Profilierter Pädagoge, kommunistischer Führer
und Widerstandsheld
Erinnern an Dr. Theodor Neubauer
Im Jahr 1968 wurde – nach 1945 und 1952 – auf dem Gebiet der DDR die dritte Hochschulreform durchgeführt. Die Entwicklung des Volksbildungswesens war so weit vorangeschritten, daß die eher schulmäßigen Methoden beim Studieren und Forschen durch wissenschaftliche Arbeit abgelöst werden mußten. Die meisten Pädagogischen Institute der DDR besaßen z. B. kein eigenes Promotionsrecht. Die Verteidigung von Doktorarbeiten und Habilitationen war nur am Pädagogischen Institut Potsdam sowie an den Universitäten in Berlin, Dresden (TU), Greifswald, Halle, Jena, Leipzig und Rostock möglich. Welche Schwierigkeiten und Konflikte es bei uns in Mühlhausen gab, alte Gewohnheiten und Einstellungen zu überwinden, hat Heinz Kruschel in seinem 1971 vom Mitteldeutschen Verlag Halle (Saale) herausgebrachten Roman „Wind im Gesicht“ dargestellt.
Wie konnte unser PI zu einer Pädagogischen Hochschule werden? Wir hatten in Mühlhausen 580 Studenten, die Lehrer ab Klasse 5 in den Fächern Biologie, Chemie, Mathematik und Polytechnik werden wollten. Sie wurden von etwa 80 Lehr-, Verwaltungs- und technischen Kräften betreut. Niemand hatte sich habilitiert. Die promovierten Lehrkräfte ließen sich an zwei Händen abzählen. Eine Hochschule soll ja eine universitas litterarum, also eine Einheit der Wissenschaften, sein. Dafür aber war unsere Einrichtung zu klein. So entschied das Ministerium für Volksbildung, daß das PI Erfurt und das PI Mühlhausen zur PH Erfurt/Mühlhausen vereinigt und diese mit eigenem Promotionsrecht ausgestattet wird. In Erfurt bildete man bis dahin Fachlehrer für Deutsch, Kunsterziehung, Mathematik, Physik, Russisch und Polytechnik aus.
1969 wurde die Pädagogische Hochschule Erfurt/Mühlhausen „Dr. Theodor Neubauer“ gegründet, deren Wissenschaftlichem und Gesellschaftlichem Rat ich bis 1990 angehörte. Mit der Namensgebung ehrte die Regierung der DDR einen herausragenden antifaschistischen Thüringer Pädagogen.
Theodor Tilo Neubauer wurde am 12. Dezember 1890 als Sohn eines Gutsinspektors in Ermschwerd bei Witzenhausen an der Werra geboren. Dort besuchte er die Volksschule. 1900 übersiedelte die Familie nach Erfurt, wo Theodor von 1901 bis 1910 das humanistische Gymnasium besuchte. Ab 1910 studierte er in Brüssel, Jena und Berlin Geschichte und neuere Sprachen. 1913 promovierte er mit dem Thema „Die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Stadt Erfurt vor der Reformation“. Im November desselben Jahres legte er die Prüfungen für das Lehramt an Höheren Schulen ab. 1914 meldete er sich – „patriotisch“ gesinnt – freiwillig zum Kriegsdienst, wurde Leutnant, aber 1917 nach einer Verwundung durch Giftgas entlassen. Danach schloß er die pädagogische Seminarzeit ab und war ab Oktober Lehrer am Königin-Luise-Gymnasium in Erfurt.
Als Mitglied der USDAP setzte er sich für eine Volksbildung ein, die dieser Bezeichnung gerecht wurde. Im März 1920 beteiligte er sich als einziger Lehrer der Schule am Generalstreik gegen den Kapp-Putsch, woraufhin er entlassen wurde. Mit der USDAP (Linke) trat er der KPD bei. 1921 bis 1923 wirkte er als deren Abgeordneter im Landtag.
Am 23. Oktober 1923 äußerte sich Theodor Neubauer in diesem Gremium zur Bildung einer thüringischen Arbeiterregierung unter Einschluß der Kommunisten: „Damit bekundet die KPD, daß sie eingedenk ihrer proletarischen Pflichten und getreu ihrer ganzen Vergangenheit auch in diesen Kämpfen in erster Reihe stehen wird. Wir haben mancherlei Opfer bringen müssen, um das zu ermöglichen.“
In jener Zeit hatte Theodor Neubauer, der als Staatsrat für Gotha Mitglied der Arbeiterregierung geworden war, gegen den drohenden und dann Anfang November erfolgten Einmarsch der Reichswehr protestiert. Weitere Schauplätze seiner politischen Tätigkeit waren Jena, Leipzig, Kassel, Düsseldorf, Essen und Berlin.
Schon im August 1933 wurde Theodor Neubauer von den Faschisten verhaftet, im Herbst 1934 zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und anschließend in den Zuchthäusern Plötzensee und Brandenburg-Görden sowie in den KZ Lichtenburg, Papenburg, Esterwegen und Buchenwald gefangengehalten. Dort gehörte er der Leitung der illegalen Lagerorganisation der KPD an.
1939 wurde Theodor Neubauer aus Buchenwald entlassen und von der Gestapo dazu verpflichtet, in einem Gothaer Autoreparaturbetrieb zu arbeiten. Von Tabarz aus organisierte er das illegale Zusammenwirken kommunistischer und sozialdemokratischer Gruppen im Thüringer Raum. Aufs engste arbeitete er mit Magnus Poster in Jena zusammen, nahm aber auch Verbindungen zu KPD-Widerstandszellen in Berlin-Brandenburg, Magdeburg-Anhalt und Sachsen auf, wo er für den Zusammenschluß aller Hitlergegner wirkte. Am 14. Juni 1944 wurde er erneut verhaftet und am 8. Januar 1945 vom „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilt. Nur drei Monate vor der Befreiung des deutschen Volkes vom Hitlerfaschismus durch die Rote Armee und deren Verbündete aus der Antihitlerkoalition starb der rote Pädagoge am 5. Februar 1945 – vor 70 Jahren – unter dem Fallbeil im Zuchthaus Brandenburg-Görden.
Sonja Müller, die Tochter Theodor Neubauers, die 1969 an der feierlichen Namensgebung teilgenommen hatte, war ein gerngesehener Gast und Gesprächspartner an unserer Hochschule. Dort gab es ein Theodor-Neubauer-Kabinett zur Unterstützung der Ausbildung künftiger Pädagogen sowie für spezielle Forschungszwecke. Im Zeitraum von 1970 bis 1990 wurden bei uns 12 900 Diplomlehrer für jeweils zwei Fächer der Klassen 5 bis 12 im humanistischen und fortschrittlichen Sinn des Namensgebers der Hochschule für die allgemeinbildenden Polytechnischen Oberschulen (POS) ausgebildet. Das war – sieht man von der Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses und auch international beachteten Forschungsleistungen der Pädagogischen, der Naturwissenschaftlichen und der Historisch-Philologischen Fakultäten einmal ab – kein geringer Beitrag zur geistig-kulturellen Entwicklung in der DDR.
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