Elfriede Brüning –
ein Leben für die Frauenrechte
Elfriede Brüning mit Sabine Kebir
Die Publizistin und Sozialwissenschaftlerin Sabine Kebir hat den Lebensweg einer Frau beschrieben, die über viele Jahrzehnte für die gerechte Teilhabe der Frauen in der Gesellschaft gestritten hat: Elfriede Brüning, Schriftstellerin und Journalistin, begann ihre Laufbahn als politisch engagierte Autorin 1930 und riskierte ihr Leben im antifaschistischen Widerstandskampf. In der DDR erlebte sie ihre fruchtbarsten Schaffensjahre, wurde zur kraftvollen Stimme der Frauen im großen geschichtlichen Aufbruch ab den 50er Jahren. Ihre Bücher und journalistischen Beiträge regten zu heißen Diskussionen an. Denn was die Elfriede Brüning schrieb, war aus eigener lebensweltlicher Erfahrung geschöpft – als Werktätige, als Reporterin in Betrieben, Dorfbibliotheken, Fürsorge-Einrichtungen oder Jugendheimen, als Ehefrau und Partnerin, als alleinerziehende Mutter und Großmutter. Ihre Arbeit war von revolutionärer Ungeduld geprägt. Das fakten- und zitatenreiche Sachbuch von Sabine Kebir würdigt das Werk von Elfriede Brüning auf eine spannend erzählende, gleichwohl anspruchsvolle Weise.
Sind Frauenquoten, Diskriminierungsverbot, Väter- und Mütter-Erziehungszeiten einer Bundesregierung mit zum Teil weiblichem Führungspersonal zugute zu halten? Und helfen diese zweifellos wichtigen emanzipatorischen Fortschritte den alleinerziehenden, auf „Leistungsbezug“, in Mini- oder Teilzeitjobs an den Rand gedrängten Frauen? Beides nein, weil völlig ungenügend, wissen nicht nur Sozialisten und Kommunisten. Hunderttausende Frauen und Mütter erfahren es tagtäglich bei Bittgesuchen auf Ämtern und Behörden, in den etablierten Machtzentren von Wirtschaft und Verwaltung, in der kapitalistisch deformierten Alltagswelt schlechthin. Und ein unbefangener Leser, eine vorurteilsfreie Leserin kann es aus dem Sachbuch der Sabine Kebir erfahren – auf die denkbar überzeugendste Weise! Der Untertitel „Selbstverwirklichung im Alltag“ nennt das Thema, auf das es der Autorin ankommt.
In ihrer Brüning-Biographie befolgt Kebir nicht allein die strengen Regeln einer wissenschaftlichen Publikation, sondern sie gestaltet über alle 900 Seiten eine flüssig lesbare, spannend erzählte Geschichte. Ein langes und kämpferisch erfülltes Frauenleben entfaltet sich. Das erste Fünftel (vom Gesamtumfang des Buches) ist auf die junge Brüning bezogen, die sich im kapitalistischen Alltag zwischen 1910 und 1945 behauptete. „Eine junge Publizistin tritt hervor (1910–1931)“, „Kunst als Waffe (1930–1933)“, „Doppelleben unterm Hakenkreuz (1933–1935) “ und „Überleben unterm Hakenkreuz“ lauten die Kapitelüberschriften. 1932 hatte sie ihren ersten Roman geschrieben, der dann bei Ausbruch der Naziherrschaft nicht erscheinen konnte: „Handwerk hat goldenen Boden“ (s. a. „RotFuchs“ Nr. 187). Elfriede Brüning, Kurier im antifaschistischen Widerstand, kam mit Glück aus faschistischer Gefängnishaft frei, konnte dann in der inneren Emigration und im Schutz einer Vernunftehe der fortwährenden Lebensgefahr entrinnen. „Und außerdem ist Sommer“ heißt ihr während der Haft entstandener Roman. Selbst in der 1934 erschienenen, scheinbar harmlos dahergeplauderten Liebesgeschichte handelt kein Weibchen, sondern eine selbstbewußt auftretende Heldin. Sabine Kebir macht auch im übrigen Teil ihrer Arbeit, der die Jahre ab 1945 in der SBZ, der DDR und zuletzt im „Beitrittsgebiet“ beinhaltet, markante Werke zu themensetzenden Schwerpunkten. Denn Elfriede Brüning hat ihre Lebensstationen literarisch und journalistisch-publizistisch verarbeitet: das abhängige Dasein als junge Mutter auf dem schwiegerelterlichen Landgut ebenso wie die Erfahrungen als Alleinerziehende im sowjetischen Sektor von Berlin vor 1961, als Journalistin in der SBZ, später