Erdoğans Rocker und Merkels Kumpanei
Angesichts anhaltender Massenverhaftungen herrscht in der Türkei ein Klima der Angst. Unter dem Vorwand des gescheiterten Militärputsches vom 15. Juli läßt Präsident Recep Tayyip Erdoğan rigoros Andersdenkende verfolgen und Oppositionelle einsperren. Um Platz für seine Kritiker in den Gefängnissen zu schaffen, hat der Staatschef mehr als 30 000 verurteilte Kriminelle vorzeitig freigelassen, darunter selbst Priestermörder. Binnen weniger Wochen waren im Sommer mehr als 100 000 Staatsbedienstete suspendiert oder gleich ganz gefeuert worden. Jenseits von Armee und Polizei waren von dem Gegenputsch vor allem Lehrer, die Leiter von Hochschulen, Richter und Staatsanwälte betroffen.
Erdoğan macht Tabula rasa. Der Staatsapparat soll komplett von der regierenden islamistischen AKP (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung) durchdrungen werden. Kritische und unabhängige Medien werden ausgeschaltet. Man wird den Eindruck nicht los, die AKP-Strategen hätten den marxistischen Philosophen Antonio Gramsci studiert. Der Mitbegründer der Kommunistischen Partei Italiens hatte in den 30er Jahren in seinen „Gefängnisheften“ bekanntlich darauf hingewiesen, daß in kapitalistischen Gesellschaften Herrschaft nicht nur durch bloßen Zwang ausgeübt wird, sondern auch durch eine Hegemonie in der „Zivilgesellschaft“ und ihren Institutionen. Dazu zählen Bildungseinrichtungen wie Schulen und Universitäten. Die Säuberungen und Einschüchterungen von Akademikern sollen also gerade dazu dienen, diese „kulturelle Hegemonie“ der AKP zu festigen. Ziel ist die Errichtung einer islamistischen Diktatur.
Mit den „Säuberungen“ genannten Umstrukturierungen im Sicherheitsbereich kommt irregulären, Erdoğan loyalen Bürgerkriegseinheiten eine immer größere Rolle zu. In den kurdischen Gebieten im Südosten sorgen die Schergen schon lange für Schrecken, unmittelbar nach dem Putschversuch tauchten sie auch anderenorts auf. Eine dieser nicht-uniformierten Sondereinheiten sind die Esedullah Timleri. Sie „sind für ihre Brutalität berüchtigt“, war in der FAZ am 19. Juli 2016 über Erdoğans Schlägergarde zu lesen. Sie seien „ein Teil des Mobs, nur mit einem klaren staatlichen Auftrag“. Und sie können sicher sein, für ihre Vergehen nicht belangt zu werden.
Längst reicht Erdoğans Netz bis nach Deutschland. Wie „Der Spiegel“ Ende November meldete, übt der türkische Geheimdienst MIT „offenbar Einfluß auf den rapide wachsenden Rockerklub Osmanen Germania in Deutschland aus“. Dafür spreche „die politische Ausrichtung maßgeblicher Mitglieder der türkisch-nationalistischen Organisation“, berichtete das Magazin unter Berufung auf deutsche Regierungskreise. Tatsächlich gingen die martialisch auftretenden „Osmanen“ in der Vergangenheit auf Demonstrationen und im Internet aggressiv gegen Kurden und die Gülen-Bewegung – bis Ende 2013 engster Verbündeter von Erdoğan – vor. Auch die berüchtigte Jubeldemonstration von Erdoğan-Anhängern im Juli in Köln wurde von den Rockern unterstützt. Der „Osmanen Germania Box Club“, kurz OGBC, gilt als eine der am schnellsten wachsenden Gruppierungen im deutschen Rockermilieu. Den Polizeibehörden zufolge ist der OGBC in Deutschland in 22 sogenannte Chapters untergliedert, darüber hinaus sind elf Ortsgruppen im europäischen Ausland bekannt. Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es Gliederungen in Aachen, Bielefeld, Bochum, Dortmund, Düsseldorf, Duisburg, Essen, Köln und Münster. Nach eigenen Veröffentlichungen haben die „Osmanen Germania“ in Deutschland 2500, weltweit 3500 Mitglieder – darunter auch in der Türkei selbst. Wie die Bundesregierung auf Nachfrage einräumte, haben Erdoğans Rocker früher Kontakte zu Mitgliedern der ebenfalls berüchtigten „Hells Angels“ unterhalten. Mittlerweile operierten sie aber „unabhängig“. „Persönliche Kennverhältnisse“ zu der rechtsextremen türkischen Gruppierung „Graue Wölfe“ gelten als „wahrscheinlich“ (lt. Bundestagsdrucksachennummer 18/7796).
