen die Bedeutung dieses „wichtigsten strategischen Gebietes der Welt“ für die USA erklärt wird: „Dieses Gebiet ist immer der Kreuzweg der Kontinente der östlichen Hemisphäre gewesen. Der Suezkanal befähigt die Nationen Asiens und Europas, den Handel zu treiben, der unentbehrlich ist, wenn diese Länder ausgeglichene und gedeihliche Wirtschaften aufrechterhalten sollen. Der Mittlere Osten sichert ein Durchgangstor zwischen Eurasien und Afrika. (…) Er verfügt über ungefähr zwei Drittel der gegenwärtig bekannten Ölvorkommen der Welt und deckt normalerweise den Erdölbedarf vieler Nationen Europas, Asiens und Afrikas.
Die europäischen Nationen sind besonders von dieser Versorgung abhängig, und diese Abhängigkeit erstreckt sich sowohl auf den Transport als auch auf die Produktion. Das wurde seit der Schließung des Suezkanals und einiger Pipelines augenfällig demonstriert. (…)
Diese Dinge unterstreichen die immense Bedeutung des Nahen und Mittleren Ostens. Wenn die Nationen dieses Gebiets ihre Unabhängigkeit verlieren sollten, wenn sie von ausländischen Kräften beherrscht würden, die der Freiheit feindlich gesonnen sind, würde das sowohl eine Tragödie für dieses Gebiet als auch für viele andere freie Nationen sein, deren wirtschaftliches Leben nahezu erdrosselt würde. Westeuropa würde gerade so in Gefahr gebracht, als hätte es keinen Marshallplan, keine NATO. Die freien Nationen Asiens und Afrikas würden ebenfalls in ernste Gefahr gesetzt. Und die Länder des Mittleren Ostens würden die Märkte verlieren, auf denen ihre Wirtschaft beruht. All dies würde eine äußerst widrige, wenn nicht unheilvolle Wirkung auf unser eigenes nationales Wirtschaftsleben und unsere politischen Aussichten haben.“
Die dann folgende Passage soll über die Hintertür des Religiösen zum Kern führen. „Dann gibt es andere Faktoren, die über das Materielle hinausgehen. Der Nahe Osten ist der Geburtsplatz dreier großer Religionen – der muslimischen, christlichen und hebräischen.
Mekka und Jerusalem sind mehr als Stätten auf der Landkarte. Sie symbolisieren Religionen, welche lehren, daß der Geist das Primat gegenüber der Materie hat und daß das Individuum Würde und Rechte besitzt, derer ihn keine despotische Regierung rechtmäßig berauben kann. Es würde unerträglich sein, wenn die heiligen Stätten des Nahen und Mittleren Ostens einer Herrschaft unterworfen würden, die den atheistischen Materialismus glorifiziert. (…)
Unter all den Umständen, die ich Ihnen vorgetragen habe, fällt den USA eine größere Verantwortlichkeit anheim.“ (…) Also die USA als berufene Bastion aller Gläubigen gegen den kommunistischen Antichristen.
Schon Schulkindern wurde beigebracht,
wie man sich am besten vor
russischen Atomraketen schützt ...
„Unter diesen Umständen halte ich es für notwendig, den Kongreß um Mitwirkung zu ersuchen. (…) Außerdem sollte unser gemeinsamer Entschluß in einer Weise niedergelegt werden, die es augenscheinlich macht, daß unsere Worte nötigenfalls durch Taten unterstrichen werden. (…)
Jetzt kommt es darauf an, daß die Vereinigten Staaten durch gemeinsames Auftreten des Präsidenten und des Kongresses unsere Entschlossenheit manifestieren, jenen Nationen des mittelöstlichen Gebiets beizustehen, die unseren Beistand wünschen. (…)
Das Vorgehen, welches ich vorschlage, würde folgende Ziele haben:
Es würde in erster Linie die Vereinigten Staaten ermächtigen, mit jeder Nation oder Gruppe von Nationen im Gesamtgebiet des Mittleren Ostens bei der Entwicklung der Wirtschaftskraft, die der Aufrechterhaltung der nationalen Unabhängigkeit gewidmet ist, zusammenzuarbeiten und Beistand zu leisten.
Zweitens würde es die Exekutive ermächtigen, in diesem Gebiet mit jeder Nation oder Gruppe von Nationen, die solche Hilfe wünscht, Programme über militärische Hilfe und Zusammenarbeit zu vereinbaren.
Drittens würde es dazu ermächtigen, in solche Hilfe und Zusammenarbeit den Einsatz der Streitkräfte der Vereinigten Staaten einzubeziehen, um die territoriale Integrität und politische Unabhängigkeit der Nationen, die um solche Hilfe ersuchen, gegen eine offenbare bewaffnete Aggression seitens irgendeiner durch den internationalen Kommunismus kontrollierten Nation zu bewahren und zu schützen. (…)
Viertens würde der gegenwärtige Vorschlag den Präsidenten ermächtigen, für wirtschaftliche und defensive militärische Zwecke von den laut dem abgeänderten Mutual Security Act von 1954 verfügbaren Mitteln ohne Rücksicht auf bestehende Beschränkungen Gebrauch zu machen.
