Zur kurzen Geschichte der Meinungsforschung in der DDR
Enttäuschte Erwartungen
Umfragen sind heutzutage in aller Munde. Gerade vor Wahlen haben sie Hochkonjunktur. Das war nicht immer und überall so. Wer weiß denn noch etwas von der Existenz eines Instituts für Meinungsforschung in der DDR? Ich will auch deswegen an das diesjährige
50. Jubiläum der Gründung dieses Instituts erinnern, weil es exemplarisch für die politische und wissenschaftliche Aufbruchsphase in der DDR steht.
Das Folgende ist meine persönliche Sicht auf das 1964 unter dem Dach des ZK der SED gegründete Institut, dessen Mitarbeiter ich von 1972 bis zu seiner abrupten Auflösung Anfang 1979 gewesen bin. Danach war eine weitere Beschäftigung mit dieser Thematik für mich wie für alle anderen dort tätig Gewesenen leider weder möglich noch erwünscht.
Das Kapitel Meinungsforschung in der DDR gehört zum Reservoir jener vertanen Chancen, die von großen Hoffnungen getragen waren und bitter enttäuscht wurden. Das geschah lange vor dem Untergang des Staates. An die uns bei der unrühmlichen Schließung des Instituts abverlangte Schweigeerklärung hatte ich mich wie alle anderen auch bis 1989 gehalten, habe danach aber dem Historiker Prof. Heinz Niemann mit Informationen und Dokumenten bei dessen Veröffentlichungen über das Institut zur Seite gestanden. Er stellt die Arbeit des Instituts sachlich dar. Sein Hauptverdienst besteht darin, daß er dessen Berichte, die einer vom Politbüro angewiesenen Vernichtung entgingen, publik gemacht hat. Die von ihm dokumentierten Materialien betrachte ich als einen Glücksfall für die zeitgeschichtliche Analyse. Als das erste Buch „Meinungsforschung in der DDR – die geheimen Berichte des Instituts für Meinungsforschung an das Politbüro der SED“ im Jahre 1993 erschien, löste das begreiflicherweise ein lebhaftes Medien-Echo aus. Als dann zwei Jahre später „Hinterm Zaun – Politische Kultur und Meinungsforschung in der DDR“ herauskam, blieb es schon deutlich ruhiger.
Das „Geheimnisumwitterte“ des Instituts beruht nicht nur auf seiner plötzlichen, nie gründlich geklärten Schließung. Der mir vorliegende ZK-Beschluß zur „Beendigung der Tätigkeit des Instituts“ war so geheim, daß er nicht einmal an alle Mitglieder des Politbüros ging. Im Text gibt es keinerlei Begründung für die getroffene Entscheidung.
Damals waren alle Umfragen als „Streng vertraulich“ oder „Vertrauliche Verschlußsache“ gekennzeichnet. Es gab und gibt bis heute widersprüchliche Interpretationen zu deren Wert. Das läßt sich auch nicht mehr klären, da mit 25 erhalten gebliebenen Berichten nur etwa 10 % der gesamten Umfrageergebnisse nach 1989 verstreut in Akten einzelner Politbüromitglieder aufgefunden und bewertet werden konnten. Zur Gesamtzahl gibt es unterschiedliche Angaben. In der mir vorliegenden Archivierungsliste von 1979 ist von 268 Meinungssondierungen, bei denen fast 6000 Fragen an eine halbe Million Menschen gestellt wurden, die Rede.
Doch zurück zur Gründung des Instituts, die auf einem Beschluß des Sekretariats des ZK der SED vom 22. April 1964 beruhte. Sie ordnet sich in die Periode der Einführung einer umfassenden Wirtschafts- und Wissenschaftsreform unter der Bezeichnung Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft ein. Es wurde 1963 – also nach dem VI. Parteitag der SED – auf die Tagesordnung gesetzt. In diesem Rahmen sollte eine wissenschaftlich exakte Meinungsforschung anhand repräsentativer Umfragen mehr zuverlässige Informationen zur Stimmung der DDR-Bürger liefern, als das mit den bis dahin üblichen Instrumenten des staatlichen und parteiinternen Berichtswesens möglich war. Bei den Beteiligten herrschte damals Klarheit darüber, daß mit unserem Institut absolutes Neuland betreten wurde. Keiner aus der Gründungsmannschaft kam aus der Soziologie, die damals bei uns ohnehin noch in den Kinderschuhen steckte. Es mußten also zunächst methodische und technische Grundlagen erarbeitet, Probebefragungen vorbereitet, ehrenamtliche Interviewer ausgewählt und geschult werden. Das begann im Juni 1964, während der 1. Soziologiekongreß der DDR erst 1969 stattfand.
Diese Art der Meinungsforschung war als ein Informations- und Analyseinstrument der Parteiführung gedacht und sollte das Erkenntnismonopol der Partei unterstreichen, weshalb sie auch direkt dem Politbüro unterstellt war. Das gab dem Institut eine besondere Position und verlieh ihm in manchen Augen sogar einen „von oben kommenden Heiligenschein“. Wir wähnten uns damit unangreifbar, was sich indes als Illusion herausstellte. Im Gründungsbeschluß hieß es: „Die Leitung des Instituts erhält ihre Anleitung und ihre Aufträge vom Politbüro.“ Das damit parteieigene Institut unterstand anfangs Albert Norden, ab 1967 Werner Lamberz, dessen Tod bei einem Hubschrauberabsturz in Libyen (1978) zugleich auch der Sargnagel für das Institut war. Das Politbüromitglied Lamberz – für einen weiteren steilen Aufstieg vorgesehen – war ein gebildeter Funktionär, bei dem wir uns gut aufgehoben fühlten. Allerdings setzte auch er die Umfrageergebnisse vorrangig als „Panzerschrankwissen“ zur Sicherung seiner eigenen Position ein. Er allein entschied, an wen die Ergebnisberichte gehen sollten – an das gesamte Politbüro oder nur an einzelne Mitglieder und ausgewählte Abteilungen des ZK. Wir gehörten damit zu seiner „Hausmacht“.
Die Meinungsforschung in der DDR war als Teil des politischen und ideologischen Instrumentariums der SED den Schwankungen der Tagespolitik ausgesetzt. An denen ist sie auch gescheitert. Walter Ulbricht wollte sich als einer der Gründerväter des Instituts auf exakte Kenntnisse zur Massenstimmung stützen, was unter Erich Honecker zunehmend nicht mehr der Fall war. In seiner Zeit wurde das IfM dann auch klamm und heimlich „abgewickelt“.
Fazit: Trotz aller Professionalität des Instituts besaßen dessen Umfragen leider nur eine geringe politische Wirkung und verfehlten so ihr eigentliches Ziel.
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