Bei einer bundesweiten Großrazzia mit 1500 Beamten wurden im November Wohnungen und Büros des Rockerclubs „Osmanen Germania“ durchsucht. Die Rocker hätten laut „Bild“ zahlreiche Anschläge auf Kurden in Deutschland vorbereitet. Bei dem „sorgfältig geplanten Schlag gegen die Organisierte Kriminalität“, so Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU), wurden Waffen, Munition und Drogen beschlagnahmt und sieben Männer festgenommen. Drei von ihnen sitzen mittlerweile in Untersuchungshaft. Sie sollen an einem Handgranaten-Anschlag vor einem Shisha-Café in Saarbrücken Anfang August beteiligt gewesen sein. Das Lokal war zuvor von Mitgliedern einer kurdischen Rockergruppe besucht worden. Von dem großangelegten Polizeieinsatz sollte, so Beuth, ein Signal ausgehen: „Egal, in welcher Kutte Kriminelle glauben, sich in unserem Land betätigen zu können – wir werden gemeinsam mit aller Härte des Rechtsstaats gegen sie vorgehen.“
Was Erdoğans Netz in Deutschland anbelangt, herrschte bei den Verantwortlichen tatsächlich entweder lange Ahnungslosigkeit oder aber der politische Wille, das Wissen über die neue Qualität der Vernetzung rechtsextremer Organisationen in Deutschland der Öffentlichkeit bewußt vorzuenthalten – zum Wohle des Premiumpartners am Bosporus.
An der kurzen Leine von Erdoğan / Grafik: G. Zucker
Der Kuschelkurs von Kanzlerin Angela Merkel gegenüber ihrem Partner Erdoğan hat fatale Folgen bis hin zur Sicherheitslage in Deutschland. So warnt das Bundeskriminalamt vor Schwierigkeiten bei länderübergreifenden Ermittlungen. Wichtige Informationen auch für deutsche Verfahren seien von türkischer Seite nur noch in „absoluten Ausnahmefällen zu erlangen“, wie die Tageszeitung „Die Welt“ (29. November 2016) unter Bezug auf ein internes Schreiben eines BKA-Verbindungsbeamten aus dem deutschen Konsulat in Istanbul berichtete. Als Grund nenne der Experte die zahlreichen Entlassungen innerhalb der türkischen Polizei und der Justiz. „Das Fachwissen der Mitarbeiter ist für lange Zeit verloren und sicherlich nicht mit Umsetzungen oder Neueinstellungen zu kompensieren“, hieß es demnach in dem Schreiben. Schon jetzt sei festzustellen, daß es auch bei Schlüsselpositionen erheblich an Fachwissen mangele.
Das BKA führe, so „Die Welt“ weiter, „zahlreiche Ermittlungsverfahren mit Bezug zur Türkei, etwa in den Bereichen des islamistischen Terrorismus und der Organisierten Kriminalität“. 2015 waren alleine 50 Verfahren mit Bezug zu türkischen Banden und Gruppen anhängig. Mit seinen Personalrochaden in den Ämtern spannen Erdoğan und die AKP mithin auch einen Schutzschirm über ihre Schläger.
Mit ihrem Flüchtlingsdeal mit Erdoğan hat Merkel die Bundesregierung nicht nur erpreßbar gemacht. Das ist nicht zuletzt durch ihren Kotau im Fall des Satirikers Jan Böhmermann, der Distanzierung von der Armenien-Resolution des Bundestages und dem Herumeiern bezüglich des Besuchsrechts bei deutschen Soldaten im türkischen Incirlik deutlich geworden. Indem sie weiter treu an der Seite des Despoten steht, unterminiert die Kanzlerin auch die Sicherheit in Deutschland. Denn durch die enge Partnerschaft mit Erdoğan hat sie mit dazu beigetragen, daß sich Mordkommandos der türkischen Geheimdienste hier in Deutschland unbehelligt bewegen können. Presseberichten zufolge tummeln sich über 6000 Agenten Erdoğans in Deutschland, und nach wie vor gibt es eine enge Zusammenarbeit mit den türkischen Diensten bis hin zu gemeinsamen personenbezogenen Dateien. Die Bundesregierung steht hier in der Verantwortung, die Menschen in Deutschland vor den Schergen des türkischen Geheimdienstes zu schützen.
Dagdelen ist Sprecherin für Internationale Beziehungen der Fraktion Die Linke im Bundestag.
Nachricht 333 von 2043
- « Anfang
- Zurück
- ...
- Belgien: Die PTB hat jetzt 10 000 Mitglieder
- TROTZ ALLEDEM!
- Der Präsident als Aschenputtler –
eine Kalendergeschichte - Erdoğans Rocker und Merkels Kumpanei
- Kriegsabenteurer weiter am Werk
- Eine Welt oder keine Welt
- Der Gott, der Eisen wachsen ließ,
der wollte keine Knechte - ...
- Vorwärts
- Ende »