Scheidung, Liebesbeziehungen, Reportage-Tätigkeit, Freundschaften, Sorge um die heranwachsende und erwachsene Tochter. Immer wieder betrat die Autorin bewußt auch Konfliktfelder. Sie widersprach leitenden Funktionären, die meinten, es sei nach der Durchsetzung sozialistischer Eigentumsverhältnisse und unter Gesetzesparagraphen bereits alles in Ordnung mit den Frauenrechten. Elfriede Brüning schrieb an gegen sexuelle Prüderie und gegen verbreitetes männliches Dominanzgebaren bei sozialistischen Verantwortungsträgern und Leitern, sie wies hin auf die dauerhaft schmerzhafte Spannung zwischen dem Recht der Mütter auf berufliche Selbstverwirklichung einerseits und dem Recht der Kinder auf elterliche Zuwendung andererseits, und sie griff unerschrocken nach heißen Eisen wie Heimerziehung oder jugendliche Asozialität. Sie wußte, daß sozialistische, familienfreundliche Gesetze eine notwendige Bedingung, aber noch kein Garant zur Selbstverwirklichung der Frauen im Alltag sind. Und sie hat als streitbare Sozialistin daraus ihre Konsequenz gezogen. Die unvollständige Aufzählung von Kapitel- und Abschnittsüberschriften gewährt Einblick: „Loyale Genossin – unbequeme Autorin (1955–1959)“, „Brünings Bücher – Ärgernis und Mangelware“, „Asozialität: Als Reporterin einer scheiternden Utopie auf der Spur (1965–1969)“, „Frauenerwerbsarbeit und familiäre Risiken (1970–1978)“, „Generationskonflikte: Die Selbstverwirklichung der Großmutter (1974–1986)“.
Beispielhaft sei Kebirs Darstellung der Rezeptionsgeschichte von Brünings Roman „Regine Haberkorn“ erwähnt. Die Heldin, Arbeiterin in einem sozialistischen Betrieb, will ihren Anspruch einlösen: Freude und Erfüllung in der Arbeit und in der Ehe, eine gute Mutter sein und Anerkennung im Kreis der Kolleginnen und Kollegen im Produktionsbetrieb bekommen. Regine Haberkorn stößt an Grenzen, aber weicht der Konfrontation mit Ehemann, Abteilungsleiter und Kolleginnen nicht aus. Tausende Leserinnen der „Tribüne“ (dort zuerst 1955 als Fortsetzungsroman veröffentlicht) erkannten sich in „Regine Haberkorn“ wieder, äußerten sich in Leserbriefen und luden sie zu Diskussionsabenden ein. Anders die offizielle Kulturpolitik. Ein wiederkehrender Hauptvorwurf lautete, „der Bewußtseinsstand der (…) Werktätigen (sei) nicht richtig dargestellt (…)“, und abgewertet als „kleinbürgerlich“ nahm Elfriede Brüning jahrelange Benachteiligungen bei Veröffentlichungen, Neuauflagen oder auch Preisen und Ehrungen hin.
Als ab 1990 im „Beitrittsgebiet“ viele der frauenrechtlichen Errungenschaften zusammen mit den volkseigenen Betrieben abgewickelt wurden und die Sieger bald darauf zu Diffamierung und Rufmord übergingen, trat die bereits über 80jährige Elfriede Brüning mutig dagegen auf. Sabine Kebir überschreibt ihre entsprechenden Textabschnitte: „Reportagen über ,Zwangsadoptionen‘: Kinder im Kreidekreis“, „Die DDR verlassen zu wollen, rechtfertigt das alles?“, „Zwangsadoptionen im Westen“ oder „Doppelte Maßstäbe der Medien“.
Im August 2014 starb Elfriede Brüning hochbetagt, und viele ihrer Zeitgenossinnen und Wegbegleiter mögen sich eindrucksvoller Begegnungen mit der Schriftstellerin gut erinnern. Denn: „Auch im letzten Jahr ihres Lebens absolvierte sie noch Interviews und Lesungen (…) Die Zuhörer – keineswegs ausschließlich weiblich – begriffen, daß sie ein Monument vor sich hatten, eine unbeugsame Frau, die fast ein Jahrhundert lang unbeirrt für Emanzipation eingetreten war.“ Dieser vorletzte Satz des Buches resümiert, was die Autorin Sabine Kebir über die 18 Kapitel hat lebendig werden lassen.
Sabine Kebir
Frauen ohne Männer? Selbstverwirklichung im Alltag
Elfriede Brüning (1910–2014). Leben und Werk
Aisthesis-Verlag, Bielefeld 2016, 954 Seiten
ISBN 978-3-8498-1105-1
34,95 Euro
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