Ich werde bei einer späteren Gesetzgebung um die Bewilligung von 200 Millionen Dollar nachsuchen, die während jedes der beiden Haushaltsjahre 1958 und 1959 für beliebige Verwendung in diesem Gebiet verfügbar sein sollen, zusätzlich zu den anderen Programmen über gegenseitige Sicherheit, die hiernach durch den Kongreß für dieses Gebiet bewilligt werden.
Die von mir skizzierte Politik auferlegt den Vereinigten Staaten gewisse Lasten und tatsächliche Risiken (…) Diesem Zweck müssen wir jetzt unsere Kräfte, unsere Bestimmung, ihm müssen wir selbst uns weihen.“
Zusammengefaßt: Die „Eisenhower-Doktrin“ war das aggressive Programm des US-Imperialismus zur kolonialen Expansion im Nahen und Mittleren Osten, zum Kampf gegen die nationale Befreiungsbewegung der arabischen Völker und zur Zurückschlagung des Sozialismus weltweit. Es war die Ermächtigung des Präsidenten der USA zum Einsatz der Streitkräfte und beträchtlicher Mittel im ganzen „strategisch wichtigsten“ Gebiet des Nahen und Mittleren Ostens nach eigenem Ermessen.
Die „Doktrin“ wurde mit der Zustimmung von Senat und Kongreß am 9. März 1957 US-Gesetz.
Unter den hochrangigen Experten, die Eisenhower und sein Außenminister am 2. Januar 1957 in Washington versammelt hatten, gab es keinen Zweifel, daß auch im Nahen und Mittleren Osten die „kommunistische Bedrohung“ zurückgedrängt und bekämpft werden müsse. Irritationen gab es aber, ob die durch die Doktrin bestimmten Gründe für eine Intervention durch die USA und ihre Verbündeten auch dann gegeben wären, wenn in einem der Länder der Region eine kommunistische Partei an die Macht käme, und auch dann, wenn das im Ergebnis freier Wahlen passiere. Man war sich aber einig, daß in einem solchen Falle „ohnehin“ eine „sowjetische Intervention“ vorliege.
Erster Testfall für die Anwendung der „Eisenhower-Doktrin“ wurde der Versuch, Syrien, wo 1956 eine antimperialistische Koalitionsregierung die Macht errang, wieder unter US-Diktat zu bringen. Das mißlang gründlich (siehe RF 1/2007, S. 19). Auch in den folgenden 60 Jahren scheiterten bisher Washingtons Anstrengungen, sich Syrien zu unterwerfen. Die aktuelle Situation sollte genug Beleg dafür sein, wie untauglich eine solche auf Hegemonie beruhende Doktrin ist. Weitere Beispiele für ein Vorgehen im Sinne der Eisenhower-Doktrin gab es in Libanon, Jordanien und anderen Staaten des Nahen Ostens.
In Westdeutschland übernahmen u. a.
CDU und CSU diesen Slogan, mancher
in der Friedensbewegung drehte ihn
später um: „Lieber rot als tot.“
Mit dem Ende der Sowjetunion und der anderen sozialistischen Staaten in Europa trat anstelle des plumpen Antisowjetismus die Russophobie. Gleichzeitig gewann in Washington die Tendenz die Oberhand, die geostrategischen Hegemonieansprüche der US-Monopole im Weltmaßstab allein – unilateral, ohne Rücksicht auf Interessen anderer großer Mächte – durchzusetzen. Eine zentrale Position dieser Strategie nimmt der für Rußland angestrebte Sturz des herrschenden Systems, des „regime change“, ein.
Die in der „Eisenhower-Doktrin“ enthaltenen Instrumente und Maßnahmen der Intervention sind zum Beispiel, teilweise wörtlich, in der im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise stehenden Kongreß-Resolution 758 vom 18. 11. 2014 (113th Congress, 2d session) zu finden. Unter dem Vorwand, „aufs schärfste die von der Russischen Föderation unter Präsident Wladimir Putin betriebene Aggressionspolitik gegen Nachbarländer zu verurteilen“ (…), die auf eine politische und ökonomische Vorherrschaft“ Rußlands ausgerichtet sei, wurde das Kongreßkomitee für Auswärtiges beauftragt, dem Präsidenten adäquate Maßnahmen gegen Rußland vorzuschlagen.
Die Kontinuität von der „Eisenhower-Doktrin“ zur Gegenwart offenbart sich überdeutlich: In Syrien beschuldigen die USA und ihr Gefolge – nicht zuletzt die Bundesrepublik – Rußland und die legitime Führung des Landes der Verbrechen, die von den islamistischen Söldnern des Westens, der Türkei und der arabischen Reaktion begangen werden. Verstöße in der Ukraine gegen internationale Abkommen (wie das Minsker) und andere Schändlichkeiten, die auf das Konto Kiews gehen, werden Moskau angelastet.
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