RotFuchs 197 – Juni 2014

Als unsere LPG mit bayerischen Landwirten
einen guten Faden spann

Erinnern an Richard Scheringer

Herbert Klinger

Industriekaufmann des graphischen Gewerbes und Agraringenieur, war ich zunächst Eigentümer eines Bodenreform-Hofes in Thüringen gewesen. Später ging ich – wie in anderen RF-Beiträgen von mir bereits beschrieben – den Weg der Genossenschaftsbauern.

Zwischen 1969 und 1976 unternahm ich gemeinsam mit jeweils anderen Mitstreitern aus den Kreisen Pößneck und Saalfeld Jahr für Jahr Reisen zu landwirtschaftlichen Vorträgen in Bayern. Die Veranstaltungen waren stets derselben Frage gewidmet: „Wie lebt der Bauer in der DDR?“ Organisator war die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB/BHG), die damals bei uns eine große Rolle spielte.

Wir projizierten Bilder und Tabellen an eine Leinwand. Sie informierten über die genossenschaftsbäuerliche Bewegung in der Pflanzen- und Tierproduktion der DDR, zeigten moderne Technik – darunter auch aus der Sowjetunion gelieferte – und berichteten vom sozialen Leben auf dem Lande. So wurde die Aussage, LPG-Mitglieder müßten in der DDR keine Lohnsteuern zahlen, mit Interesse aufgenommen.

Die Texte zu jedem Bild sprachen wir selbst. Die anschließende Diskussion durfte nur bis 24 Uhr dauern. Unter den Zuhörern befanden sich stets auch Beamte vom Verfassungsschutz. Sie setzten sich in der Regel direkt neben uns. Zwei von ihnen ließen mich über ihre Funktionen nicht im ungewissen. Bei der Einreise mit dem Pkw mußten wir den bayerischen Grenzern zumindest eine schriftliche Einladung vorweisen. Das dann beginnende „Verhör“ dauerte etwa eine Dreiviertelstunde.

Wir traten in Sälen von Gaststätten auf – auch zu „Politischen Frühschoppen“ nach dem Kirchgang sowie in „Schulen der bayerischen Jungbauernschaft“, vor Berufsschülern, zu Molkereiversammlungen, in Gemeindevertretungen, sogar in Bullenbesamungsstationen.

Natürlich kamen wir auch mit Genossen der DKP zusammen. Öffentliche Einladungen zu unseren Veranstaltungen erfolgten in Zeitungen, an Schwarzen Brettern und häufig auch durch Flugblätter, welche an leere Kannen gehängt wurden, die von den Dorf-Milchbänken zurück an die Bauern gingen.

Unsere Tätigkeitsbereiche lagen meist in Oberbayern. Garmisch Partenkirchen, Ingolstadt. Passau, Straubing, Plattling, Mühldorf am Inn und das Rottal der Donau gehörten zu unserem „Revier“.

Im ganzen habe ich in diesen acht Jahren 56 Lichtbildervorträge gehalten. Die Zusammenstellung unserer Fotos, welche stets aktualisiert wurden, unterlag kollektiver Begutachtung. Meine Mitstreiter, welche die Filmtechnik bedienten, waren Angehörige der VdgB, LPG-Vorstandsmitglieder, Molkereiangestellte oder Tierärzte. Unser Ziel bestand immer darin, möglichst viele Interessenten als Besucher der jährlich stattfindenden DDR-Landwirtschaftsausstellung in Leipzig-Markkleeberg, aber auch als Gäste der als bahnbrechend geltenden LPG Orlatal und der Kooperationsgemeinschaft Orlatal, Oppurg, zu gewinnen.

Der Erfolg blieb nicht aus. Meist erschienen aus Bayern ganze Delegationen, seltener einzelne Neugierige. Sie nahmen an unseren LPG-Versammlungen und Kulturveranstaltungen ebenso wie an Flur- und Stallbegehungen teil. Jugendliche verbrachten schöne Urlaubstage in den Bungalows des Ferienzentrums der LPG bei Neumannshof an der Saale. Von der „Grünen Woche“ in Westberlin kommend, bogen etliche westdeutsche Bauern bei Triptis von der Autobahn zu uns ab.

Die Besucher sprachen sich anerkennend über unsere Produktionsergebnisse und den Reingewinn je Hektar aus. Sie kamen aus Otzing, Kleineuzenried, Moos und anderen Orten. Als wir dann bei ihnen waren, wollte uns ein Hofbesitzer etwas „ganz Besonderes“ zeigen. Er führte uns zu einer unweit von seinem Betrieb gelegenen Möbelfabrik. Dort war gerade ein Lkw mit Hänger aus der DDR eingetroffen. Er brachte Qualitätsküchen, welche durch diese Firma unter deren Namen verkauft werden sollten. In einem anderen Dorf errichtete jemand gerade einen neuen Milchviehstall und hatte zu diesem Zweck 60 Zentnersäcke Zement aus unserer Maxhütte Unterwellenborn eingelagert. „Der ist Spitze“, sagte er.

Natürlich kam es auch zu Provokationen. So sangen junge Männer im Vorraum des Saales, in dem wir uns befanden, das Horst-Wessel-Lied der SA. Es sollte uns provozieren. Doch solche Vorfälle wurden von unseren Gastgebern nach Möglichkeit unterbunden. „Wir sind in Thüringen bestens behandelt und versorgt worden. Und wir tun dasselbe hier und lassen uns dieses Treffen nicht versauen!“ meinten sie.

Natürlich wurden wir jedes Jahr von bestimmter Seite befragt, ob wir nicht in der BRD bleiben wollten. Die Antwort lautete stets: „Unsere Heimat ist die DDR!“

Erwähnt sei hier noch die Familie des Genossen Richard Scheringer, damals und bis zu seinem Tod 1986 Mitglied des Vorstands der DKP. Auf deren Hof in Kösching bei Ingolstadt vervielfältigten wir Flugblätter für den Milchkannen-Anhang. Richard war in der Weimarer Republik Offizier und wurde gemeinsam mit Leutnant Hanns Ludin wegen verbotener Tätigkeit für die NSDAP innerhalb der Reichswehr vor Gericht gestellt. Im Prozeß, bei dem auch Hitler als Zeuge auftrat, bekannte er sich zur KPD. In der Haft war er Kommunisten begegnet, die ihn überzeugt hatten. – Zwei Söhne der Scheringers wurden übrigens LPG-Vorsitzende in der DDR. Richard erhielt vom sozialistischen deutschen Staat den Karl-Marx-Orden. Bei der Überreichung dieser höchsten Auszeichnung der DDR in der einem CSU-Mitglied gehörenden Gaststätte Kösching waren über 200 Personen zugegen.

Wiederholt hatte Richard Scheringer mit Delegationen Thüringen besucht und dabei das genossenschaftliche Leben – vorwiegend in unserer LPG „Orlatal“ – intensiv studiert. Seine Enkelin – heute die Doktorin der Agrarwissenschaften Johanna Scheringer-Wright – schrieb wissenschaftliche Artikel über diesen Betrieb. Inzwischen ist sie thüringische Landtagsabgeordnete und Mitglied des Parteivorstands der PDL.